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Pussy Riot (v. li.): Jekaterina Samuzewitsch, Marina Alechina und Nadeschda Tolokonnikowa.

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Russlands starker Mann Wladimir Putin.

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Gerhard Mangott: "Dem Regime wurde durch den nationalen Eklat eine Möglichkeit geboten, auf eine besonders perfide Art und Weise die Opposition nachhaltig zu schwächen."

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Der Innsbrucker Politologe Gerhard Mangott hält den starken Mann im Kreml, Wladimir Putin, für den großen Gewinner der Affäre rund um die russische Punkband Pussy Riot. Auch mit der Enthaftung einer der drei Verurteilten folgt die Justiz dem großen Plan des Kreml, die Opposition zu spalten.

derStandard.at: Was verspricht sich Russlands Präsident Wladimir Putin von der Affäre um die inhaftierten Musikerinnen von Pussy Riot?

Mangott: Putin hat es von Beginn an verstanden, die Opposition durch diese Episode zu schwächen. Die Strategie des Kreml war bemerkenswert gut durchdacht. Das zentrale Interesse der Opposition war gewesen, den demokratischen Protest der liberalen Städter mit der sozialen Unzufriedenheit der Landbevölkerung zu vereinen. Mit der Pussy-Riot-Aktion ist es dem Regime nun aber gelungen, die Opposition bei der wertkonservativen Landbevölkerung als moralisch verkommen und antirussisch darzustellen.

Man kann sagen, dass die Europaparlamentarier und internationale Popstars wie Paul McCartney und Madonna das Spiel des Regimes perfekt mitspielen. Andere Themen gehen unter dem Kulturkampfthema Pussy Riot völlig unter. Dem Regime wurde durch den nationalen Eklat eine Möglichkeit geboten, auf eine besonders perfide Art und Weise die Opposition nachhaltig zu schwächen.

derStandard.at: Das heißt, Sie halten die Opposition nun für gespalten?

Mangott: Man darf nicht übersehen, dass die russische Rechte und Nationalisten quantitativ sehr stark bei den Demonstrationen der Opposition gerade außerhalb der Städte sind. Durch die Inhaftierung von Pussy Riot hat Putin die Liberalen dazu gezwungen, sich für sie einzusetzen und das Verhältnis von Regime und Orthodoxie zu kritisieren, was vom rechten Flügel der Opposition wiederum gar nicht goutiert wird.

Die eigentlich wichtigen Forderungen der Opposition, etwa für mehr Transparenz und Partizipation und gegen Korruption, sind von dem Kulturkampfthema säkularer Staat versus enges Bündnis des Kreml und der Orthodoxie völlig überlagert worden. Putin hat mit dem Fall Pussy Riot an allen drei Fronten eine klare Strategie verfolgt und gewonnen. Dass er im Ausland dafür kritisiert wird, stört ihn überhaupt nicht. 

derStandard.at: Wieso wurde eines der Pussy-Riot-Mitglieder jetzt freigelassen?

Mangott: Das ist ein gelungener Versuch des Regimes, der Bevölkerung zu signalisieren, dass man bereit ist, den Frauen entgegenzukommen und liberale Gesten zu setzen. Seit Anfang März wächst in Russland doch die Zahl derer, die sich gegen eine allzu harte Bestrafung von Pussy Riot aussprechen. Das musste Putin berücksichtigen. Darum war auch schon der erste Urteilsspruch unterhalb des Antrags der Staatsanwaltschaft ausgefallen. Indem jetzt eine der drei Frauen freigelassen wird, geht Putin auf diese Stimmen aus der Bevölkerung ein.

derStandard.at: Trotzdem wurde Jekaterina Samuzewitsch, die nach Ansicht des Gerichts gar nicht an der Aktion beteiligt war, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das ist doch absurd, oder?

Mangott: Hier wurden sehr viele Normen der russischen Strafprozessordnung verletzt, etwa die Rechte der Angeklagten und deren Verteidiger, die ganz offensichtlich nicht berücksichtigt wurden. Es wird argumentiert, Samuzewitsch habe geistig und in der Sache selbst die Aktion vorbereitet, etwa indem sie bei einer Generalprobe dabei gewesen ist. Das reichte für die Bewährungsstrafe.

derStandard.at: Die beiden anderen Frauen werden in einem sogenannten Arbeitslager inhaftiert. Wie hat man sich ein solches Lager vorzustellen? Auch in Österreich steht Arbeit in Gefängnissen an der Tagesordnung.

Mangott: Mit solchen Übersetzungen muss man sehr vorsichtig sein. Es handelt sich um ein Hochsicherheitsgefängnis mit strengen Auflagen, wo Gefängnisarbeit zu verrichten ist. Dieser Terminus legt aber etwas nahe, was es nicht ist, nämlich ein Gulag-artiges Lager, wo unter unmenschlichen Bedingungen Sklavenarbeit zu verrichten ist. Klar ist aber, dass Gefängnisse in Russland ohnehin sehr unangenehme Orte sind.

derStandard.at: Vor wenigen Tagen, am 7. Oktober, jährte sich der Tod der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja zum sechsten Mal. Warum ist der Aufschrei in Sachen Pussy Riot so viel gewaltiger, als es damals nach dem Mord an Politkowskaja war?

Mangott: Die gesellschaftliche Stimmungslage war damals eine ganz andere als heute. Die versprengten oppositionellen Gruppierungen, die fast ausschließlich auf Moskau beschränkt waren, waren 2006 nicht in der Lage, die Gesellschaft für Dinge wie Pressefreiheit und Proteste gegen Putin zu mobilisieren. Die Opposition hatte damals auch nicht die Mittel der Kommunikation, wie sie heute benutzt werden, etwa Soziale Netzwerke.

Die Gesellschaft war damals sehr viel passiver, es gab mehr stillschweigende Zustimmung zum Regime als heute. Heute rezipiert die Gesellschaft Aktionen wie die von Pussy Riot weit stärker. Dazu kommt aber, dass das Regime selbst die Affäre Pussy Riot ja bewusst bekannt machen wollte, während der Fall Politkowskaja totgeschwiegen wurde. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 11.10.2012)