Armin Wolf hat an dieser Stelle ein Modell für Bürgerräte, die durch Losentscheid für die Beratung eines klar definierten Themas eingesetzt werden, präsentiert. Für ihn scheinen solche Gremien passend, um verfahrene Situationen wie die ORF-Reform lösen zu können. Gerfried Sperl und Beate Meinl-Reisinger haben darauf reagiert und Schlagworte wie "Antiparlamentarismus" und "Antidemokratismus" gebraucht. Die Debatte ist damit bei Grundsatzfragen der Demokratie angelangt, genauer bei der Frage, welche die eigentlichen oder angemessenen Formen demokratischer Entscheidungsfindung seien.

Wir können uns diesen Fragen annähern, wenn wir zwei Grundelemente demokratischer Ideen in Erinnerung rufen: das Versprechen und die Verfahren der Demokratie. Demokratie verspricht die wechselseitige Anerkennung gleicher – jedenfalls politischer – Freiheit. Damit ist untrennbar die Unterstellung verbunden, dass wir alle über das gleiche Vermögen, eigene und öffentliche Angelegenheiten zu beurteilen, verfügen. Wir können grundsätzlich an Wahlen teilnehmen und uns zur Wahl stellen.

Demokratie und Institutionalisierung

Dieses Versprechen bleibt aber – wie viele andere – mit Ungewissheiten verbunden. Demokratie ist, wie Claude Lefort sagt, "institutionalisierte Ungewissheit". Sie braucht Formen der Erneuerung und Bestätigung. Um ihren Ansprüchen genügen zu können, bedarf es auch eines gewissen Maßes an Institutionalisierung und Willensbildung.

Der Streit darüber, wie demokratischer Wille gebildet werden soll, begleitet die gesamte Entwicklung moderner Demokratien. In Diskussionen über Repräsentation und Identität, Abbildung des Volkswillens etc. ging und geht es um starke, philosophisch und ideologisch aufgeladene Begriffe. Dem steht aber seit langem auch schon ein nüchterner Zugang gegenüber, der schlicht darauf hinweist, dass demokratische Entscheidungen letztlich Resultat einer Verfahrensform gleicher Freiheit seien. Als Verfahren führt es nicht nur Widerspiegelung dessen, was besteht. Vielmehr ist es Ausdruck gemeinsamer Praxis, also dessen, was im Verfahren erst entsteht.

Damit führen – wie etwa Christoph Möllers nachdrücklich betont – die Unterscheidungen zwischen direkter und repräsentativer Demokratie oder anderen (innovativen) Beratungsformen in die Irre. Denn jede demokratische Willensbildung ist Ergebnis eines Verfahrens. Keine von ihnen funktioniert unmittelbar, jede ist auf bestimmte Regeln und Abläufe angewiesen, die vor allem eines müssen, nämlich die Grundsätze demokratischer Gleichheit sichern.

Kompromissbildung und sichere Entscheidungsfindung

Parlamenten kommt dafür eine vorrangige Stellung zu. Sie schaffen einen institutionellen Ort der Politik und verfügen über anerkannte Verfahrensregeln. Damit schaffen sie die Grundlage für eine Zusammenführung und Verstetigung demokratischer Debatten, die Möglichkeit der Kompromissbildung und eine gesicherte Entscheidungsfindung. Trotz all der pragmatischen und theoretischen Vorzüge, die damit verbunden sind, schließt das andere Formen der Entscheidungsvorbereitung und –findung in einer Demokratie nicht kategorial aus.

Solche anderen Formen sind wiederum mit der Entwicklung des demokratischen Versprechens verbunden. Sie konfrontieren Parlamente mit (zum Teil viel zu hohen) Ansprüchen, kritisieren die Abgeschlossenheit und Veränderungsresistenz von Parlamenten und stellen die Kompetenzen und das Wissen von Parlamentariern in Frage. Der Global Parliamentary Report 2012 hat dabei klar gezeigt, dass es – wenn wir so wollen – eine Verbreiterung des demokratischen Versprechens gibt, in dem Abgeordnete gerade im Hinblick auf Kompetenzen und Wissen nicht (mehr) von jenen unterschieden werden können, die sie vertreten sollen.

Das ist auch der Kontext, in dem sich innovative Demokratiemodelle wie Konvente, Bürgerräte, Bürgerhaushalte oder Bürgerkonferenzen entwickeln. Sie werden teilweise als Expertengremien (einschließlich NGO-Vertretern) geschaffen, oder in Formen, wie sie etwa Armin Wolf dargestellt hat, zusammengesetzt. Letzteres soll vor allem einen Ausgleich dafür schaffen, dass es empirisch unbestritten ist, dass sich in der Regel nur gewisse, relativ kleine Gruppen an solchen Initiativen oder Prozessen beteiligen (können).

Beratung

Auffallend ist, dass es bei den allermeisten von ihnen – und das ist entscheidend! – um Beratung und Entscheidungsvorbereitung geht. Die verantwortete Entscheidung bleibt bei einem gewählten Vertretungskörper. Weltweit sieht eine wachsende Zahl von Parlamenten dies als Chance, um sich nicht nur als Institution sondern auch in Verfahren und Debatten zu öffnen, und um Anschluss zu den Bürgern ebenso wie zu den Wissenschaften zu finden. (Christoph Konrath, derStandard.at, 10.5.2013)