Seit einer Woche sorgt eine Massenabmahnung der Porno-Seite Redtube für Schlagzeilen

Screenshot: WebStandard

Mit dem Siegeszug des Internet in den 1990er Jahren kam auch die Massenabmahnung wegen Urheberrechtsverletzung auf. Mit einer Massenabmahnung der Porno-Seite Redtube hat dieses Geschäft in Deutschland neue Ausmaße erreicht. Das Wall Street Journal Deutschland sprach mit dem Düsseldorfer Anwalt und Blogger Udo Vetter, der die Abmahnungen eine rechtswidrige Abzocke nennt. Redigierte Auszüge aus dem Gespräch.

In Falle der Massenabmahnung der Kanzlei Urmann + Collegen im Auftrag der Firma The Archive wurden nicht wie sonst üblich Nutzer von Filesharing-Börsen abgemahnt, sondern Besucher einer Porno-Website für Videostreams. Wie geklärt oder ungeklärt ist hier die Rechtslage?

Aus meiner Sicht ist das genau auf den konkreten Fall bezogen recht eindeutig. Es gibt hier nicht nur eine, sondern mindestens zwei juristische Hürden, die diese Abmahnungen jetzt nicht übersteigen können. Die erste Hürde: Nach dem Urheberrechtsgesetz kommt eine Urheberrechtsverletzung nur dann in Betracht, wenn eine sogenannte Vervielfältigung stattfindet. Und Vervielfältigung bedeutet wie das Wort schon sagt, dass eine Kopie gemacht wird.

Die Kanzlei Urmann + Collegen geht davon aus, dass diese Kopie durch Speicherung im Cache des Browsers entsteht …

Das ist nach überwiegender Auffassung von Juristen nicht das, was mit Vervielfältigung gemeint ist. Was der Kollege Urmann da in seinen Stellungnahmen jetzt sagt – „Progressive Downloading" – hört sich im ersten Moment sehr interessant an, hat aber natürlich, abgesehen vom juristischen, auch eine sehr tatsächliche Schwäche. Progressive Downloading bedeutet in der üblichen Praxis bei Browsern, dass die nur einen sogenannten Buffer anlegen – das bedeutet, dass sie immer nur ein kleines Stückchen zwischenspeichern, damit die Übertragung ruckelfrei läuft. Jetzt habe ich gerade mit einem Fachinformatiker gesprochen. Der sagt, dass man die normalen Browser inzwischen auch so einstellen kann, dass zum Beispiel überhaupt keine Zwischenspeicherung stattfindet. Daran sieht man auch, was das für ein Humbug ist, zu behaupten, da würde eine Kopie erstellt, die irgendwie nutzbar ist. Im Zweifel, ich sag Ihnen es ganz offen, kann Ihnen der Herr Urmann oder die Firma The Archive AG nie im Leben nachweisen, dass sie einen Zwischenspeicher installiert hatten.

Und die zweite Hürde?

Der zweite Punkt ist natürlich der interessantere, nämlich der, woran das jetzt zu 99,9 Prozent – bei deutscher Justiz darf man ja nie sicher sein – scheitert: Selbst wenn es eine Vervielfältigung sein sollte, ist das Schauen eines Streams immer noch eine zulässige Privatkopie, die unser Urheberrecht ja immer noch vorsieht – weil das Gesetz nur dann eine Vervielfältigung untersagt, wenn die Vorlage – hier zum Beispiel die Datei im Internet – aus einer offensichtlich rechtswidrigen Quelle stammt. Und das ist im Urheberrechtsgesetz ganz eindeutig so formuliert. Das ist der große Unterschied zu Portalen, die hier bisher in der Diskussion waren wie Kino.to. Da musste jedem klar sein, dass die neusten Kinofilme nicht kostenlos im Internet erhältlich sind, wenn sie noch gar nicht im Kino angelaufen sind. Das ist natürlich bei Redtube etwas völlig anderes. Redtube ist ja also ungefähr das Youtube der Pornografie, das ist eine Seite, die hat hunderte Millionen Nutzer weltweit.

