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"Ich entschied mich, 'Amour' als populären Film zu sehen": Jean-Louis Trintignant meidet das Kino und die Kunst. Für Michael Haneke machte er eine Ausnahme.

foto: reuters/VINCENT KESSLER

Dominik Kamalzadeh traf den Schauspieler zum Gespräch über die besondere Erfahrung dieses Films.

STANDARD: Eric Rohmer musste Sie angeblich zwei Jahre lang für "Meine Nacht bei Maud" beknien. Wie ist es Michael Haneke gelungen, Sie zu einer Rückkehr auf die Leinwand zu überreden?

Jean-Louis Trintignant: Es ist schon wahr, ich bin etwas wählerisch. Ich habe auch keine große Leidenschaft mehr für das Kino. Es ist ein wenig seltsam, wenn ich das sage, aber ich lasse mich gern bitten. Ich bin auch nicht darauf erpicht, ein berühmter Schauspieler des Kinos zu sein. Mir ist es lieber, man schätzt mich als Theaterschauspieler. Als einen, der nur von Zeit zu Zeit einen Film macht. Doch es ist natürlich etwas Außerordentliches, wenn Michael Haneke einem eine Rolle anbietet. Das ist ein Geschenk. In einem solchen Film finde ich mich gerne wieder. Auch wenn der Film ganz sein Verdienst ist.

STANDARD: Als Sie hörten, wovon der Film handelt, haben Sie da keinen Moment lang gezögert?

Trintignant: Angesichts des tieftraurigen Themas des Films wurde mir schon ein wenig bange. Ich habe mich dann aber einfach entschieden, Amour als populären Film zu sehen. Das war dann einer, den ich machen kann. Als ich einmal mit Haneke gefrühstückt habe, habe ich ihn dann auch in diese Richtung gefragt: ob er lieber einen kommerziellen Erfolg landen oder die Goldene Palme gewinnen will. Er hat geantwortet: " Beides!"

STANDARD: Als Sie mit Kieslowski "Drei Farben: Rot" drehten, haben Sie gesagt, dass Sie zu der Einsamkeit Ihrer Figur eine Verbindung hatten. Wie verhielt es sich nun mit Ihrer Rolle in "Amour"?

Trintignant: Ja, auf jeden Fall, ich könnte diese Rolle gar nicht übernehmen, wenn es anders wäre. Ich glaube, dies ist auch gar keine Frage von gut oder schlecht spielen: Ein Schauspieler muss sich mit seiner Rolle identifizieren können. Er ist nur überzeugend, wenn er darin etwas wiederfinden kann, was es auch im wirklichen Leben gibt. Es kommt nicht nur darauf an, dass etwas niedergeschrieben wurde. In diesem Fall war es nicht schwer für mich, eine Beziehung zur Rolle aufzubauen.

STANDARD: Haben Sie Emmanuelle Riva schon vorher gekannt?

Trintignant: Nur aus dem Kino, nicht persönlich. Der Film ist in acht Wochen gedreht worden - wir haben uns vielleicht zwanzig Wochen davor getroffen und viel über die Rollen gesprochen. Vom ersten Moment an hat es sich zwischen Emmanuelle und mir so angefühlt, als wären wir 60 Jahre zusammen - ein wahres Wunder! Es gab eine Empfindsamkeit zwischen uns, die man nicht erklären kann - ganz natürlich. Dabei lebt Emmanuelle sehr zurückgezogen wie eine Eremitin in Paris.

STANDARD: Haben Sie einzelne, schwierige Szenen geprobt - oder welcher Art war die Vorbereitung?

Trintignant: Wir haben einzelne Szenen geprobt, aber meistens haben wir nur geredet, auch über Dinge, die gar nicht im Drehbuch standen, Dinge des Lebens. Haneke hat das zugelassen, er hat uns nicht ständig aufgefordert, etwas auszuprobieren. Stattdessen haben wir uns viel über Musik unterhalten- ich liebe Musik, und Haneke hat auch große Kenntnis in ihr. Auch die Produzentin Margaret Ménégoz war stark in diesen Prozess involviert, ihr verdankt der Film sehr viel.

