Richter beim Schiedsgericht der Weltbank: Christoph Schreuer.

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STANDARD: Herr Schreuer, Sie werden immer wieder als Experte oder als Schiedsrichter in Fällen berufen, in denen Staaten von ausländischen Investoren geklagt werden. Was war Ihr letzter aufsehenerregender Fall?

Schreuer: Ein interessanter Fall, der vor kurzem entschieden wurde und an dem ich mitgewirkt habe, betraf einen schwedischen Lebensmittelerzeuger. Dem Unternehmen war in Rumänien im Gegenzug für eine Investition in einer unterentwickelten Region eine Steuerbegünstigung zugesagt worden. Nachdem das Unternehmen tatsächlich investiert hatte, wurden diese Begünstigungen wieder zurückgenommen. Der Investor hat daraufhin auf Basis des Investitionsschutzabkommens zwischen Rumänien und Schweden geklagt. Das Schiedsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Vorgehen Rumäniens eine Verletzung des Erfordernisses der fairen und gerechten Behandlung darstellte. Der Kläger hat eine Entschädigung in Höhe von ca. 84 Millionen Euro zugesprochen bekommen.

STANDARD: Eine Vielzahl der Klagen richtet sich gegen ärmere Schwellenländer in Südamerika. Waren Sie an solchen Verfahren auch beteiligt?

Schreuer: Ein Fall, an dem ich mitgewirkt habe, und zwar als Rechtsgutachter, war Siemens gegen Argentinien. Argentinien hatte bei Siemens ein System zur Erstellung von Personalausweisen für die argentinische Bevölkerung in Auftrag gegeben, den Auftrag aber in einem späten Stadium, als Siemens schon viel Geld in Hardware und Software gesteckt hatte, zurückgezogen. Dagegen hat Siemens geklagt.

STANDARD: Wie ist der Fall ausgegangen?

Schreuer: Zunächst im Sinne von Siemens. Dann hat die Sache aber aus Sicht des Klägers eine unerfreuliche Wendung genommen: Es hat sich nämlich herausgestellt, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe gegeben hatte. Siemens hat dann auf die Entschädigungszahlung verzichtet.

STANDARD: Damit wären wir auch schon beim Punkt: Die Möglichkeit, dass Unternehmen auf der Grundlage von Investitionsschutzabkommen Staaten vor Schiedsgerichten klagen können, wird derzeit heftig kritisiert. Der Vorwurf lautet, dass hier Konzerne ihre Interessen in einer Art Parallelgerichtsbarkeit durchsetzen.

Schreuer: Die Empörung beruht zu großem Teil auf falschen Informationen. Diese Schiedsgerichte basieren meist auf völkerrechtlichen Verträgen, sind also öffentliche Einrichtungen und keine Privatgerichte, die Konzerninteressen verfolgen. Die Investitionsschutzabkommen und die Schiedsgerichte dienen nicht nur Unternehmen, auch Staaten ziehen daraus ihre Vorteile. Die Schiedsgerichte verhindern diplomatische Krisen, etwa wenn ein Land zum Schutze eines eigenen Investors etwas gegen ein anderes Land unternimmt. Solche Streitigkeiten haben in früheren Zeiten sogar bis zu Kriegen geführt. Die Schiedsgerichte tragen also dazu bei, dass diese Konflikte entpolitisiert werden. Überdies sorgen Schiedsgerichte für ein besseres Investitionsklima – sie fördern also Investitionen.

STANDARD: Aber dennoch sind Schiedsgerichte keine normalen Gerichte: Die Verfahren sind nicht öffentlich, und die Urteile müssen nicht unbedingt veröffentlicht werden.

Schreuer: Es gibt einen Prozess der zunehmenden Transparenz. Neuerdings werden bei vielen Verfahren nicht nur die Entscheidungen, sondern auch sämtliche Schriftsätze im Internet veröffentlicht. Dies soll auch künftig bei Investorenklagen auf Grundlage des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA der Fall sein. Auch die mündlichen Verhandlungen sollen öffentlich stattfinden. Das würde dazu führen, dass der Grad an Transparenz höher wäre als bei innerstaatlichen Verfahren: Bei einem innerstaatlichen Verfahren werden Klageschrift und Schriftsätze nicht veröffentlicht. Man kann allenfalls zur mündlichen Verhandlung hingehen. Davon hat man aber meist wenig, wenn man die Schriftsätze nicht vorher gelesen hat.

STANDARD: Ein Berufungsrecht gibt es vor Schiedsgerichten auch nicht. Meist entscheidet ein Senat aus drei Personen, und das war es.

