Insbesondere die Politik ist gefordert, urteilt Max Schrems.

Foto: Der Standard/Cremer

Am 8. Juli stellte sich Max Schrems, Mitinitiator und Sprecher der Initiative "Europe vs. Facebook" den Fragen der WebStandard-UserInnen. Im Chat sprach er über Datenschutz, Überwachung und erklärte, wieso der "Wilde Westen" im Netz gezähmt werden muss.

NSA-Anzeigen als Grundrechts-Experiment

Die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden haben die Öffentlichkeit sensibilisiert. Das Ausmaß der Überwachung überschreitet das bisher bekannte Maß und betrifft so gut wie jeden, der digital kommuniziert.

Mit den Anzeigen gegen die europäischen Ableger von Facebook, Google und Co. will die Initiative nun herausfinden, ob "Grundrechte in der EU funktionieren". Schrems attestiert im Lichte der Überwachungsaffären, dass es kaum möglich ist, eben diesen Diensten zu entsagen, ohne sich selbst "extrem zu beschneiden".

"Ich glaube, wir müssen aus dem 'Wilden Westen' im Netz etwas machen, wo ich als Nutzer auch stressfrei online sein kann", so Schrems. Er selbst wird verschiedene Dienste weiter nutzen, auch weil seinen Gesprächspartnern die Alternativen fehlen.

"Elfmeter" für die Behörden

Um gegen die Unternehmen vorzugehen braucht es allerdings juristische Druckmittel – denn Zeitungsartikel und Interviews mit Snowden reichen da nicht aus. Die Anzeigen zielen auf den Datenexport, die betroffenen Unternehmen müssen nun belegen, dass bei ihnen die Daten sicher sind. Gedacht ist dies als "Elfmeter für die Behörden", die im Sinne ihrer Bürger tätig werden sollen. In Deutschland sind staatliche Datenschützer bereits aktiv geworden.

Einreiseprobleme

Inwieweit Prism und Co. österreichische Bürger betrifft, vermag Schrems noch nicht zu beantworten. Er vermutet, dass es noch "viele Jahre" dauern wird, bis in dieser Angelegenheit vollständiger Durchblick geschaffen ist.

Er selbst hatte bereits Probleme bei der Einreise in den USA. Wohl über seine Tätigkeit bei "Europe vs. Facebook" dürfte er auf einer Sonderliste gelandet sein und musste sich einer "Spezialdurchsuchung" stellen. Genauere Auskünfte erhielt der von seiner Fluglinie, die die Daten aus den USA erhalten hat, nicht. Ein US-Kontakt von Schrems vermutete, dass dies auch durch die Fremdbezahlung seines Tickets und mehrere Sitzplatzwechsel zustande gekommen sein könnte.

Digitales Wettrüsten

Im Kampf um Privatsphäre im Netz erkennt Schrems ein gegenseitiges "Hochrüsten". Wechseln die User vermehrt auf Tor, VPN und HTTPS, reagieren die Geheimdienste damit, die Quellen – also die Server von Google, Facebook und Co. - direkt abzusaugen.

"Wir kommen da in einen Strudel", meint Schrems. "Das ist in etwa so, wie wenn zu viele Morde passieren und die Reaktion ist, dass man in gepanzerten Autos durch die Stadt fährt. Wir brauchen da 'erwachsenere' Lösungen." Und diese bestehen darin, derzeit nur auf dem Papier existierende Grundrechte in der Praxis durchzusetzen.

"Uns wird der Datenschutz unter dem Hintern weglobbyiert"

Dafür müssen allerdings auch Politiker auf Europaebene aktiv werden, auch weil die Snowden-Leaks trotz aller Bemühungen des Guardian nicht ewig am Tapet bleiben werden. Während die österreichische Regierung laut Schrems in Brüssel als "Datenschutztiger" gilt, vermisst er auf Seiten konservativer und liberaler Kräfte das Problembewusstsein.

