Wien - Der Österreichische Hausärzteverband startet eine Kampagne für eine Abmeldung der Patienten von der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA). Der Präsident des Verbandes, Christian Euler, forderte am Donnerstag in einer Pressekonferenz die Versicherten auf, von der seit Jahresbeginn bestehenden Möglichkeit des Austritts aus dem ELGA-System unverzüglich Gebrauch zu machen.

Warnung vor Datenmissbrauch

Der Verband wird seinen rund 3.850 Hausärzten mit Kassenvertrag in den nächsten Tagen Plakate zur Verfügung stellen, die sie in ihren Ordinationen aufhängen sollen. Zudem wird es Flugblätter geben, in denen den Patienten Argumente gegen ELGA erläutert werden. "Ihr Hausarzt empfiehlt: Raus aus ELGA" steht darin zu lesen, gemeinsam mit der Telefonnummer, unter der die Abmeldung möglich ist. Mitgeliefert werden auf dem Plakat auch gleich zehn Gründe für einen Ausstieg. Angeführt wird da etwa, dass das System völlig unausgereift, Datenmissbrauch und eine Kostenexplosion zu erwarten seien, es sich um ein Bürokratiemonster ohne Notwendigkeit handle sowie das Scheitern des Projekts programmiert sei.

Euler betonte, dass man weder Druck auf die Patienten noch auf die Ärzte ausüben wolle. Sein Verband sehe aber eine "Aufklärungspflicht" gegenüber den Patienten. Und der Hausärzteverband hofft, auch weitere Partner für seine Aktion zu finden und die Ärztekammer, die ELGA ebenfalls ablehnt, in Zugzwang zu bringen.

Ärzte: Vertraulichkeit nicht garantiert

Nach Eulers Meinung könnten die Ärzte die Vertraulichkeit der Patientendaten nicht mehr garantieren. Sie müssten die Patientendaten für die Einschau Dritter offenhalten, behauptete er. Die ärztliche Schweigepflicht wäre damit Geschichte. Zu befürchten wäre nicht so sehr Cyber-Kriminalität, sondern der ganz legale Gebrauch der Daten durch Ämter und Behörden, der vom Gesetzgeber jederzeit bedarfsgerecht adaptiert werden könnte, behauptete Euler.

ARGE Daten: Projekt ist unausgegoren

Unterstützt wird der Aufruf der Hausärzte auch vom Obmann der ARGE Daten, Hans Zeger. Er bekenne sich zwar zu einer elektronischen Gesundheitsinformation, ELGA sei aber eine "Mogelpackung", die wie die "Theresianische Kanzleiordnung" organisiert sei. Für ihn ist das Projekt völlig unausgegoren und aus EDV-Sicht aberwitzig. Zeger hält ELGA für eine "Art Vorratsdatenspeicherung" im Gesundheitswesen, wo riesige Datenmengen angehäuft würden und für den Arzt keine gezielte Suche nach speziellen Daten möglich sei. Der ARGE-Daten-Obmann würde sich erwarten, dass der Arzt nur jene Daten bekommt, die er tatsächlich braucht. Er forderte Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) auf, "keine Experimente mit echten Gesundheitsdaten" zu machen.

Sowohl Zeger als auch die Bundessekretärin des Hausärzteverbands und Vizepräsidentin der Wiener Ärztekammer, Eva Raunig, bekräftigten ihre Auffassung, dass ELGA verfassungswidrig sei. Sie verwiesen auf entsprechende Stellungnahmen von Verfassungsexperten, wie etwa Heinz Mayer, wonach vor allem die Opting-out-Regelung, wonach Patienten so lange automatisch im System sind, bis sie sich aktiv abmelden, der Verfassung widerspreche. Der Hausärzteverband will deshalb auch den Verfassungsgerichtshof anrufen. 

Stöger verteidigt Gesundheitsakte

In der ersten Woche haben sich etwas mehr als 1.800 Patienten von der ELGA abgemeldet. Ihren vollständigen Austritt aus dem ELGA-System haben mit Stand von Donnerstag nach Angaben des Gesundheitsministeriums 1.503 Versicherte erklärt. Zusätzlich haben sich 169 Personen von der E-Medikation und 156 von den elektronischen Befunden abgemeldet. Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) hat diese Anzahl an Widersprüchen "durchaus erwartet", wie er erklärte. Sein Ressort verweist darauf, dass es die meisten Austritte am 7. Jänner, dem ersten Tag nach den Weihnachtsferien gegeben habe. Seither sei die Zahl der Abmeldungen zurückgegangen und habe sich eingependelt. Stöger will jetzt Aufklärungsarbeit leisten und ist "überzeugt, viele werden sich bald, spätestens aber, wenn sie die Vorteile nach dem Start von ELGA sehen, wieder anmelden".

