Graph Search könnte eine neue Ära des sozialen Webs einläuten - oder zum größten Flop für Facebook werden.

Foto: Facebook

Facebook hat mit Graph Search eine neue Funktion für das soziale Netzwerk vorgestellt, die nicht nur Google, sondern auch zahlreichen anderen Diensten wie dem Karriere-Netzwerk Linked-In oder dem Empfehlungs-Portal Yelp das Fürchten lehren könnte. Die erweiterte Suchfunktion soll es der rund eine Milliarden Nutzer ermöglichen, das Netzwerk wie eine enorme Datenbank zu durchforsten und dabei allerlei Informationen zu kombinieren um Neues zu entdecken. Wired hatte die Chance einen Blick hinter die Kulissen von Graph Search zu werfen.

Zwei Google-Mitarbeiter für Facebook

Hinter dem massiven Projekt, das laut Facebook-CEO Mark Zuckerberg noch in den Kinderschuhen steckt, stehen die zwei ehemaligen Google-Mitarbeiter Lars Rasmussen und Tom Stocky. Ramussen kam 2004 zu Google, als die Suchmaschine sein Startup übernahm, das später zu Google Maps werden sollte. Mit Wave zeichnete er allerdings auch für einen Flop beim Suchmaschinenriesen verantwortlich, der nach nur einem Jahr eingestellt worden war.

Zurück zu den Wurzeln

Zuckerbergs Anstoß zu Graph Search war die Idee, wieder zu den Wurzeln des Netzwerks zurückzukehren: neue Personen, Orte und Dinge zu entdecken anstatt nur die aktuellen Verbindungen zu pflegen. Die schwierige Aufgabe, die die Suchfunktion zu bewältigen hat: Nutzern die Möglichkeit zu geben, eine vollkommen natürliche Frage zu stellen und umso präziseren Informationen auszuspucken, je mehr Informationen eingetippt werden.

50 Entwickler im Graph-Search-Team

Suchen Nutzer bei Google etwa nach "China-Restaurant in Wien", sollen sie bei Graph Search beispielweise nach "China-Restaurants in Wien, die meinen Freunden aus China gefallen" stöbern. Facebooks enorme Datenbank, die durch die Nutzer seit Jahren durch Likes und Updates gefüttert wird, soll eine bis dato nicht erreichbare Personalisierung von Suchergebnissen bieten. Mittlerweile arbeiten rund 50 Entwickler seit über einem Jahr an Graph Search, darunter auch zwei Linguisten, um die Sucheingaben der Nutzer besser zu verstehen.

Konkurrenz für Job-, Single- und Empfehlungsplattformen

Graph Search hat das Potenzial nicht nur Google, sondern auch anderen Dienste wie Job-Netzwerken, Single-Plattformen oder Empfehlungs-Systemen den Rang abzulaufen. So kann die Funktion etwa gezielt zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter genutzt werden. Zuckerberg gibt als Beispiel für eine Suche Entwickler, die bei Google arbeiten und mit Facebook-Entwicklern befreundet sind.

Über eine Billiarde Verbindungen

Singles können nach Menschen in ihrer Wohnumgebung mit dem gleichen Musikgeschmack suchen. Bei der Suche nach neuer Leselektüre könnte man sich Bücher empfehlen lassen, die etwa von Personen "geliked" wurden, die auch einem bestimmten Politiker auf Facebook folgen. Die Ergebnisse stehen dabei immer in Bezug zur eigenen Community - also gemeinsamen Freunden, Fan-Seiten usw. Graph Search soll sich letztendlich die über eine Billiarde Verbindungen auf Facebook zunutze machen.

Nutzer sollen wissen, was sie tun

Dass die neue Funktion auch auf heftige Kritik stoßen wird, darüber macht man sich bei Facebook keine Illusionen. Gefunden werden soll mit Graph Search nur das, was Nutzer in irgendeiner Form öffentlich oder eben mit ihren Freunden geteilt haben, versichert man. Dennoch werden die Inhalte, die man im Lauf der Jahre auf Facebook geteilt hat, in vollkommen neuer Art und Weise und vor allem neuen Zusammenhängen dargestellt.

Langsamer Roll-out

Facebook-Produkt-Manager Sam Lessin erklärt gegenüber Wired, dass Graph Search auch das Potenzial haben könnte, die Nutzer darüber aufzuklären, was man über sie alles findet. Wer nicht versteht, welche Informationen man mit wem teilt, werde generell nicht viel von sich preisgeben. Facebook werde daher sehr viel investieren, um die neuen Funktionen möglichst klar zu kommunizieren. Dabei helfen soll auch ein langsamer Roll-out, der zunächst auf wenige Nutzer und auf Englisch beschränkt ist.

Likes und Check-Ins erforderlich

Der Clou an der Sache ist, dass nicht nur Facebook selbst daran gelegen sein dürfte, dass Nutzer nun möglichst viel teilen, sondern auch den Usern selbst - sofern sie die neue Funktion nutzen möchten. Denn die Algorithmen können noch so clever sein, wenn es keine Likes, Check-Ins oder zumindest mit mehreren Freunden geteilte Inhalte gibt, bleibt auch das Suchfeld leer. Für das Slate-Magazin ist das intensive Teilen auf Facebook nun erst nützlich geworden. Denn erst mit Graph Search würden diese Daten auch in einem für die User nützlichen Zusammenhang verwendet werden, anstatt einfach nur die eigenen Interessen in einem Netzwerk zu präsentieren.

Ganz am Anfang

Zuckerberg hat jedenfalls große Pläne für Graph Search. So umfasst der erste Roll-out auch noch keine Status-Updates, keine Informationen aus Drittanbieter-Apps und - für Facebooks Geschäftsmodell wohl am wichtigsten - noch keine Anzeigen. Auch an der Integration in die mobilen Apps, an Spracheingaben - hier dürfte auch Apple mir Siri aufhorchen - und einem Benachrichtigungssystem arbeite das Entwickler-Team bereits.

User-Reaktion abzuwarten

Ob die Suchfunktion das nächste Zeitalter des sozialen Webs einläutet oder Facebooks größter Flop wird, bleibt abzuwarten. Werden Facebook-User noch mehr teilen oder ihre Privatsphäre-Einstellungen restriktiver setzen, um eben nicht unter den Singles aufzutauchen, die irgendein Freund eines entfernten Bekannten in seiner Umgebung sucht? Denn wie die Nutzer Graph Search annehmen, darüber kann man auch bei Facebook nur spekulieren. (br, derStandard.at, 16.1.2012)