Bei der aktuellen Diskussion um die in Überarbeitung befindliche EU-Datenschutzverordnung ortet der Jurist Rückenwind in der öffentlichen Debatte. Er warnt jedoch davor, sich in Sicherheit zu wiegen. "Uns wird gerade der Datenschutz unter dem Hintern weglobbyiert", sagt er. "Die Verordnung wird alle nationalen Gesetze ersetzen und da ist es extrem problematisch, weil es hunderte Ausnahmen für gewisse Gruppen gibt", sagt Schrems. Es bestehe die "große Gefahr", dass am Ende weniger Datenschutz herauskommt, statt mehr.

"Bin kein Freund davon, den ganzen 'Heuhaufen' zu überwachen"

Schrems kann der Begründung "Terrorabwehr" für Überwachungsmaßnahmen wenig abgewinnen. Er verweist darauf, dass die Ergebnisse der Überwachung oft für ganz andere Dinge verwendet werden – etwa Industriespionage. "So schlimm diese Attacken sind, wir erlauben den Terroristen erst, unser Leben zu beeinflussen, wenn wir unsere Freiheit stark einschränken", meint der "Europe vs. Facebook"-Sprecher. "Ich bin kein Freund davon, den ganzen 'Heuhaufen' zu überwachen, um die Stecknadel zu finden."

Standards vorhanden

Auf gesetzlicher Ebene wünscht sich Schrems eine "Verordnung" offener Netze, wie es bei anderer Infrastruktur wie dem Stromnetz oder den Eisenbahnen bereits der Fall ist. Entsprechende Standards, um datenschutzkonform ein österreichisches Netzwerk zu verwenden und trotzdem noch mit Facebook-Freunden kommunizieren zu können, wären laut Schrems vorhanden.

Irischer Protektionismus

Skepsis gegenüber "Europe vs. Facebook" hält er entgegen, dass man "mehr erreicht" habe, als andere zuvor – etwa die Abschaffung der neuen Datenschutzrichtlinien und Gesichtserkennung oder die Erzwingung einer Möglichkeit, alte Daten von sich löschen zu lassen.

Trotzdem ist man diesbezüglich nicht am Ende angelangt. Eine große Hürde sind die irischen Behörden, die laut Schrems Facebook schützen. Das Unternehmen hat dort, wie auch andere Online-Dienstleister, seinen Europa-Sitz. Irland scheint die ansässige IT-Industrie nicht verärgern zu wollen.

Konsumentenschutzverein für digitale Dienste

In Sachen NSA geht es der Initiative derzeit um zwei Dinge: Auskünfte der Behörden, ob die Weitergabe von Daten an die NSA legal ist sowie die Verpflichtung der betroffenen Unternehmen, in Europa Stellung zu nehmen, ohne der Verschwiegenheitspflicht nach US-Recht genüge tun zu müssen.

Schrems überlegt, einen Konsumentenschutzverein mit Datenschutz-Fokus ins Leben zu rufen, der als NGO User gegenüber den Webdienstleistern vertritt. "Was wir mit Facebook gemacht haben, kann man schnell auch mit Twitter, Google, Apple oder [im Bezug auf] Handy-Apps machen", so Schrems. "Aber es braucht viele Leute auf vielen Ebenen, die das unterstützen."

"Sehe das alles eher stressfrei"

Um sein Leben fürchtet Schrems ob seiner Arbeit in Sachen Datenschutz und Überwachung nicht.  "Meine Mum hat als erste Reaktion [Anm.: auf die Anzeigen im Zusammenhang mit Prism] gemeint: 'Die schicken sicher einen russischen Killer'. Bisher geht es mir ganz gut", scherzt Schrems. "Ich nehme das alles – und mich selbst – nicht so wahnsinnig ernst und daher sehe ich das alles eher stressfrei." (gpi, derStandard.at, 08.07.2013)