Paulus Manker interpretiert Wagners Wahn- und Wunderwelten im k. u. k. Post- und Telegraphenamt in Wien: Richard Wagner (Mirkus Hahn) entflammt für Cosima (Elisabeth Lehmann).

Foto: Anna-M. Fiala

Wien – Lohengrin, volle Lautstärke, ein Klangrausch, dirigiert von Leonard Bernstein: Richard Wagner, sagt der Theaterberserker Paulus Manker über den Musikwüterich, sei wie eine Droge. Dabei war Manker ursprünglich gar kein Wagnerianer; als man Fortsetzungsideen für Alma wälzte, habe er den israelischen Dramatiker Joshua Sobol sogar gebeten, ein Stück Wagner in Absenzia zu schreiben. Oder eines über Cosima. "Aber das ist eine völlig unerotische, böswillige Frau, die aus Bayreuth das machte, was es heute noch ist: ein verstunkenes, reaktionäres Festival, von dem Wagner tief enttäuscht war, weil es wie jenes konventionelle Operntheater war, das er überwinden wollte."  Nun, mehr als vierzig Wagner-Opernaufführungen weltweit und monatelange intensive Recherchen später, ist klar: "Es geht nicht ohne ihn. Er ist der Motor."  

In Opernhäusern, ätzt Manker, klinge die Musik oft blechern wie aus dem Transistorradio. Diese Gefahr besteht bei seiner Wagnerdämmerung wahrlich nicht. Beschallt aus fünfzig Lautsprechern, unternimmt das Publikum eine "Reise in Wagners Kopf – ohne Visum" . Von Fackeln und Scheinwerfern erleuchtet, werden die Besucher tief in Wagners Abgründe, hinab in die kalten Keller des k. u. k. Post- und Telegraphenamtes am Börseplatz, gelotst. In 27 klammen Kammern und lärmenden Maschinenräumen,  engen Nischen, langen Gängen, tiefen Gruben wird Musik und Leben, Lieben und Wüten, Werk und Wahn Wagners dramatisch und, bei Manker nicht anders zu erwarten, drastisch verhandelt. 

Ein schmaler Raum. Unterm Gitterboden Höllentiefen. In die Musik von Klezmer Reloaded spricht Ahasver, der ewige Jude. Nebelschwaden – und Assoziationen steigen auf. Pathetisch? "Klar. Warum nicht. Pathos ist die Überhöhung eines wahrhaften Gefühls. Kitsch ist verzerrend, Pathos nicht."  Ein Israeli wird als Ahasver alle Juden verkörpern, die in Wagners Leben eine Rolle spielten: Hermann Levi etwa, der 1882 die Parsifal-Uraufführung in Bayreuth dirigierte; oder Wagners Kunstfiguren, die, so Manker, oft als jüdische Karikaturen interpretiert würden: Kundry im Parsifal beispielsweise oder Beckmesser in den Meistersingern.

"Als man Wagner erzählte, dass bei Lessings Nathan der Weise jemand  'Bravo' rief, als Nathan sagte, dass Jesus Jude sei, antwortete Wagner, er würde am liebsten alle Juden bei einer Vorstellung von Nathan verbrennen. Solche furchtbaren Sätze gibt es. Aber" , sagt Manker, "ich hänge nicht der Theorie an, er habe dem Holocaust Vorschub geleistet. Das ist Unsinn."  Wagners Antisemitismus desavouiere ihn auch nicht als Komponisten: "Seine erste Frau Minna stellte die Frage, ob ein genialer Mann das Recht habe, auch ein Schuft zu sein. Die Antwort ist natürlich: Ja! Wagner war ja nicht nur ein grässlicher Judenhasser, sondern überhaupt ein furchtbar schlechter Charakter. Hans von Bülow stahl er die Frau – Cosima; seinen Förderer Otto Wesendonck betrog er mit dessen Frau. Selbst König Ludwig, der ihm das Leben rettete, als er 1864 – übrigens in Frauenkleidern! – aus Wien floh, beschiss er. Er nutzte die Menschen aus." 

Rocky Horror Wagner Show

Und doch verfielen sie ihm, in einer Rocky Horror Wagner Show werden die Wagner-Verrückten vorgeführt: König Ludwig; der Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain; Hitler; Katharina, "das Busenwunder"  (Manker); Cosima; Nietzsche, der Bayreuth übrigens "die erste Weltumsegelung der Kunst"  nannte; Otto Weininger; und, natürlich, Mankers früh verstorbener Freund, "der letzte große Gesamtkunstwerker"  Christoph Schlingensief.  

Wie in einer Grottenbahn schicken Sobol und Manker die Besucher von Abgrund zu Höhenflug: Genie und Wahnsinn in Bits und Pieces, ein aufregendes, verstörendes, hocherotisches Kaleidoskop aus biografischen Notizen, Briefen, Opern. 

Von der Stadt Wien oder dem Bund gibt es für diese spektakuläre Wagnerdämmerung (inklusive der größten Wagner-Website) "Zero. Keinen einzigen Cent."  Das, findet der Theatermann, "ist ein bissl eine Frechheit, noch dazu, wo zum Wagner-Jahr ja nicht so üppig viel stattfindet. Bei Alma verweigerte der Kulturstadtrat die Subventionen, weil es keine neue Produktion war. Nun machen wir was Neues. Aber es gibt auch dafür keine Förderungen."  

Also hat Manker "im Vertrauen darauf, dass die Leute kommen" , die 200.000 Euro Produktionskosten selbst vorfinanziert: "Mit Schulden. Da mache ich es Wagner nach."  Dessen Satz: "Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche" , klingt irgendwie auch ein bisschen nach Manker. "Ja, vielleicht ist er mir auch deshalb so nahe. Es fehlt nur ein König Ludwig, der sagt:  'Herr Manker, ich zahle ihre Schulden.‘ Die Körpergröße würde beim Mailath-Pokorny ja stimmen. Aber er ist leider nur von Ignoranz gekrönt und von keiner Königskrone." (Andrea Schurian, DER STANDARD, 22.5.2013)