Aber Symbolthemen sagen oft sehr viel aus über den Zustand einer Gesellschaft bzw. deren Veränderung:

Bestes Beispiel ist der Dr.-Karl-Lueger-Ring in Wien, der nun in "Universitätsring" umbenannt wurde. Dem Wiener Bürgermeister Lueger verdankt Wien einen guten Teil seiner Infrastruktur, die heute noch funktioniert; er war aber auch der erste demokratische Politiker, der einen üblen Antisemitismus kanalisierte, instrumentalisierte und als Mittel moderner Massenpolitik einsetzte. Es gibt immer noch ein Lueger-Denkmal, einen Luegerplatz usw. Die Umbenennung der Ringstraße vor der Universität war als Signal sehr wichtig.

Angst und großdeutsche Neigungen

Wohl als Reaktion darauf wurde vom ehemaligen Salzburger Landeshauptmann Schausberger, der sich auch als Historiker habilitiert hat, die Umbenennung des Dr.-Karl-Renner-Rings vor dem Parlament in die Debatte geworfen. Renner war einer der Gründungsväter der Ersten und der Zweiten Republik; in einem der entscheidenden Momente in den letzten Kriegstagen 1945 hat er die Gunst der Stunde (und der Russen) genutzt, um den Staat wieder zu begründen, und hat sich dabei sehr geschickt verhalten.

Aber er war auch ein ziemlicher Opportunist, trat öffentlich für den Anschluss an Hitler-Deutschland ein (sicher auch aus Angst, aber auch wegen seiner großdeutschen Neigungen) – und äußerte sich noch in den 1950er-Jahren, nachdem man um das Ausmaß des Holocaust wusste, sozusagen auf alltagsantisemitische Weise.

Alltagsantisemiten waren sie alle

Wenn nun eine Kommission unter dem renommierten Zeitgeschichtler Oliver Rathkolb einen Bericht vorlegt, welche Straßennamen geändert werden sollen, dann zeigt sich hier das Dilemma: Alltagsantisemiten – das waren sie übrigens alle, alle: der spätere Bundeskanzler Leopold Figl, der im KZ gelitten hatte, der spätere Bundespräsident Adolf Schärf, der gegen die sowjetische Besatzungsmacht mutige Innenminister Oskar Helmer, der bedeutende Sozialpolitiker Leopold Kunschak. Rote wie Schwarze.

Sie waren so geprägt, aber auf ihre Art trotzdem bedeutende Politiker. Wiegen die unbestreitbaren Verdienste Renners schwerer als seine charakterlichen Defizite, politischen Irrtümer? Immerhin setzte er von Anfang an den Ton für jahrzehntelange Verdrängung und Verfälschung: Die von ihm prägend beeinflusste Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 stellt Österreich als unschuldige Opfer dar, behauptet kühn, der Krieg sei von keinem Österreicher je gewollt worden, und erwähnt die Beraubung, Vertreibung und Ermordung von Juden, Sinti und Roma mit keinem Wort(!).

Wenn man den nach ihm benannten Teil der Ringstraße nicht umbenennen will, dann wird man wohl – so wie es die Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien, Eva Blimlinger, vorgeschlagen hat – eine ausführliche Tafel aufstellen müssen, auf der die Leistungen und schweren Defizite dieses und anderer Gründerväter differenziert dargestellt werden. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 22.5.2013)