"Auf die Frage, wo er beheimatet sei, pflegte er zu antworten: ‚Auf Reisen!‘": Jirí Gruša war Schriftsteller, Dissident und Diplomat. Zuletzt leitete er die Diplomatische Akademie in Wien.

Foto (2003): Standard/Robert Newald

maiwetter

 

nach meinem tod

windiges wetter

wolfswolken

himmellang

hingewälzt

tja

 

und ich dachte

es werden

sonnige kommen

sonnige sonnige

tage

 

Ich erinnere mich genau an meine erste Begegnung mit Jirí Gruša; er saß mir gegenüber, hinter einem riesigen Schreibtisch, als Botschafter der Tschechischen Republik in Österreich, ich wieder um nahm vor ihm Platz und bewarb mich um den Job seines persönlichen Sekretärs. Er blickte mich an und fragte: Warum glauben Sie, dass Sie für diese Arbeit geeignet sind? Ich konnte ihm dar auf keine eindeutige Antwort geben, doch erwähnte ich, dass ich, wie er, Schriftsteller sei (was nun eine ziemliche Übertreibung war, da ich damals noch kein einziges Buch vorzuweisen hatte).

Er belächelte dies keineswegs, blickte mich noch einmal an und wollte wissen, was ich so schreibe und warum mich die Literatur interessiere. Schließlich gab er mir ein Blatt aus seinem Notizblock und wollte wissen, ob ich das denn lesen könne? Das Blatt war ziemlich vollgekritzelt, Gruša hatte nun wirklich eine nicht gerade leserliche Handschrift, ich antwortete: Durchaus (was glatt gelogen war). Und er darauf: Dann können wir es ja - durchaus - miteinander probieren. Haben Sie Ihr Studium abgeschlossen? Und ich darauf: Nein, aber ... Er unterbrach mich: Dann schauen Sie, dass Sie damit schnell fertig werden.

Unsere erste Unterhaltung hatte somit mehrere Konsequenzen: 1. Ich war von diesem Tag an sein privater Sekretär und als solcher für alles zuständig, womit er mich betraute ... In erster Linie führte ich seine Korrespondenz, bearbeitete, ergänzte und schrieb seine Reden (was allerdings erst später wirklich zum Tragen kam), ich übersetzte, organisierte oder moderierte ausgewählte Kulturveranstaltungen etc. Nahezu jeden Tag saß ich vormittags bei ihm im Büro, und er erklärte mir, was er sich zu diesem oder jenem er warte, diktierte Briefe, korrigierte meine Vorschläge und wollte meine Meinung zu diesem oder jenem wissen. 2. Ich beendete noch im selben Jahr mein Studium und 3. war ich bald tatsächlich in der Lage, seine Handschrift zu entziffern.

Ich komme nicht umhin, zu erwähnen, dass ich zu diesem Zeitpunkt lange Haare besaß und nicht einmal den Hauch einer Krawatte mein Eigen nannte, wor aufhin - etwas später - Jirí Gruša anlässlich einer Veranstaltung, an der drei Kultusminister teilnahmen (Deutschland, Tschechien, Österreich), zu mir meinte: "Herr Stavaric, ich würde Ihnen ja niemals vorschlagen, sich die Haare schneiden zu lassen, aber meinen Sie nicht, dass zu diesem Anlass eine Krawatte - durchaus - vertretbar wäre?" Und wie recht er damit doch hatte ... Peinlich berührt eilte ich zum nächstbesten (wir befanden uns in Prag) Laden, und ich erinnere mich gut daran, dass ich mich lange nicht entscheiden konnte; allerdings besitze ich besagte Krawatte noch heute. Und tatsächlich, ein gutes halbes Jahr später opferte ich auch meine langen Haare auf dem Altar der Diplomatie, was Gruša keinesfalls kommentierte, doch ich meine, dass er ganz kurz und verstohlen lächelte.

Jirí Gruša war für mich nicht irgendein Vorgesetzter - er war jemand, von dem ich tatsächlich etwas gelernt habe (über das Leben, die Politik, die Ironie und die Literatur). Jemand, der es verstanden hatte, anderen die richtigen Impulse mitzugeben; und wer weiß, wie sich mein Leben ent wickelt hätte, wäre ich ihm nicht begegnet.

Aber zurück zu jenem Leben, zur Politik, Ironie und Literatur ... Auf die Frage, wo Jirí Gruša eigentlich beheimatet sei, pflegte dieser zu antworten: "Auf Reisen!" Ein Standpunkt, der nichts offenlässt. Und "Glücklich heimatlos" nannte er sich schließlich selbst in einem seiner Bücher - eine Betrachtung, die mich lange Zeit beschäftigen sollte (und es nach wie vor tut), wo ich doch selbst keine "Heimat" kenne und mein eigenes Leben dem eines Nomaden ähnelt.