ELGA ist für Stöger wichtig, weil sie den Patienten viele Vorteile bringe. Er verwies auf "mehr Sicherheit und mehr Qualität der Behandlung, Zeitersparnis, weil Mehrfachuntersuchungen wegfallen". Außerdem bringe sie ein Mehr an Datenschutz und Datensicherheit, weil die Patienten erstmals wissen werden, was mit ihren Daten passiert und wer auf ihre Daten zugreift. Schließlich werde auch die Kommunikation unter den Ärzten verbessert, argumentiert der Gesundheitsminister.

Schelling: Üble Desinformation durch Ärzte

Heftig reagierte der Vorsitzende des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Hans Jörg Schelling, auf die ELGA-Kritik des Hausärzteverbands. "Die üble Desinformation und versuchte Manipulation durch Teile der Ärzteschaft ist unerträglich und mit der Ethik eines Arztes nicht vereinbar", stellte Schelling in einer Aussendung fest. Und weiter: "Abmeldung kann Ihre Gesundheit gefährden. Zu Risiken und Nebenwirkungen des Ausstiegs fragen Sie nicht Ihren Arzt."

Sozialversicherung sieht viele Vorteile

Schelling zeigte sich auch überzeugt, dass die Versicherten vernünftig genug seien, nicht vorzeitig aus dem System auszusteigen, weil die Vorteile so eindeutig seien. Wer will schon zweimal zur Blutabnahme, sich mehrmals gefährlichen Strahlungen aussetzen oder auf den Check von Wechselwirkungen bei der Verschreibung von Medikamenten verzichten. Der Vorteil von ELGA sei es, den behandelnden Ärzten rasch und sicher einen Überblick über die aktuellen Informationen wie die verschriebenen Medikamente und deren Wechselwirkungen, Entlassungsbriefe von Krankenanstalten, Labor- und Röntgenbefunde für die Diagnose und Therapie eines Patienten zu verschaffen.

Unterstützung von der Ärztekammer

Ideelle Unterstützung erhält der Hausärzteverband hingegen von der Ärztekammer. Praktisch unterstützen werde die Ärztekammer die Kampagne des Hausärzteverbands gegen ELGA allerdings nicht, weil es dafür derzeit keinen Beschluss der zuständigen Bundeskurie gebe, hieß es auf Anfrage. Der Obmann der Niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart, teilte aber in einer Aussendung die Kritik des Hausärzteverbands. ELGA sei IT-technisch Steinzeit, koste aber Unmengen an Steuergeld. Die Attacken Schellings sind für Steinhart ein Beleg dafür, dass die ELGA-Befürworter durch die Abmeldungen schon nervös geworden seien.

Grüne sehen Probleme bei Datenschutz

Die Grünen sind nicht grundsätzlich gegen elektronische Systeme zur Verwaltung von Gesundheitsdaten, ELGA müsse aber sicherer und anwenderfreundlicher werden, fordert Gesundheitssprecherin Eva Mückstein in einer Aussendung. Grundlegende Probleme sieht sie vor allem noch im Bereich des Datenschutzes.

Entschieden abgelehnt wird ELGA vom Team Stronach - Gesundheitssprecher Marcus Franz sprach von einem "gesundheitspolitischen Irrwitz". Mit dem Ausstieg des Hausärzteverbands sei ELGA völlig wertlos geworden. Franz verlangt einen kompletten Neustart und eine Speicherung der Gesundheitsdaten auf der E-Card.

FPÖ empfiehlt Ausstieg

Auch die FPÖ empfiehlt allen Versicherten, sich von der Elektronischen Gesundheitsakte abzumelden. "Die Datensicherheit ist nicht gewährleistet. Dem Missbrauch der sensiblen Patientendaten ist somit Tür und Tor geöffnet", erklärte Wissenschaftssprecher Andreas Karlsböck, der auch die Kampagne des Hausärzteverbands unterstützt.

Patientenanwalt: "Stimmungsmache der Ärzte"

Patientenanwalt Gerald Bachinger wies hingegen die Kritik des Hausärzteverbands an ELGA als "Stimmungsmache und Agitation der ärztlichen Standespolitik" zurück. Er erwartet durch ELGA höhere Qualität der Diagnose und Behandlung, mehr Patientensicherheit, besseren und leichteren Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten, eine Stärkung der Patientenautonomie und vor allem ein kundenfreundlicheres Service, etwa durch den Entfall von Selbstabholung und Übermittlung von Befunden. (APA, 9.1.2014)