Robert Musil (li.) in Südtirol, um 1915. Foto: Sammlung K. Corino

Foto: Sammlung Karl Corino

Im Saal ist das Gebirge. Und das Gebirge ist ein Wall. Denn in die Mitte des Ausstellungsraums im Erdgeschoß des Münchner Literaturhauses haben Constanza Puglisi und Florian Wenz ein trennendes Gebilde aus Kuben gestemmt. Das ein stilisierter Bergzug sein kann, oder ein Geröllfeld. Ein von einigen Durchgängen durchbrochenes hochgetürmtes Geröllfeld mit sieben großen Videomonitoren. Auf einem von ihnen läuft ein Film, auf den anderen sind im Wechsel Fotografien zu sehen aus den Jahren 1914 bis 1918.

Während das Literaturmuseum der Moderne in Marbach bei Stuttgart in seiner Schau August 1914. Literatur und Krieg schon im Design auf Abstraktion setzt und auf eine Vielzahl von literarischen Stimmen über den Ersten Weltkrieg, konzentriert man sich in München auf einen Mann im Krieg: Robert Musil.

Dieser verbrachte die vier Jahre des Ersten Weltkriegs als Soldat. Das Sonderbare und doch nicht Erstaunliche dabei: Der Autor der 1906 erschienenen Verwirrungen des Zöglings Törleß schrieb in diesen Jahren nichts Literarisches, lediglich Tagebuch, Briefe und Zeitungsartikel. Erst später tauchte der Krieg in seiner Prosa auf, in Grigia, in Die Amsel.

Chronologisch in zwölf Sektionen ist die von Reinhard Wittmann und Karolina Kühn kuratierte Schau unterteilt, die ab August auf Schloss Tirol in Südtirol zu sehen sein wird. Wissenschaftlicher Konsulent ist Karl Corino, der vielleicht beste Kenner von Musils Leben. Nach Schul- und Kadettenzeit schließt Musil ein Ingenieurstudium und den Militärdienst an, danach folgen ein Literatur- und Philosophiestudium und schriftstellerische Anfänge.

Dann der Kriegsausbruch. Musil, Offizier der Reserve, meldet sich freiwillig. Er wird anfangs am Ortler eingesetzt, eher Skiurlaub denn Kriegsdienst. Anfang 1915 versetzt man ihn nach Rovereto, dann ins Suganatal, wo er bei einem Flugzeugangriff fast getötet wird. Er kämpft 1915 am Isonzo in vorderster Front, wird 1916 Zeuge einer Lawinenkatastrophe in Arabba, erkrankt im Februar 1917 schwer, wird Redakteur der Tiroler Soldatenzeitung in Bozen, kommt ins Hauptquartier des Kommandanten der 5. k. u. k. Armee von General Borojevic in Adelsberg/Postojna. An Isonzo und Piave wurden Abnutzungsschlachten wie in Verdun oder Flandern geführt.

Leichen verpesten die Luft

Zwölf Isonzo-Schlachten gab es, hunderttausende Soldaten fielen. Sie wurden über nahezu ungangbares Gelände ins Mündungsfeuer gehetzt. Der Historiker Manfried Rauchensteiner zitiert in Der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie einen Brief des General Borojevic: "Die infernalisch wirkende feindliche Artillerie profitiert noch durch die Splitterwirkung des zertrümmerten Gesteins. Hinzu kommt, dass man die Leichen nicht bestatten kann. Sie verpesten die Luft. Leichenteile fliegen herum wie Feuer, was zur Folge hat, dass unsere Leute den Hunger verlieren und vor Ekel trotz reichlichster Nahrung herabkommen."

1918 wird Musil dem Wiener Kriegspressequartier zugeordnet und erlebt das Kriegsende und den Zusammenbruch des Habsburgerreiches in Wien. Bis zum Jahr 1988 waren aus Robert Musils Kriegsdienstzeit gerade einmal zwei Fotografien bekannt. Diese Schau zeigt nun zahlreiche Aufnahmen, davon einige bis vor kurzem kaum bekannt, dazu Dokumente, Schriftstücke, Verbandszeug, Schuhe, Uniformjacke. Der Krieg in der Höhe war ein fürchterlicher. Das führt der in dieser Schau gezeigte Film Si tutte le vette è pace (Über allen Gipfeln ist Ruh) eindringlich vor. Yervant Ganikian und Angela Ricci Lucchi montierten 1998 Originalaufnahmen des Mailänder Kriegsfilmpioniers Luca Comerio.

Der Krieg war für Musil, und das wird in München etwas unterbelichtet, von vitalistischer Bedeutung, quasi religiös. Wozu Musil auch nach 1918 noch stand. Etwas verharmlosend schrieb er vom "Bedürfnis nach 'metaphysischem Krach'". Und eignete sich zugleich im Krieg einen analytischen Blick an. Die Suche nach dem "anderen Zustand" in seiner Prosa, vor allem im Mann ohne Eigenschaften, hat in den vier Jahren, die ihm geraubt vorkamen, ihren Ausgang. (Alexander Kluy, DER STANDARD, 15.4.2014)