Jirí Gruša sprach manchmal davon, was es hieß, einem Schriftsteller seine Sprache zu nehmen, wo er doch wusste, dass ich mit sieben Jahren das Tschechische verloren hatte und mich plötzlich mit dem Deutschen konfrontiert sah, unfähig, ein Wort zu sagen, eine Tatsache, die ihn an sein eigenes Schicksal erinnerte.

Was sollte er fortan tun, im "Land der Stummen", wie Deutsch land auf Tschechisch heißt? Er meinte: "Der Schriftsteller im Exil verliert nicht nur die Sprache, sondern auch den Adressaten seines Schreibens. Doch damit muss er leben, schließlich kennt jeder Skiläufer sein Risiko; warum also sollte es ein Schriftsteller nicht kennen?" Was die Politik und Ironie anlangt, so erinnere ich mich an eine kleine Anekdote, die ich sehr mag und die so sehr verdeutlicht, was man über Jirí Gruša wissen sollte; sie stellt einen kurzen Dialog zwischen Václav Klaus (dem tschechischen Präsidenten) und ihm dar (es ging damals um den EU-Beitritt Tschechiens).

Klaus: "Tja, dieses Europa, man will da hinein, aber lösen wir uns dort nicht auf wie ein Stück Zucker im Kaffee?" Gruša: "Da würden die Europäer zumindest wissen, dass wir süß sind." Jirí Gruša war ein Meister ironischer Betrachtungen und verstand es, davon konnte ich mich beinahe jeden Tag überzeugen, andere verbal zu entwaffnen. Keinesfalls, indem er sie bloßstellte, vielmehr bezog er sie ein und sorgte so für ein konstruktives Gesprächsklima; bei all den Verhandlungen, bei denen er zugegen war, tatsächlich ein Segen.

Zu mir meinte er einmal, als ich mich in einer relativ prekären Lebenslage befand, dass es für jedes Problem einen Lösungsansatz gebe ... Ich solle also über folgende drei "Leitsätze" nachdenken; er garantiere mir, einer löse das Pro blem gewiss. Diese lauteten:

1. Von nichts kommt nichts.

2. Wer nicht will, der hat

schon.

3. Ran an die Buletten.

Ich gestehe, ich habe diese "Sätze" immer wieder "ausprobiert" und darf heute festhalten: Sie helfen tatsächlich, mir jedenfalls. Beinahe sind sie zu einer Art Mantra geworden, mit dessen Hilfe ich mir Jirí Grušas Ironie jederzeit vor Augen führen kann.

Zur Literatur fallen mir etliche Dinge ein, die ich ihm zu verdanken habe - ich erinnere mich etwa an einen Nachmittag, an dem ich (mal wieder) bei ihm im Büro saß und er plötzlich ein kleines Büchlein eines tschechischen Autors hervorzauberte, Patrik Ouredníks Europeana. Er sagte zu mir, dass er das Buch nicht schlecht fände, ich solle es lesen und - sollte es mir gefallen - einem österreichischen Verlag zur Publikation anbieten. "Ach ja, und selbstverständlich müssen Sie es übersetzen." Was soll ich sagen, ganz genau so entstand mein erstes Werk als Übersetzer - ich war unerfahren und wusste nicht, wie man - verlagstechnisch - an die Sache herangehen musste, doch schließlich klappte es.

Mittlerweile habe ich von besagtem Autor vier Titel übersetzt, von denen mich ein jedes Buch selbst als Autor geprägt hat; nicht zu vergessen, dass ich mit dieser Übersetzung eine "Eintrittskarte" in die Welt der Verlage lösen konnte.

Oder um es mit den Worten von Georg Christoph Lichtenberg zu sagen, dessen Zitat wir einmal als Abschluss einer Rede verwendeten: "Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert. Und mehr als das Blei in der Flinte das im Setzkasten." Jirí Gruša hat diese "Feststellung" damals sehr gefallen ...

 

Schiffe

 

Schiffe die Höfe im See

sie können ihr Nachtgetier

wechseln

 

Und Schwäne

sonst schwarz

werden im Süden

hell-weiß

 

Nur du

mein Gruscha

kannst deinen Pott

nie mehr verlassen

als Möwe nicht

und nicht einmal

als Ratte

(Michael Stavaric, Album, DER STANDARD, 17./18.3.2012)