Rohheiten aus der Krustentierperspektive. Ein Anfang. Aber das Beste kommt noch.

Al Capitan della Cittadella
Drei Gänge, Wein, Wasser Kaffee: 90 Euro

Foto: Harald Fidler

Und genauso roh von der anderen Seite - im Vordergrund der Petersfisch mit Kapern aus Bronte, ziemlich sicher ein Förderkreis von Slow Food.

Foto: Harald Fidler

Ich hab schon besser gesponnen, aber zweifellos kein Fehler: Granseola alla Veneziana, Blattsalatbett und Mayo unter der Seespinne. Man kann definitiv schlechter essen.

Foto: Harald Fidler

Der Butt. Ganz ohne Grass. Aber mit Stein. Und vor allem mit Kren. Bisschen heftig, in toto.

Foto: Harald Fidler

Petits fours - sorry, kein Kosterlebnis.

Foto: Harald Fidler

Für eine Handvoll Euro mehr schon noch eine kleine Welt besser, fand der Fidler: Rohheiten bei L'Oste Scuro. Nicht nur, weil die Damen den Darth Wirten kannten und schätzten.

L'Oste Scuro

Ein, wiewohl wunderbarer, Gang voller Rohheiten, Brut, Wasser, Kaffee: 49 Euro

Foto: Harald Fidler

Und hier die wunderbare Welt der Krustentiere und der rohen Fische von Darth Wirt aus der Gegenperspektive

Foto: Harald Fidler

Ein bisschen wunderte mich schon, dass die jungen Damen aus Verona und Umgebung zwar alle angezeigten Bars, Cafes, Wirtshäuser und Restaurants zu kennen schienen - aber von diesem noch nie gehört hatten. Vielleicht hatten sie es auch nur noch nie so ausgesprochen gehört, wie ich das versuchte. Aber davon lässt sich ein Fidler natürlich nicht abhalten, wenn der Espresso-Führer ernst zu nehmende Rohheiten verspricht.

Gerade hab ich mich noch hoch über dem Gardasee alteriert, dass hier auf der Karte Branzino und Lachs serviert werden (und immerhin einmal recht schöne Reinanken aus dem Gardasee, bin eh schon versöhnt). Da sitz ich in Verona und futtere drei, vier Gänge Meeresgetier, ohne mit der Backe zu zucken. Inkonsequenz, dein Name ist Fidler.

Ungerührt vom Unwissen der Damen kehrte ich ein bei Al Capitan della Cittadella. Nicht weit von der Arena, aber was ist schon richtig weit in einer Stadt mit einer Viertelmillion Einwohnern? "Ristoranti d'Italia" versprach mir Rohheiten, und die sollte ich hier bekommen. Auch wenn ich mich nicht immer verstanden fühlte (auf Englisch, Deutsch, und was der Fidler für Italienisch hält).

Das beschränkte sich im Prinzip auf den Wein: Ich wollte eigentlich (und sagte das nach meiner Wahrnehmung auch) einen bitteschön eher leichten Weißwein aus der Region. Ergebnis: (Überwiegend) Sauvignon blanc, Brancaia 2010, hat halt auch laut Etikett 13 Volt, also eher gegen 13,5 und ist nicht gerade aus dem Veneto, tät ich Laie vermuten. Aber soll man sich dagegen wehren?

Rohheiten, Teil 1: Seeteufel, Seebarsch, Petersfisch mit Pistazien, schon ganz interessant, zweierlei Gamberi mit Limone und mit Schnittlauch. Dafür war ich da, und ich wurde nicht enttäuscht.

Ein zweites Mal kalt muss sein, wenn Seespinne alla Veneziana auf der Karte steht, bei aller Skepsis gegenüber allem Mayonnaisigen. Schon gut, aber doch ein deutliches Stück entfernt von jener Granseola, die ich einst mit Frau Amsberg in der Trattoria Nalin in Mira verputzte

Und ich weiß auch nicht, warum ich kulinarischer Ramboverschnitt mir zur Hauptspeise beim Capitan Rombo eingebildet hatte. Ich hätte das ja nicht bestellt, wenn ich gewusst hätte (wie nach einem Sicherheitsbesuch bei leo.org), dass ich damit durchaus auch Donner, Röhren oder Grollen bekommen hätte können. Der Käpt'n freilich erkannte in Kenntnis seines Angebots: der Mann will Steinbutt.