STANDARD: Wie darf man sich die Dynamiken am Set in solch einer intimen Drehsituation vorstellen?

Trintignant: Wir haben mit digitaler Kamera gedreht und mussten uns daher keine Sorgen machen, zu viel Film zu verschwenden. Die ersten Aufnahmen waren ein wenig freier und ungeordneter, aber dann hat sich Haneke nach und nach mehr eingebracht und bestimmte Arrangements eingefordert. Es gab viele Momente, in die man sich vertiefte. Ich erinnere mich an eine Szene, bei der ich zeigen wollte, wozu ich in der Lage bin. Haneke sah zu und sagte, das sei gut gewesen, aber das sei keineswegs Teil des Films. Und er hatte Recht. Ich wollte zeigen, was ich über meine Figur herausgefunden hatte. Er aber sagte, er sei nicht an meiner Figur interessiert, sondern nur daran, was sich zwischen den Figuren ereignen würde. Zwischen dem Paar, aber auch zwischen mir und der Tochter. Er ist der Regisseur, er überblickt den Film, wir bringen Teile ein und müssen konzentriert, diszipliniert arbeiten wie der Mann, der für das Licht zuständig ist. Wir sehen nicht das größere Bild. Es gibt eigentlich keine guten Schauspieler, sondern nur Regisseure, die Schauspieler gut erscheinen lassen können.

STANDARD: Bertolucci hat einmal gesagt, Sie hätten eine harte und eine bewegende Seite. Hat Haneke je darüber gesprochen, welchen Trintignant er bevorzugt?

Trintignant: Ich glaube, er hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, welchen Film er drehen möchte. Er hat sich für mich entschieden, weil er offenbar ein bestimmtes Bild vor Augen hatte. Dennoch sagte er dann und wann, ich sei zu mysteriös oder zu reserviert. In Wahrheit versuchte ich, alles zu geben, es vielleicht jedoch nicht ganz durchscheinen zu lassen. Wie auch immer, er ist einer der besten Regisseur, die man haben kann, vielleicht der beste der Welt. Freilich kenne ich nicht alle.

STANDARD: Haben Sie den Film chronologisch gedreht?

Trintignant: Ja, das war natürlich ein großer Vorteil. Emmanuelle ging sogar so weit, in der Wohnung, also im Studio, zu übernachten. Nacht für Nacht, nur um immer mehr in die Rolle zu gelangen. Man konnte die Settings beim Dreh sehr schnell verändern, um zur nächsten Szene zu wechseln. Es gab geringe Wartezeiten. Das hatte alles etwas von Theater, was natürlich eine ideale Voraussetzung für einen Dreh ist.

STANDARD: Im Film gibt es auch den Anschein von Mysteriösem: einen Traum, eine Taube, die in die Wohnung fliegt, das Verschwinden Ihres Charakters ...

Trintignant: Das sind interessante Szenen, aber sie sind nicht so wichtig, glaube ich. Was mir an Hanekes Kino so gefällt, ist, dass er sich ganz Banalem, Alltäglichem widmet, ohne dass es langweilig wird. Man rechnet stets damit, dass es noch eine andere Ebene gibt. Das liegt an seiner Art zu inszenieren, daran, wie er den Raum benutzt. Selbst in sehr langen Szenen, in denen fast gar nichts passiert, gelingt es ihm, die Aufmerksamkeit zu halten.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie machen Filme, um Ihre Schüchternheit zu überwinden. Ist Ihnen das denn gelungen?

Trintignant: Stimmt, ich war früher ein wenig ängstlich. Ich bin es noch immer, aber es ist nicht mehr so schlimm. Ich schätze es einfach nicht so sehr, unter Menschen zu sein, das ist alles. Ich möchte nicht, dass das arrogant klingt. Ich lebe auf dem Land, ein wenig wie ein Eremit mit seinen Kühen. Ich liebe Musik, sie berührt mich sehr. Ich interessiere mich auch ein wenig für Sport, aber nicht mehr wirklich für die Kunst. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 18.9.2012)