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"Beide Burschen waren Provinzler. Auf Deutsch 'Kleinbauern'. Und auch 'rassisch' ähnelten sie einander:" Hitler-Wachsfigur bei Madame Tussauds.

Foto: AP/Miguel Villagran

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Kunstaktion (2002) mit Beneš-Köpfen, verfertigt und an der Grenzstation Slavonice/Fratres aufgestellt vom österreichisch-tschechischen Künstler Abbé Jaroslav Libansky.

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Adolf Hitler und Eduard Beneš: Beide Burschen waren Provinzler. Auf Deutsch "Kleinbauern". Und auch "rassisch" ähnelten sie einander. Wie Eduard, so stammte auch Adolf aus einer Ehe unter Verwandten. Der Vater des Führers brauchte sogar eine kirchliche Dispens. Klara Pölzl war nicht nur eine um dreiundzwanzig Jahre jüngere, arbeitsame Hausfrau, sondern auch seine Nichte, die bei der ersten Gattin von Alois (dieses Mal um vierzehn Jahre älter) als Hilfskraft gedient hatte.

In Koslan würde man sie "mladá Pelclovka" (junge Pölzelin) titulieren. Und so eine ungleiche Heirat würde auf das hiesige Getratsche stoßen. Über Lojza Hit- oder Hiedler wusste man bereits, dass er nicht nur ein angejährter Mensch war, sondern auch ein Grobian und Säufer. Klara hätte gewiss eine Koslaner Warnung bekommen, so wie sie Anna Benes bekam, als ein gewisser Huber von nebenan aus Zihle (Scheles) erschien, damals deutsch, um sich zu verloben. Ein solventer Landwirt. Gewiss wusste sie nicht, dass er auf Tschechisch Lánský, also Ackermann heißen würde. Dass er Äcker besaß, entging ihr aber nicht. Sie gab ihm ihr Wort, und alles sah nach einer Megahochzeit aus und nach Germanisierung.

Huber konnte nicht Tschechisch, dafür Anna gut Deutsch aus den Dienstmädchenjahren in Pilsen. Kein Minnesang zwar, aber fürs Zureden genug. Auf dem deutsch-tschechischen Grenzstreifen eine übliche Praxis. Man schickte die Kinder hinüber, wegen der Sprachkompetenz. So nennt man das heute, damals hieß es im Tschechischen: "veksl" oder "handl". Nicht die Sprache entschied, sondern die Mitgift. Und Mitgift lehnte man schwerer ab als das Deutsche.

Im Übrigen, was anderes sonst suchte Alois Hit- oder Hiedler bei seiner ersten Frau, durch deren Hilfe er zum Zöllner wurde? Es ging ums Geld und den Dienstgrad. Und was anderes schildert uns unsere Nationaloper, die damals frisch war. In der Verkauften Braut hört man unzweideutig: " Kenne ein Mädl, das hat Dukaten, hat Dukaten, und bald ein Landhaus von dem Vater."

Oder umgekehrt, einen Dukatenburschen, der kein Prachtkäfer sein muss, geschweige denn ein intellektueller Riese, Huber jedoch hatte komische rötliche Backen. Sah unerotisch aus und war ein Langweiler. Während der Vetter von Anna, Matheus-Matýej, zwar mittellos war, aber ein wackerer Bursche. Doch aus einem Benny ohne Reichtum etwas Erfolgreicheres zu machen ging nicht so einfach. Die Liebe musste her, und sie war damals noch skandalös. Annas Familie (Sippe der Nanynka) wollte den Jungen nicht, und es war Annas Diplomatenkunst, die ein Happy End brachte. Matýej benahm sich nicht wie ein Straßenräuber, sondern nur taktisch und taktvoll, sodass die Begabung seines Sohnes eine genetische Doppelgrundlage haben könnte.

Nanynka zog ihre Zusage an Huber zurück und heiratete nach dem Herzen. So beschreibt es uns zumindest Vojta, der ältere Bruder von Benes, in seinem Buch Unser Mütterlein. Auch er verkörpert den Aufstieg. Ein fleißiger Turner, Lehrer, Journalist, Weltenbummler. Zu guter Letzt der Hagiograf des zweiten Präsidenten. Vojtas Text wurde schon vor dem Krieg zum Bestseller, während des Krieges zum belächelten Kitsch, danach eine exzellent illustrierte Neuauflage und nach dem Februar 1948 eine Müllware, deren Autor zum zweiten Mal ins Exil musste. Jetzt aber endgültig. Er starb in Illinois, wo er begraben liegt, weit von der Heimat, die er so heftig gelobt hatte.

