Im Juni wird die Stadt Wien den Untersuchungsbericht zu Wiener Straßennamen präsentieren. Wer war Antisemit, wer ein illegaler Nationalsozialist, wer war bei der Waffen-SS. "Dann wird man nach und nach daraus die Konsequenzen ziehen - gemeinsam mit den Bezirken", erklärt der zuständige Stadtrat in einem Interview. Was sind mögliche Konsequenzen, und warum überhaupt welche ziehen?

Eine Konsequenz ist aus meiner Sicht klar: Die Praxis der Benennung von öffentlichen Verkehrsflächen, wie sie in Wien, aber auch in den meisten Gemeinden Österreichs gehandhabt wird, muss sich grundlegend ändern.

Die Diskussion über die Umbenennung von Straßen wurde in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Zusammenhang mit Antisemitismus und Nationalsozialismus geführt. Bereits in den 1960er-Jahren waren Straßen und Plätze, die nach dem deutschnationalen Pfarrer und Dichter Ottokar Kernstock benannt waren, ein Thema, passiert ist damals unter der Alleinregierung der SPÖ in Wien nichts.

Dann in den 1990er-Jahren die Diskussion um den Kernstockplatz im 16. Bezirk und die Kernstockstraße im 14. Bezirk, aber auch all die anderen Kernstock-Benennungen in ganz Österreich. Der ehemalige August-Bebel-Platz, später Kernstockplatz, heißt heute Familienplatz - nichtssagender geht es kaum, weg mit der Geschichte, kein August Bebel, kein Ottokar Kernstock, aber vielleicht ist ja die Familie auch bald obsolet, und es sollte dann vielleicht eine Umbenennung in Patchwork-Familien-Platz geben.

Auf Nummer sicher gegangen

Die Ottokar-Kernstock-Straße in Wels wurde in Thomas-Mann-Straße unbenannt. Der Nobelpreisträger Thomas Mann als großer Sohn der Stadt Wels? Jedenfalls unverdächtig, doch wer weiß, die Geschichtswissenschaft fördert ja vielleicht das eine oder andere noch an den Tag? Hingegen der Alpenverein: Er betreibt immer noch die Ottokar-Kernstock-Hütte, aber der ist ja privat. Bei der Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings ist man auf Nummer sicher gegangen, keine Person wurde ausgewählt, sondern eine Funktionsbezeichnung - Universitätsring, wobei der zuständige Stadtrat noch 2008 gemeint hatte, "Umbenennungen werden grundsätzlich in Wien nicht durchgeführt" - als Antwort auf das Ansinnen, den Lueger-Ring in Helmut-Zilk-Ring umzubenennen.

Bis 1986 hat es gedauert, dass eine Gasse nach der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914) benannt wurde, eine Sackgasse, gerade mal mit 14 Hausnummern im 22. Wiener Gemeindebezirk. Vielleicht wäre eine Umbenennung des Franz-Josefs-Kai in Bertha-von-Suttner-Kai gerechtfertigt. Jener, der den Ersten Weltkrieg mitverantwortet hat, in die Sackgasse, die Autorin des Romans Die Waffen nieder an die prominentere Adresse?

Und wenn, dann müsste überhaupt begonnen werden, jede Person biografisch zu überprüfen, nach der eine Verkehrsfläche benannt ist. 90 Prozent Männer - zehn Prozent Frauen, so ist die Verteilung in Wien, der Charakter der Stadt. Bei genauer Recherche werden sich, da bin ich ganz sicher, zahlreiche Männer finden, die frauenfeindliche, sexistische und homophobe Reden gehalten haben, im Bezirksrat, im Gemeinderat, im Nationalrat. Das ist ja bis heute so - alles umbenennen?

In Wien fallen die Vorschläge betreffend die Benennung von öffentlichen Verkehrsflächen einschließlich Brücken in den Wirkungsbereich der Bezirksvertretungen, wie es in der Stadtverfassung zu lesen ist, und dabei wird "auch auf einen Bezug des Namens zum Bezirk Wert gelegt". Die endgültige Entscheidung erfolgt schließlich im Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft. Und so kommt es, dass vor allem Personen von lokalem Interesse vorgeschlagen werden, der Kleingartenfunktionär, nach dem ein Weg benannt wird, der Mechaniker, der auch Personalvertreter war, bekommt eine Straße, der langgediente Bezirksrat schon seltener , die Bezirksrätin eine Gasse. Für Bruno Kreisky ein Plätzchen ohne Hausnummer, für Jörg Mauthe eine Verkehrsinsel, für Leon Askin eine Straßenbahnschleife.

Oder, wenn dann die Namen ausgehen, wird, wie im Bereich der Seestadt Aspern geschehen, die "Sonnenallee" als Name beschlossen - "in Anlehnung", wie es in der Begründung heißt, "an den gleichnamigen deutschen Film von Leander Haußmann, der das Leben Ostberliner Jugendlicher im Angesicht der Berliner Mauer in den 1970er-Jahren thematisiert". Aspern und Berliner Mauer? Bezirksbezug? Warum nicht "Die Ausgesperrten in Anlehnung an den 1982 von Franz Novotny gedrehten Film nach Roman und Drehbuch von Elfriede Jelinek"?

"Ehrende" Verkehrsinsel?

Wie heißt es so schön auf wien.gv.at: "Die Wiener Straßennamen dienen nicht nur der Orientierung im Straßennetz, sie erzählen auch Geschichten und beschreiben so den Charakter der Stadt. Sie erinnern an wichtige Ereignisse und ehren bedeutende Persönlichkeiten. In anderen Städten sind viele Straßen einfach durchnummeriert. In Wien hat jede der über 6200 Verkehrsflächen ihren eigenen, aussagekräftigen Namen." Sonnenallee ein wichtiges Ereignis? Eine Ehrung durch eine Verkehrsinsel?

Und wenn tatsächlich Geschichten erzählt werden (welche wären das), dann reicht ein Name wohl nicht aus. Und aussagekräftige Namen? Wissen Sie, wer Anton Mayer war? Sicher nicht. Es braucht aus meiner Sicht kaum Umbenennungen, denn bei wem anfangen und bei wem aufhören?

Auch Antisemiten beschreiben den Charakter der Stadt Wien, und das soll hingeschrieben werden bei den Erklärungen, im Lexikon der Straßennamen, bei den Straßenschildern, bei den QR-Codes bei jedem Straßennamen. Eine völlige Neukonzeption für zukünftige Benennungen ist dringend notwendig, jedenfalls keine verdienten Genossen oder andere Parteigänger aus den Bezirken. Und bitte endlich das Denkmal von Dr. Karl Lueger kippen, denn schief ist das alles ohnehin. (Eva Blimlinger, DER STANDARD, 21.5.2013)