Vielleicht lags daran, dass der Chef nach der Bestellung erst einmal in die Welt gegangen ist statt in die Küche, ausgiebig spazieren und plaudern offenbar. Aber der Steinbutt hat mich nicht restlos überzeugt.

Ich war zwar darauf vorbereitet (soviel hatte selbst ich schon verstanden), dass Kren in diesem Secondo eine wesentliche Rolle spielen wird. Aber dass er halt gleich alles niederbrettern darf, den Butt, den Reis, selbst die Krustentierreduktion, hätt ich nicht erwartet. Ein bisschen grob, die Angelegenheit. 

Und wenn ich nicht just auf dem Weg vom Kulturteil (Cittadella! Mit Romantikbrücke!) zum Käpt'n zielgenau L'Oste Scuro gestreift hätte. Ich hätte den Ratschlag der Mädels glatt donnernd in den Wind geschlagen, dass ich genau hier einkehren soll. 

Darth Wirt

Aber mit diesem Wink des Schicksals? Und mit dieser zarten Unzufriedenheit über den doch recht brutal bekrenten Steinbutt? Und mit der Neugier, ob roher Fisch, hier mit 42 - gegen 35 beim Käpt'n - noch einen Hauch teurer, auch noch ein bisschen besser geht. So aufmunitioniert falle ich also gegen 14 Uhr nach drei schon ganz ordentlichen Gängen drüben ein bei L'Oste Scuro. Dem dunklen Wirten. Darth Wirt, quasi. Da muss ich doch unbedingt reinluken.

Nur, zu meiner Verwunderung in diesen Breiten: So früh am Nachmittag schon Schluss mit Küche? Da hält ja Familie Sodoma länger für Laufkundschaft offen. Aber der Chef hat Erbarmen, als ich um eine Portion Rohheit flehe und nicht mehr - dafür bin ich schon um 19.30 gestellt und verspreche, um 20 Uhr zu gehen, wenn der Veronese langsam einmal zu überlegen beginnt, welche Unterhose er zur Cena trägt.

Ich bleibe hart, als man mir um 19.30 eröffnet, dass ich auf diesem Katzentisch am Eingang auch gerne länger bleiben und futtern darf. Man mich mit einer ausgesprochen ansprechenden Begleitung zu halten versucht: Brut 2010 Borgo Molino aus Treviso ("Prosecco only Treviso!", trichtert man mir ein). "Some Oysters" vorweg vielleicht? (Da wurde es echt extrahart zu widerstehen.)

All das hätte mich nicht überzeugt. Aber die Rohheiten. Die Damen wussten schon, wohin sie mich schicken (und warum sie vielleicht kein Interesse hatten, andere rohe Wirte zu kennen, sorry, Käpt'n). So schnell findet man sich wieder auf der dunklen Seite der kulinarischen Pracht.

Zahnbrasse. Zweimal Tintenfisch. Seeteufel (oder übersetze ich da Monk Fish falsch?). Thunfisch, sorry! Und die Krustentiere... Canochie, wie sie Frau Amsberg in Bologna hassen lernte, weil sie im Ganzen auf Nudeln lagen, und ihre natürliche, eher fitzelige Segmentierung den Verzehr nicht unbedingt erleichterte.

Roh geht all das sehr gut, musste ich nun in Verona feststellen. Und ziemlich hingerissen auch noch die übrigen drei, vier rohen Krustentiersorten verputzen: Imperial Red Prawn, wurde mir eine noch vorgestellt, aber das erklärt noch lange nicht das komplette, mich begeisternde Programm.

Nein, keine Austern. Nein, kein weiteres Glas von dem sehr schönen Brut. Nein, ich kann nicht bleiben. Auf mich wartet noch ein Pferd. Oder zwei. Nicht weit von der Arena. Bleiben Sie dran.