Um Haaresbreite ein Huber

Aus dem Mütterlein geht jedoch hervor, dass irgendein Eduard Huber uns nur um eine Haaresbreite verfehlt hat. Und somit auch der klassische Zusammenlauf der Widersprüche, typisch für die vornationalen Lebensläufe. Eine gewisse Hedwig Dworzsatscheck (Hedvika Dvorácková) aus der Umgebung von Liberec-Reichenberg hat anders votiert und sich statt eines tschechischen Slepicka (Hähnchen) für Henlein entschieden und zeugte mit ihm einen Konrad, den Erzfeind des Präsidenten. Identität war kein Erbstück. Man hat sie gezüchtet aus einer Auswahl von Identifikationen. Wie eine Auslese von Vorteils- und Risikofaktoren, bei der das Logo "Jedem das Seine" noch nicht durch das Dasein im Rudel die Pluspunkte brachte.

Die Gräben zwischen Koslan und Scheles musste man vertiefen. Sonst waren sie zu einfach zu überspringen. Unser Mütterlein ist auch eine Variante von Blut und Boden, die im Tschechischen nicht ganz mühelos zu erkennen ist. Das Lob des Ländlichen und der Sprache schien ziemlich legitim. Der Unsrige war eben Nachbar und keine Rasse.

Doch das Tschechische dank seiner Struktur und Phonetik lieferte eine brauchbare Barriere. Einmal drinnen, lebte man in der Mütterchenwelt voller Hütten und der angenehmen Atmosphäre eines versteckten Matriarchats. Blut und Boden auf Tschechisch sind Feminina, das Mütterlein kein Neutrum, sondern eine Magna Mater. Darum hat jede Generation des neutschechischen Schreibens sie mit matriarchalischen Hymnen gefeiert. Das tschechische Landgebiet trotzte der Zeitmissgunst in einem Dreigenerationenmodus. Kinder, Eltern und Großeltern bildeten einen Klan, in dem die Babicka, das Großmütterchen, das letzte Wort hatte (und hat).

Und so hat die erste bedeutsame Prosa der Tschechen dieses Schema und Thema. Dem Mütterchen hat sich dann fast jeder gewidmet. Der bereits erwähnte Neruda reimte: Mütterlein, mein kleines (den Vater kannte er nicht), und auch die literarischen Koryphäen der Ära wie Dyk oder Capek übten ihre matriarchalische Heroik. Oder Seifert und Hrabal. Der erste tschechische Nobelpreisträger feiert in der Schwüle des Kommunismus seine einfache Mama. Und der zweite als Erzähler des Tschechisch-Böhmischen nach 1968 macht eine Bierbrauerei zur Kathedrale unseres Wesens und seine Mutti zur heiligen Maria auf deren Schornstein.

Ist also Vojta, wie er behauptet, bloß einer der Baumeister unserer Volkshütte, wo auf uns Knödel und Buchteln warten? Sicherlich. Doch seine Geschichte hat noch eine neue Dimension. Anna ist hier die Demeter unserer Demokratie. Im Unterschied zu Masaryk, dessen Geschichte doppelsinnig erscheint, bietet Eduard ein patriotisches Pendant. Selbst Huber, ein getöteter Drache, gehört dazu. Die Braut wird nicht nur den Fremdling los, sie gebärt zehn Beneschiden mit einem echten Prinzen. Und der klügste von ihnen bekommt eine Königsburg.

Auch hier gibt es eine Hudler-Parallele. Klara Pölzl liefert sechs Nachkommen, in der damals noch gemeinsamen Heimat der beiden Antiwiener musste man der Kindersterblichkeit trotzen. Geburtenraten waren zugänglicher als Ärzte. Erst derjenige, der der Rachenbräune (Diphtherie), den Masern oder der Schwindsucht standhielt, den Haupttötern des Nachwuchses, durfte in den Hader der Nationen. Aus Koslan konnte man den Hradschin erreichen und aus Braunau das Berliner Kanzleramt. (Album, DER STANDARD, 17./18.3.2012)