"Ganz bestimmt niemand" muss sich laut Ex-EU-Kommissar Franz Fischler wegen einer Privatisierung von Wasser in Österreich Sorgen machen, einen "Verschleierer" nennt ihn daraufhin der Bundesrat Stefan Schennach. Und die Wahrheit? Die liegt leider nicht einfach bequem in der Mitte, es ist etwas komplizierter.

Die Konzessionsrichtlinie

Die neue Richtlinie soll klare Regeln dafür schaffen, wie die öffentliche Hand Konzessionen vergibt. Die Bezeichnung "Wasserrichtlinie", die man jetzt hin und wieder liest, ist also irreführend, denn es geht um Konzessionen aller Art. Der Entwurf wurde im dafür zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlamentes, IMCO (Internal Market and Consumer Protection), diskutiert, viele "Stakeholder" haben dazu Stellungnahmen abgegeben, aus Österreich zum Beispiel ÖGB und AK, die unter anderem forderten, die Wasserversorgung aus der Richtlinie auszunehmen.

Am 23. Jänner hat der Ausschuss sich mit einer Mehrheit von 28:10 Stimmen mit zwei Enthaltungen auf eine Formulierung der Richtlinie geeinigt. Explizit ausgenommen sind nur der Verteidigungs- und Sicherheitssektor, Rettungsdienste, bestimmte Leistungen des öffentlichen Rundfunks und - immerhin - der öffentliche Personenverkehr. Für soziale Dienste gilt eine vereinfachte Version, sie sind aber grundsätzlich inkludiert. Obwohl die internationale Liste der Desaster bei Wasserprivatisierungen schier endlos ist, fand der Antrag, auch die Wasserversorgung auszunehmen, keine Mehrheit. Deswegen erfolgt jetzt der öffentliche Aufschrei.

Alles im Fluss

Der Ausschuss leitet die Richtlinie nun an das Plenum des Europäischen Parlaments weiter, das sie diskutieren und dann darüber abstimmen wird, voraussichtlich Ende April. Das Parlament kann die Richtlinie annehmen, ablehnen oder abändern. Und das ist der springende Punkt: Es wurden weit mehr als 1.000 Abänderunganträge zum Entwurf eingebracht. Wenn nun also jemand sagt: "Die Richtlinie enthält X" oder "Die Richtlinie bedeutet Y sicher nicht", dann ist die Rede von einem Rohentwurf, der sich noch dramatisch ändern kann. Alles ist im Fluss. Tatsächlich ist derzeit noch nicht einmal den EU-ParlamentarierInnen klar, wie weit gespannt der Bogen dessen ist, was die Richtlinie letztlich umfassen könnte: Mehr als 1.000 Abänderungsanträge, das muss man mal durchackern, analysieren, bewerten, diskutieren, verstehen. Genau das passiert gerade in Brüssel.

Wir sind jetzt in der entscheidenden Phase des Meinungsbildungsprozesses - Lobbyisten füllen nun ihre Terminkalender mit Abendessen, um Abgeordneten die Bedenken und Anregungen ihrer Auftraggeber dezent näherzubringen. Vor den Ernst-Strasser-Videos hätte das wohl nach einem schmierigen Agentenroman geklungen, aber genau so läuft es ja. Und deshalb ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft sich auch Gehör verschafft. Jetzt - und nicht irgendwann. Nach der Abstimmung ist es zu spät.

Transparenz ist richtig

Leider kommt man da leicht ins Fahrwasser des dämlichen EU-Bashings nach dem Motto "Die Eurokraten stehlen unser nasses Gold". Da will man dann doch nicht mitschwimmen. Gerade als Privatisierungskritiker und Oppositionspolitiker in einem österreichischen Landtag muss ich sagen: Eine europaweite Regelung für Konzessionsvergaben kann grundsätzlich gut und richtig sein. Wenn sie Transparenz und Fairness bei der Vergabe bringt - denn wie das letzte Jahr gezeigt hat, gibt es in Österreich überall dort einen tiefen, stinkenden Sumpf, wo sich privatwirtschaftliche Interessen und öffentliche Aufgaben berühren.

Die EU kann da helfen, weil ihre Institutionen nicht Teil der heimischen Freundeskreise und Jagdgesellschaften sind. In der Praxis sieht das zum Beispiel so aus: Als das Burgenland seine Bank privatisierte, gab es zwei Anbieter. Einer bot 100 Millionen Euro, der andere 155 Millionen Euro. Der Zuschlag ging an den besser vernetzten - den, der 100 Millionen bot. Die Begründung der Landesregierung: Das Angebot sei besser. Warum? Keine Antwort.

SPÖVP zogen den Verkauf durch - und mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Landtag blocken sie alle Aufklärungsversuche ab. Als Oppositionspolitiker bist du in so einem Fall vollkommen wehrlos: Rechnungshofberichte sind folgenlos, für Anzeigen fehlt es an genau dem Recherchematerial, an das du nicht rankommst, und wenn du einen Untersuchungsauschuss forderst, droht dir die Regierung mit dem Anwalt.

