George Soros (82) ist im Zuge der Eurokrise von einem fantastischen Fondsmanager und Investor endgültig zum großen Weisen der Wirtschaftswelt geworden. Von Anfang an hat er das Krisenmanagement der Eurostaaten kritisiert und genau das gefordert, was heute in fast ganz Europa zum Konsens geworden ist: eine Beendigung der Schuldenkrise durch Vergemeinschaftung der Schulden, entweder durch die Staaten oder die Europäische Zentralbank.

Schon zuvor hat Soros mit seiner Analyse der Finanzkrise recht behalten: Seine vor Jahrzehnten entwickelte Theorie der Reflexivität hat genau das beschrieben, was vor 2008 in den amerikanischen und europäischen Finanzmärkten geschehen ist.

Und nun hat Soros auf mehreren Wegen - ein Artikel in der "New York Review of Books", ein Interview mit der "Financial Times", ein Vortrag am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien - Deutschland den ultimativen Fehdehandschuh zugeworfen: Entweder muss Europas Wirtschaftsgroßmacht seiner Verantwortung gerecht werden und den schwachen Euroländern helfen, oder es soll sich vom Euro verabschieden.

Doch hier geht Soros einen Schritt zu weit. Ja, Deutschland hat seine notwendige Rolle, die Soros als "gutartiger Hegemon" (benign hegemon) nach dem Vorbild der USA ab 1945 beschreibt, bisher nicht oder nur ganz wenig ausgefüllt.

Schuld daran sind die deutsche Innenpolitik, vor allem der Widerstand aus FDP, CSU und auch CDU, sowie der schrille Ton der Medien und die öffentliche Meinung. Sie sehen die Schuld bei den Euro-Südländern und wollen nicht für deren Versäumnisse bezahlen. Dass dadurch die eigenen Kosten nur steigen, wird wortreich weggewischt - und viel zu wenig offensiv argumentiert.

Auch Kolumnist Wolfgang Münchau glaubt, dass Kanzlerin Angela Merkel hier versagt hat, indem sie die Aufgabe für ihr Land nie überzeugend dargestellt hat.

Aber wenn man diese Rahmenbedingungen bedenkt, dann ist es beeindruckend, wie viel Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits getan haben, um Deutschland in den von Soros und anderen geforderten Kurs zu lenken.

Man kann als Politiker eine solche Stimmung nicht einfach ignorieren. Das Beispiel USA nach dem Zweiten Weltkrieg ist hier illustrativ. Auch die Mehrheit der Amerikaner wollte 1945 keine weltpolitische Verantwortung übernehmen und sich stattdessen wieder in die Isolation zurückziehen. Es war erst das Schreckgespenst einer aggressiven Sowjetunion, die Präsident Harry Truman die Chance geboten hat, sein Volk auf die Rolle des Weltpolizisten einzustimmen. Stalin hat die USA zu dem gemacht, was sie heute ist.

Nun ist eine solche Krise noch immer nicht in Sicht. Dazu geht es der deutschen Wirtschaft zu gut. Aber die ersten Zeichen dafür, dass Deutschland von der europäischen Rezession mitgerissen wird, hinterlassen bereits ihre Spuren. Deutschland macht bei der EZB-Hilfsaktion mit. Der Widerstand von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann ist eher symbolischer Natur.

Und man kann auch davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch dem Rettungsschirm ESM keine unüberwindbaren Steine in den Weg legen wird.

All das ist im Sinne Soros', wenn es auch für ihn nicht weit und schnell genug geht. Aber auch er hat keine Alternative zu diesem unbefriedigenden Szenario. Denn ein Austritt Deutschlands aus dem Euro wäre dessen Ende.

Die anderen Staaten des ehemaligen D-Mark-Blocks - Österreich, Niederlande, Luxemburg, Finnland - würden sich Deutschland anschließen und nicht in einem schwachen Euro bleiben. Ebenso Belgien und Frankreich. Seit 1984 haben französische Regierungen, egal ob links oder rechts, alles Denkmögliche getan, um ihre Währung an die deutsche zu koppeln. Sie werden diesen Kurs sicher nicht aufgeben.

Und auch für die anderen Eurostaaten hat eine Gemeinschaftswährung ohne Deutschland keinen Sinn. Die Deutschen in der EZB sind zwar mühsam, aber unverzichtbar. Es ist die Stabilität der deutschen Wirtschafts- und Währungspolitik, die dem Euro Glaubwürdigkeit verleiht und das mit grundsätzliche niedrigen Zinsen belohnt.

Die Alternative wäre daher der Nord-Euro, der dann ebenfalls stärkere (Deutschland) und schwächere (Frankreich, Belgien) Mitglieder hätte. Der Rest Europas würde zu nationalen Währungen zurückkehren - mit allen negativen Konsequenzen, die das hätte. Es wäre bestenfalls wie der Status vor dem Eurostart 1999, wahrscheinlich aber viel instabiler.

Oder aber der Euro würde komplett zerfallen. Und das wäre für alle die schlechteste Lösung.

Bei allem Verständnis für die Ungeduld eines alten Mannes, der meistens recht gehabt: Die "Alles oder nichts"-Entscheidung, die Soros vorgibt, wird es nicht geben. Stattdessen wird man weiterwursteln mit einem Deutschland, das nur zögerlich das tut, was es tun muss, aber am Ende doch richtig handelt.

Mehr von Deutschland zu verlangen ist unrealistisch. (Eric Frey, derStandard.at, 10.9.2012)