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Die Kirche ist eine Anlaufstelle für viele Italiener, die unter der Last der Wucherzinsen zu versinken drohen.

Foto: epa/ANDREAS GEBERT

Im April schreckt eine Selbstmordserie auf: Wegen finanzieller Schwierigkeiten nehmen sich immer mehr Italiener das Leben, vor allem Arbeitslose, Pensionisten und Kleinunternehmer. Ihre Schulden erdrücken sie, sie sehen keine Zukunft mehr. Trauriger (medialer) Höhepunkt: Zwei Männer zündeten sich an, eine 78-jährige Pensionistin auf Sizilien sprang vom Balkon ihrer Wohnung. Sie hatte erfahren, dass ihre Pension um 200 Euro gekürzt wird.

Banken drosseln Kredite

Nicht nur diese Einbußen machen den Menschen zu schaffen, auch die Banken hätten oft nicht mehr als ein freundliches Lächeln für ihre Kunden und deren Probleme übrig. Francesca, eine Bäuerin aus Caserta südlich von Rom, erzählt ihre Geschichte dem Deutschlandradio. Ein Wucherer habe ihr und ihrem Mann 30.000 Euro gegeben, "um laufende Rechnungen zu bezahlen, die Hilfskräfte auf den Feldern, Reparaturen, all das, was eben so auf einem Bauernhof anfällt", sagt sie.

Der Zinssatz: 45 Prozent. Auf eine schnelle Rückzahlung habe er auch gedrängt. Sonst würde er den Zinssatz weiter anheben, habe er gedroht. Die hohen Zinsen konnten die Bauern aber nicht aufbringen. Der Finanzhai habe schließlich zwei Personen vorbeigeschickt. Sie hätten ihren Mann zusammengeschlagen, berichtet das Radio.

Jeden Tag sperren 50 Betriebe zu

Francesca ist nicht die einzige, die sich auf einen solchen Deal einlässt. Vor allem Kleinhändler und Freiberufler wenden sich verstärkt an die "usurai", die Wucherer. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise wurde es immer schwieriger, sich Geld bei Banken zu leihen. Rund 600.000 Menschen ließen sich 2011 auf einen solchen Deal ein, so die italienische Caritas. Ein Drittel davon seien Unternehmer gewesen, fast die Hälfte Geschäftsleute, Obst- und Gemüsehändler etwa. Am stärksten betroffen von dieser Entwicklung seien Menschen um die 50, die immer im Handel gearbeitet hätten, zitiert die Caritas eine Studie der Initiative "SOS Impresa". Sie nehmen alles in Kauf, um ihr Geschäft nicht zusperren zu müssen.

Bei den Handwerkern und kleinen Familienunternehmen handle es sich "möglicherweise um die dramatischste Facette der Kreditenge", schrieb die italienische Wirtschaftszeitung "IlSole24Ore" schon im Jahr 2008. Heute schätzt "SOS Impresa", dass der Wucher täglich 50 italienische Unternehmer zum Aufgeben zwingt. Damit einher geht natürlich auch der Verlust vieler Arbeitsplätze. 130.000 sollen es im Jahr 2010 gewesen sein, schreibt die Caritas. 

Zinssätze von bis zu 120 Prozent

Verzinst wird das geliehene Geld nämlich mit durchschnittlich 35 Prozent. Aber auch Zinssätze von bis zu 120 Prozent kommen vor. In keinem anderen Land der EU, so die Caritas, sei Wucher so verbreitet wie in Italien. In weiten Teilen des Landes sei das einbringliche Geschäft fest in den Händen mafiöser Clans, berichtet das Deutschlandradio. Der Staat tue nichts, um den Betroffenen zu helfen.

Betroffene wenden sich an die Kirche

In ihrer Not habe sie sich an ihren Gemeindepfarrer gewandt, sagt Francesca dem Deutschlandradio. Und Don Mario Aniello konnte helfen. Fast überall in Italien stehe die sehr stark verankerte katholische Kirche den Betroffenen zur Seite. "Der Einsatz der Kirche gegen dieses kriminelle Phänomen ist aufgrund der vielen üblen Geschichten, die Geistliche wie ich immer öfter zu hören bekommen, unumgänglich. Immer mehr Betroffene entscheiden sich für den Freitod, weil sie nicht mehr wissen, wie sie die Wucherzinsen aufbringen sollen", sagt Don Mario. Zumindest das wolle die Kirche verhindern. 

Auch wegen des "Desinteresses der Politik" habe die Bischofskonferenz vor einigen Jahren eine nationale Aktion gestartet. Don Alberto d'Urso trat in einem TV-Werbespot der Diözese Bari auf. Er appellierte an die Spendenfreudigkeit der Italiener. D'Urso ist leitender Mitarbeiter des Nationalrats gegen Wucher. Dabei handelt es sich um eine Organisation der Kirche, die zum Teil vom Staat mitfinanziert wird. Ihre Aufgabe besteht darin, den kirchlichen Kampf gegen Wucherer und die Hilfe für die Opfer zu organisieren: "Wir helfen den Menschen, den Privatpersonen und Geschäftsleuten, besser mit Geld umzugehen. Das bedeutet Einzelberatung und individuelle Hilfe. In fast allen Regionen haben wir Anlaufstellen für die Betroffenen", so d'Urso. Die Mitarbeiter dieser kirchlichen Anlaufstellen vermitteln zwischen Wucheropfern und kirchennahen Banken, die den Betroffenen mit zum Teil zinslosen Krediten aus der Patsche helfen, berichtet das Radio.

"Anti-Wucher-Kapelle"

In der Kleinstadt Quarto bei Neapel hat Pfarrer Don Vittorio Zeccone noch eine ganz andere Möglichkeit gefunden, den Schuldnern zu helfen. Er hat in seiner Kirche eine "Anti-Wucher-Kapelle" eingerichtet: "Die Kirche ist ja bereits ein geistiger Bezugspunkt der Menschen hier." Jetzt sei sie auch ein Ort der konkreten Hilfe gegen Wucherer. Die meisten Hilfesuchenden würden an die Diözese weiter vermittelt. "Dort hilft man dann mit Einzelberatungen und Geld", so der Pfarrer.

Vorsichtigen Schätzungen der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission zufolge verdient die organisierte Kriminalität Italiens mit Wucher pro Jahr rund 250 Millionen Euro. Tendenz steigend, berichtet das Deutschlandradio. Und die Caritas listet auf, dass im Jahr 2008 gerade einmal 375 Straftaten gemeldet wurden, 905 Personen wurden angezeigt. Vergleiche man diese Zahl mit der Dunkelziffer, sei sie "lächerlich", so die Caritas Italia. Angst und Scham aber seien zu groß. (Elisabeth Parteli, derStandard.at, 13.12.2012)