Alte Dame mit neuem Geschäftsmodell: Bernadette Lafont findet als Paulette im Drogengeschäft eine lukrative Sonderpension.

Foto: polyfilm

Wien - Äußerlich sieht die alte Dame mit ihrem Kopftuch, dem dicken Schal und der altmodischen Handtasche harmlos aus. Doch Paulette, die Titelheldin aus Jérôme Enricos Filmkomödie, ist keine der Guten. Die frühere Inhaberin einer Bäckerei hat seit dem Tod ihres Mannes viel Frust in sich angehäuft. Sie darbt unter der Armutsgrenze dahin, in einem schäbigen Banlieue-Turm, dem Block "Victor Hugo". Am Gemüsestand weiß sie sich mit spitzen Ellbogen durchzusetzen. Menschen mit anderer Hautfarbe gönnt sie nicht einmal das - nur der von ihr geschätzte dunkelhäutige Priester hätte es in ihren Augen "verdient, ein Weißer zu sein".

Figuren wie Paulette muss man nicht mögen, um über sie lachen zu können. Um sie zu spielen, benötigt es eine Bosheit, die sich schlagartig offenbart und einen unvorbereitet trifft. Bernadette Lafont, die vergangenen Donnerstag 74-jährig gestorben ist, ist dafür eine ausgezeichnete Wahl. Die durch ihre Arbeiten mit Chabrol und Truffaut bekannt gewordene Schauspielerin wurde schon als junge Frau oft als "salope" besetzt, als liederliches Wesen mit einigen verbrecherischen Energien.

Diese kommen nun auch in Paulette zum Vorschein, allerdings erst im Zuge einer Verschiebung, die für die neuere französische Komödie symptomatisch ist: Zwei gegensätzliche Milieus werden so eng zusammengeführt, bis sich darin auch ein Moment von "culture clash" entlädt.

In diesem Fall ist es eine rüstige Rassistin, die per Zufall in den vor allem von Zuwanderern bestimmten Drogenhandel einsteigt. Die Neo-Dealerin erweist sich im harten Verdrängungswettbewerb auf der Straße trotz Einschüchterungsversuchen schnell als profitabel. Das gelingt vor allem dadurch, dass sie sich ihrer eigentlichen Qualitäten als Zuckerbäckerin besinnt und auf diese Weise gleich zweierlei Suchtverhalten so geschickt bedient, dass die Kunden vor ihrer Haustüre Schlange stehen.

Wie schon Intouchables (Ziemlich beste Freunde) wurde Paulette in Frankreich zum Millionenhit - die Komödien werden der Grande Nation zum Spiegel, auf dem sich die Risse im gesellschaftlichen Gefüge heiter verzerren. Das Erfolgsgeheimnis liegt wohl darin, dass diese Filme ihre Späße nicht bis zu jenem Punkt vorantreiben, wo es wirklich schmerzt - Polizisten werden in Paulette an der Nase herumgeführt, illegale Aktivitäten verniedlicht, die soziale Ordnung bleibt indes unangetastet.

Ein wenig bedauernswert ist dies schon: Der Grundgedanke des Films, die Angleichung einer prekarisierten Gruppe an eine andere, hätte noch radikalere Zuspitzungen erlaubt. So kann man sich immerhin an einem Kuchen backenden Omakränzchen (neben Lafont etwa auch Carmen Maura) erfreuen, das sich selbst zu helfen weiß - und etwa eingeraucht mit teenagerhafter Freude obszöne Telefonanrufe macht. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 1.8.2013)