Schreuer: Eines der Ziele der Schiedsgerichtsbarkeit ist es, Verfahren schneller und effizienter abzuwickeln als vor nationalen Gerichten. Deshalb sind ordentliche Berufungsverfahren bisher nicht vorgesehen. Aber auch in Schiedsverfahren können Entscheidungen annulliert werden. Zum Beispiel wenn ein wichtiger Zeuge nicht gehört wird, ist das eine schwerwiegende Verletzung einer grundlegenden Verfahrensnorm. Ungefähr jeder zehnte Schiedsspruch wird angefochten – davon wird schätzungsweise etwa die Hälfte aufgehoben. Also grob geschätzt wäre die Aufhebungsquote fünf Prozent.

STANDARD: Derzeit klagt Philip Morris Uruguay. Das Land schreibt besonders große gesundheitliche Warnhinweise auf Zigarettenpackungen vor. Zugleich wurde Philip Morris untersagt, mehr als nur eine Marlboro-Sorte zu vertreiben. Wird Ihnen bei so einer Klage nicht mulmig? Das, was Uruguay da tut, muss ein Staat doch dürfen?

Schreuer: Aber bisher gibt es in dem Fall ja noch keine Entscheidung. Zu sagen, hier sollte es gar keine Klagemöglichkeit geben, nur weil einem der Kläger unsympathisch ist, widerspricht doch rechtsstaatlichen Grundsätzen. Und Vorsicht: Die Befürchtung, dass Investitionsschiedsgerichte Maßnahmen, die im öffentlichen Interesse sind, wie etwa Umweltschutzregeln oder Gesundheitsstandards, aushebeln könnten, ist unberechtigt. Selbst wenn ein Investor gegen Gesetze klagt, verlangen die Unternehmen Schadenersatz und nicht die Änderung der Gesetzeslage. Staaten sind berechtigt, ihre Politik durchzuführen: Sie können Aufträge entziehen oder Atomkraftwerke abschalten oder Gesetze ändern. Aber in manchen Fällen wird dafür eine Entschädigung fällig.

STANDARD: Aber auch Gesetze werden geändert. Südafrika hatte nach dem Ende der Apartheid ein Gesetz, wonach Minenaktien an Investoren mit schwarzer Hautfarbe übertragen werden mussten. Südafrika wurde von europäischen Minenbetreibern geklagt und musste das Gesetz zurücknehmen.

Schreuer: Das Ergebnis war ein Vergleich, nachdem ein südafrikanisches Gericht eine Enteignung festgestellt hatte. Das Verhalten von Staaten wird permanent von Gerichten überprüft: Denken Sie in Österreich an den Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof. Die ganze Aufregung entsteht nun, wenn es darum geht, dass internationale Gerichte staatliches Handeln prüfen sollen. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, dass man gar keine Kontrolle staatlichen Handelns möchte. Man kann ja darüber debattieren, ob einzelne Entscheidungen richtig sind oder nicht. Aber hier geht es nicht um Kritik an Entscheidungen, sondern darum, dass gewisse Leute nicht wollen, dass Unternehmen, die ihnen unsympathisch sind, überhaupt klagen dürfen.

STANDARD: Die Klagen beruhen auf Investitionsschutzabkommen, so wie es die EU und die USA auch miteinander abschließen wollen. In diesen Abkommen reichen doch oft vage Standards, etwa wonach Investoren "fair und gerecht" behandelt werden müssen, um eine Klage auslösen zu können.

Schreuer: Ja, wobei in den neueren Verträgen versucht wird, diese Begriffe genauer zu definieren. In den Entwürfen für die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA sind relativ präzise Definitionen vorgesehen. Dass auch allgemein gehaltene Begriffe eine juristische Bedeutung haben, ist übrigens nichts Besonderes: Denken Sie etwa nur an die Judikatur zum Gleichheitsgrundsatz in Österreich. In den Entwürfen zu den Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA ist übrigens auch vorgesehen, dass bei Maßnahmen im öffentlichen Interesse, die nicht diskriminierend sind und in einem rechtsstaatlichen Verfahren zustande gekommen sind, keine Entschädigungspflicht für Staaten entsteht.

STANDARD: Aber wozu braucht es überhaupt diese Abkommen zwischen westlichen Ländern? In den USA, in der EU funktionieren Gerichte ja unter Einhaltung aller rechtsstaatlichen Standards.

Schreuer: In vielen Bundesstaaten der USA finden Zivilklagen vor Geschworenengerichten statt. Ich will nicht behaupten, dass die US-Justiz nicht funktioniert. Aber es gibt Beispiele dafür, dass man als ausländischer Investor nicht zu seinem Recht kommt. Ausländische Investoren, die klagen müssen, sind in den USA und in Europa vergleichsweise gut dran. Aber in der Mehrzahl der Staaten weltweit gibt es keine wirklich unabhängigen Gerichte, an die man sich wenden könnte. Und immer gilt: Der Richter in einem Verfahren gegen seinen Staat ist ja ein Organ des Beklagten. Es gibt schon einen gewissen Interessenkonflikt zwischen seiner richterlichen Unabhängigkeit und der Tatsache, dass hier sein Arbeitgeber geklagt wird. (András Szigetvari, DER STANDARD, 5.4.2014)