Aber man kann sich an "Europa" wenden: Im konkreten Fall hat der EuGH vor etwa einem Jahr festgestellt, dass der Verkauf nicht korrekt ablief und die Käuferin, die Grazer Wechselseitige, dazu verurteilt, die 55 Millionen Euro "Preisnachlass" nachzuzahlen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig - nicht lachen, aber das Land Burgenland hat Einspruch erhoben und will diese Nachzahlung nicht. Warum? Keine Antwort.

Privatisierungen, Liberalisierungen und Konzessionsvergaben bei Dienstleistungen im öffentlichen Interesse haben in Österreich erhöhten Kontrollbedarf. Untersuchungsausschüsse reichen nicht, die werden abgedreht, wenn sie zu viel finden. Klare Regeln und ihre Kontrolle auf europäischer Ebene sind also durchaus wünschenswert. Die alles entscheidende Frage lautet eben: Wie lauten diese klaren Regeln?

Kein Privatisierungszwang? Stimmt nicht ganz

Zunächst: Bestehende Verträge sind tatsächlich ausgenommen. Wasserversorger, die zu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum stehen, sind ebenfalls ausgenommen. Niemand wird - nach derzeitigem Verhandlungsstand - am Tag des Richtlinien-Beschlusses gezwungen, eine Dienstleistung zu privatisieren. Das stimmt.

Neue Projekte sind aber nicht ausgenommen, und das bedeutet: Es wird mit der Richtlinie in Zukunft schwerer, neue Konzessionen an öffentliche Dienstleister zu vergeben, etwa nach Fusionen von kommunalen oder Landes-Unternehmen. Und da wäre er dann plötzlich, der Privatisierungszwang. De facto, nicht de jure.

Auch sobald sich die öffentliche Hand entscheidet (oder sich dazu entscheiden muss), auch nur ein Prozent an einem Dienstleister zu verkaufen, greift die Richtlinie. Dann ist die Konzessionsausschreibung davon erfasst, und das Unternehmen muss sich darum nach Marktkriterien bewerben. Soziale, ökologische, volkswirtschaftliche oder beschäftigungspolitische Kriterien müssen dann nicht zur Bewertung herangezogen werden - und ob und in welchem Ausmaß das überhaupt erlaubt sein wird, dazu gibt es etliche Vorschläge in den mehr als 1.000 Abänderungsanträgen.

Das Privatisierungsmosaik

Bei der Beurteilung ist wichtig zu bedenken, dass diese Konzessionsrichtlinie nicht im luftleeren Raum verhandelt und beschlossen wird. Sie ist nur ein Mosaikstein unter vielen, die gemeinsam einen Großangriff auf öffentliche Dienste darstellen. 2005 wurden nach heftigen, jahrelangen Protesten von GlobalisierungskritikerInnen die Verhandlungen zum Welthandelsabkommen GATS abgebrochen, das eine weltweite radikale Liberalisierungs- und Privatisierungswelle bei öffentlichen Dienstleistungen zum Ziel hatte.

Die Lobbys verlegten ihre Anstrengungen auf die EU-Ebene und versuchten ein innereuropäisches GATS durchzubringen, die Dienstleistungsrichtlinie, nach ihrem Erfinder auch Bolkestein-Hammer genannt. Das Kernstück wäre nach den Vorstellungen der Industrie das sogenannte Herkunftslandprinzip gewesen: Kein Unternehmen sollte in der EU gezwungen werden können, nach strengeren Regeln als in seinem Heimatland zu arbeiten. Anbieter hätten sich auf dem Papier jenen der 27 Mitgliedsstaaten ausgesucht, der die profitabelste Gesetzeslage bietet. Das Resultat wäre natürlich ein Standortwettbewerb und Deregulierungswettlauf gewesen. Als die Richtlinie Ende 2006 beschlossen wurde, strich das Europäische Parlament diesen Passus aufgrund einer erfolgreichen Protestkampagne, die nun unser Vorbild sein muss.

Die Konzessionsrichtlinie ist also nur ein Puzzlestein von vielen. Es kann mit lautstarkem Widerstand bis April gelingen, sie zu entschärfen und Wasserversorgung doch noch auszunehmen und ökologische und soziale Kriterien in ihr zu verankern. Wie schon gesagt, wünschenswert wäre, dass sie vor allem Transparenz bei der Vergabe bringt. Aber: Der Kampf um die öffentlichen Dienstleistungen wird dann nicht vorbei sein. Die Verhandlungen zum GATS beziehungsweise einem Nachfolgeabkommen sollen auf der Ebene der Welthandelsorganisation bald wieder aufgenommen werden. Es gibt immer was zu tun. (Michel Reimon, derStandard.at, 28.1.2013)