Spielt es eine Rolle, dass es sich um eine Porno-Website handelt?

Die Firma dahinter, Mindgeek, ist völlig offiziell und völlig legal, und es gibt für den Nutzer überhaupt keine Hinweise darauf, dass hier möglicherweise Inhalte eingestellt werden könnten, die das Urheberrecht verletzen. Im Prinzip sind das ja Teaser. Das alles führt dazu, dass sich aus meiner Sicht über diese zweite Hürde nicht ernsthaft diskutieren lässt. Der Rechtsanwalt Urmann erweckt in seinen etwas nebulösen Stellungnahmen ein bisschen den Eindruck, als würde sich die Rechtswidrigkeit daraus ergeben, dass es sich um Pornografie handelt. Nach dem Motto: Das ist ja etwas völlig anderes, als wenn ich mir Katzenbilder oder Urlaubsvideos auf Youtube ansehe. Urheberrechtlich ist es kein Unterschied – denn das Urheberrecht fragt nicht nach Moral und Sitte.

Wie genau ist die Kanzlei an die IP-Adressen der Nutzer gekommen?

Da schwebt noch unglaublich viel Nebel über der ganzen Landschaft. Es soll sich ja um Streams handeln, die auf der Seite Redtube.com angesehen wurden – nach Behauptung der Anwälte. Die Firma Mindgeeks hat nach meiner Kenntnis inzwischen erklärt, dass sie keinerlei Kontakte zu der Firma The Archive oder den Rechtsanwälten Urmann oder Sebastian haben. Dieser Erklärung kann man entnehmen, dass die Firma Mindgeeks von Redtube keinerlei Daten von sich aus zur Verfügung gestellt hat. Die wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie so eine Aktion unterstützen würden – das untergräbt ja ihr Geschäftsmodell, denn jetzt geht da ja keiner mehr hin – zumindest aus Deutschland nicht. Man weiß es also nicht. Im Moment geht die Diskussion in die Richtung, ob die Firma The Archive oder vielleicht auch die beteiligten Rechtsanwälte tief in die Trickkiste gegriffen haben – in Richtung Skimming von Daten. Ich bin da kein Superexperte – aber am häufigsten wird die Theorie diskutiert, dass sie die Filme selber eingestellt haben auf Redtube, was ja geht – und dann entweder über die daneben von ihnen geschalteten Werbebanner beziehungsweise über die Manipulation dieser Filmdatei, die sie da eingesetzt haben, die Möglichkeit hatten, zu protokollieren, ob jemand auf den Stream zugreift. Sie haben möglicherweise ohnehin nur protokolliert, wer die Werbebanner angeklickt hat. Viele Nutzer sagen auch: „Amanda's Secrets? Nie von gehört."

Das Landgericht Köln hat sich im Nachgang zu der Geschichte ja bereits selbstkritisch geäußert. Wurde das Gericht hier in die Irre geführt oder handelt es sich um Inkompetenz?

Ich gehe eigentlich von beidem aus. Erst mal gehe ich davon aus, dass die Anwälte sehr bewusst einen Antrag gestellt haben, der dem Gericht zumindest den Eindruck gab, dass es sich hier um 08/15-Filesharing-Anfragen handelt. Da gehen ja jeden Tag Hunderte solche Anfragen rein – praktisch das ganze Landgericht Köln ist ja mit den Dingern beschäftigt, weil sie für die Telekom zuständig sind. Ich sag's ja mal so wie es ist: Wenn ich Richter bin, will ich doch nicht den ganzen Tag immer denselben Scheiß lesen. Das sind ja alles immer wieder vorformulierte Texte. Der Antrag erweckt den Eindruck, es würde sich um eine normale Filesharing-Anfrage handeln – was sich ja dann auch daran zeigt, dass das Gericht in seinem Beschluss immer nur von Tauschbörsen spricht. Allerdings muss man sagen: Die Anwälte haben das sehr geschickt gemacht, sie haben diese Begriffe selber nicht verwendet – sie haben das ein bisschen im Nebulösen gelassen. Worin aber eine Irreführung des Gerichts durchaus liegen dürfte: Dass sie ein technisches Vorgehen zur Erlangung der IP-Adressen beschreiben, das eigentlich nur bei Tauschbörsen funktioniert. So ist das wahrscheinlich aus einer Gemengelage zwischen geschickter Formulierung und fahrlässigem Schnelllesen – ich will ja keinem Richter zu nahe treten – zustande gekommen. Es gibt ja wohl auch Kammern am Landgericht Köln, die die Anträge zurückgewiesen haben. Da sieht man auch die Nachteile der richterlichen Freiheit. Da findet zwischen den Kammern offensichtlich kein Austausch statt. Wahrscheinlich haben die Richter den Antrag zurückgewiesen, die selber schon mal auf Redtube waren, die wissen dann worum es geht.

Gestern hat die Piratenpartei eine Vereinbarung zwischen der Kanzlei Urmann + Collegen und einem Rechteinhaber online gestellt. Der Anwalt Christian Solmecke hat sich bereits dazu geäußert und vermutet eine illegale Erfolgsvereinbarung. Sehen Sie das auch so?

Erst mal muss man natürlich feststellen, dass die Vereinbarung, die da jetzt geleakt ist, eine Vereinbarung mit einem anderen Kunden von U+C ist, soweit ich es gehört habe. Nur ist es natürlich so, dass die Umstände jetzt bei dieser The-Archive-Abmahnung zumindest einen bösen Verdacht wecken, nämlich dass die Anwaltshonorare, die von den Abgemahnten gefordert werden, von den Rechteinhabern nicht gezahlt werden. Dieser Verdacht entsteht auch, weil U+C – wie der Kollege Solmecke zutreffend sagt – solche zweifelhaften Vereinbarungen schließt, die offensichtlich auf eine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften angelegt sind. Zweitens ist dieser Fall auch ein besonders krasses Beispiel dafür, dass das wirtschaftlich sogar gehen dürfte. Wenn sich die Firma The Archive ernsthaft dazu verpflichtet haben sollte, den Anwälten U+C die Anwaltshonorare zu zahlen für jede einzelne Abmahnung, die ja jetzt geltend gemacht werden, dann sind wir – wenn wir von 100.000 Abmahnungen ausgehen – bei einer Summe von 25 Millionen Euro. Und lassen Sie es nur ein Fünftel der Summe sein – dann sind wir immer noch bei 5 Millionen Euro. Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, woher diese Firma The Archive überhaupt dieses Geld haben sollte. Das ist ja jetzt nicht Warner Brothers oder Sony, das ist ja offensichtlich eine eilig gegründete Klitsche.

Gehen Sie von so vielen Abmahnungen aus? Christian Solmecke sagte, er gehe persönlich von 20.000 bis 30.000 Abmahnungen aus.

Ich hatte aufgrund der Nachfragen zum Thema das Gefühl, das müssten deutlich mehr sein.

Wie viele Anfragen haben Sie persönlich von Betroffenen bekommen?

Obwohl ich ja nun Fachanwalt für Strafrecht bin, haben wir in den letzten drei Tagen bestimmt 300 bis 400 Anfragen gehabt. Wobei rund die Hälfte davon wiederum auch auf das Konto dieser Trittbrettfahrer geht, die die Mails geschickt haben. Da kann man den Leuten natürlich sagen: Passen Sie auf, das ist eine gefälschte Mail, da brauchen Sie gar nichts zu machen. Man muss aber sagen, dass die Resonanz bei dieser Abmahnwelle im Vergleich zu anderen Abmahnwellen bei Filmen und so weiter das Fünf- bis Zehnfache ist. Es ist schon eine Abmahnwelle, die neue Dimensionen hat. Nach meinem Eindruck ist das sicher die größte Abmahnwelle, die wir jemals hatten.

Kommen die Abgemahnten ohne Anwalt aus der Geschichte wieder raus?

Diese Abmahnung ist auf Abzocke ausgerichtet. Das heißt, es geht den Anwälten und insbesondere dieser Firma, die hinter ihnen steht, nicht darum, Gerichtsprozesse zu führen. Die Methodik ist ja klar: Es reicht ja schon, wenn 10 oder 15 Prozent der Leute zahlen, dann ist natürlich ein gigantischer Gewinn in der Kasse. Das ist dasselbe Modell wie beim Filesharing: Wie viele Leute abgemahnt werden beim Filesharing und wie viele dann tatsächlich verklagt werden – da sind Sie ja im untersten Promillebereich. Da passiert ja nichts – juristisch gesehen – außer ein, zwei Klagen, die dann mal pro forma eingereicht werden, damit es nicht heißt, da passiert gar nichts. Bei den Leuten, die jetzt eine Abmahnung bekommen haben, kann ich sagen: Die Abmahnung ist ganz klar rechtswidrig. Wegen einer rechtswidrigen Abmahnung, die unwirksam ist, muss man keine Unterlassungserklärung abgeben. Wozu ich allerdings auch nicht rate, ist, gar nichts zu machen, sondern der Kanzlei U+C unter den bekannten Kontaktdaten und unter Angabe des Aktenzeichens zu widersprechen. Dazu genügt ein Satz: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich widerspreche der Forderung." Das geht per Mail oder man kann da auch per Fax und per Post und von mir aus mit Einschreiben und Rückschein machen. Man braucht für diesen Widerspruch keinen Anwalt.

Es gab ja bereits Urteile wegen geschäftsmäßiger Massenabmahnungen. Ist das Verhalten von U+C oder The Archive möglicherweise strafrechtlich relevant?

Ich möchte einleitend auf meinen Blogeintrag von gestern verweisen, der hieß: Am Ende eine Prise Gerechtigkeit. Da habe ich durchaus genüsslich über die Geschichte eines Anwalts referiert, der jetzt vom BGH verurteilt worden ist – der hat damals mit der Gewinnspieleinträge-Mafia kooperiert und viel Geld von denen bekommen. Der ist jetzt zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Ich sehe in diesem Fall durchaus Ansatzpunkte dafür, dass eine Strafbarkeit vorliegen könnte. Ich sag's mal so: Wenn ich ein cleverer Staatsanwalt wäre, der Karriere machen will, dann würde ich mir diese Geschichten mal näher angucken. Denn als Staatsanwalt würde ich einen Anfangsverdacht auf schweren gewerbsmäßigen Betrug bejahen. Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs, den ich da zitiert habe, geht hervor, dass Anwälte schon ein bisschen die Augen aufmachen müssen und nicht alles unterstützen dürfen, was ihre Mandanten da wollen. Ein Punkt übrigens noch, der mich als Staatsanwalt brennend interessieren würde, ist, dass Redtube ja in den USA sitzt. In den USA ist es für jeden Anbieter so supersimpel, einen möglicherweise urheberrechtswidrigen Film von ihm aus irgendeinem Internetportal zu entfernen – das geht über diese Ihnen ja auch bekannte DCMA-Notice. Da gibt es ja sogar Online-Systeme, wo sie als Rechteinhaber praktisch nur drei Klicks machen müssen, und dann wird dieses Video erst mal gesperrt. Alleine schon der Umstand, dass die Firma, die diese dubiosen Mini-Filmchen jetzt abmahnt, davon keinen Gebrauch gemacht hat, spricht schon dafür, dass es hier nicht um die Verteidigung von Urheberrechten geht.

Wissen Sie etwas von Anzeigen?

Ja, ein engagierter Kollege hat bereits Anzeige erstattet. Natürlich steht es jedem frei, eine Anzeige zu erstatten, wenn er sich ärgert – aber man kann davon ausgehen, dass das schon dutzendfach passiert ist. (STEPHAN DÖRNER, WSJ.de/derStandard.at, 14.12. 2013)