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Oskar Deutsch kandidiert auf der Liste Atid für das Amt des IKG-Präsidenten.

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Martin Engelberg möchte als Präsident eine neue Phase der jüdischen Gemeinde einleiten.

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Patricia Kahane und Amos Davidovits von der Initiative Respekt wollen den Stil der IKG-Gemeindepolitik ändern. Mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten werden sie voraussichtlich nicht antreten.

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In der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien ist eine Debatte über Kontinuität und Modernisierung entbrannt. Vergangene Woche gab der langjährige Präsident der IKG, Ariel Muzicant, seinen Rücktritt bekannt. Der Immobilienunternehmer war seit 1998 im höchsten Amt der Kultusgemeinde tätig. Der Wahlkampf um seine Nachfolge ist bereits angelaufen.

Bis zu den Neuwahlen im November soll der bisherige Vizepräsident Oskar Deutsch die IKG leiten. Die Amtsübergabe wird voraussichtlich am Dienstag erfolgen. Im Herbst will sich Deutsch auf Muzicants Liste Atid, der derzeit stärksten Fraktion im IKG-Gemeindeparlament, als Präsident bestätigen lassen.

Zwei neue Listen treten an

Zur kommenden Wahl werden gleich zwei neue Listen mit dem Ziel antreten, Atid die Mehrheit abzuringen. Mit der Liste Chaj bewirbt sich der Psychoanalytiker Martin Engelberg neben Oskar Deutsch als bisher einziger Kandidat für das Amt des Präsidenten. Die Initiative Respekt um Patricia Kahane, Präsidentin der Karl-Kahane-Stiftung und Bankaufsichtsrätin, tritt zwar voraussichtlich ohne eigenen Präsidentschaftskandidaten an, will jedoch den Stil der IKG-Politik nachhaltig verändern. derStandard.at sprach mit Atid, Chaj und der Initiative Respekt über ihre Ziele für die IKG, den Wahlkampf und die Berichterstattung in nichtjüdischen Medien.

Deutsch: "Ich trete für Kontinuität ein"

Oskar Deutsch, Geschäftsführer der Alvorada Kaffeehandelsges.m.b.H., gibt sich sehr zurückhaltend. Die Liste Atid habe beschlossen, nicht aktiv in die nichtjüdische Öffentlichkeit zu gehen, um einen Wahlkampf zu führen. In einem Interview mit dem STANDARD hatte Ariel Muzicant es als "im Judentum verpönt" bezeichnet, Wahlauseinandersetzungen in der nichtjüdischen Öffentlichkeit zu führen. Martin Engelberg, so Muzicant, habe damit begonnen.

Gutes verbessern

Deutsch betont außerdem: "Es findet in der IKG kein Wahlkampf statt. 'Kampf' ist zu extrem, das gibt es bei uns nicht. Vielmehr geht es um eine kultivierte demokratische Auseinandersetzung, die eben der Beste für sich entscheidet. Ich bin seit 1989 für die IKG tätig, in dieser Zeit haben wir gemeinsam mit Dr. Muzicant die Strukturen dieser – in Europa einzigartigen – jüdischen Gemeinde aufgebaut." Sein Ziel sei es nun, diese Strukturen weiterzuführen und zu verbessern. "Ich trete für Kontinuität ein, wir wollen die Gemeindemitglieder mehr involvieren und Gutes verbessern", so der bisherige Vizepräsident.

Über konkrete Ziele und die genaue Vorgangsweise im Fall einer Wahl zum Präsidenten könne er zu diesem Zeitpunkt noch keine Auskunft geben. Deutsch sprach sich in der Vergangenheit deutlich für jüdische Zuwanderung aus. "Um sicherzustellen, dass es eine Gemeinde auch in 20, 30, 40 Jahren gibt, ist eine Einwanderung unumgänglich – und daran arbeiten wir auch", erklärte er letztes Jahr im STANDARD. Ziel sei es, die Zahl der Juden in Österreich langfristig von 15.000 auf 20.000 bis 25.000 zu erhöhen.

Engelberg: "Neue Phase der jüdischen Gemeinde ist angesagt"

Für Martin Engelberg ist jetzt die Zeit für eine dritte Phase der jüdischen Gemeinde seit der Shoah gekommen. "In der ersten Phase, nach dem Krieg, saß unsere Elterngeneration auf den Koffern und war noch gar nicht sicher, ob sie hier in Wien bleiben wird. Die zweite Phase begann schon unter dem Vorgänger Muzicants, Paul Grosz, mit dem Wiederaufbau der jüdischen Infrastruktur, was dann unter Muzicant in großen Projekten kulminierte. Für uns steht jetzt die dritte Phase an, wo es um das jüdische Leben geht. Gebaut ist alles, jetzt geht es darum, die Infrastruktur mit jüdischem Leben zu füllen."

Am wichtigsten sei es, die etwa 6.000 bis 8.000 Juden in Wien, die bisher nicht in die Gemeinde eingebunden seien, zu integrieren. "Ich denke, erst dann kann man über eine Zuwanderung aus anderen Ländern nachdenken. Das muss aber mit großem Fingerspitzengefühl gemacht werden. Das zeigt Deutschland, dort wurde noch unter Helmut Kohl eine gewaltige jüdische Zuwanderung zugelassen, und das hat zu großen Problemen geführt. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind ziemlich durcheinandergekommen, haben große soziale und Integrationsprobleme."

Brücken schlagen

Engelberg würde auch den Kontakt zum nichtjüdischen Österreich stärker ausbauen: "Wir wissen alle, dass es in Österreich Antisemitismus gibt, das ist keine Frage. Aber es gibt sehr viele nichtjüdische Menschen, die der jüdischen Gemeinde durchaus sympathisierend und interessiert gegenüberstehen. Es ist wichtig, zu diesen Menschen Brücken zu schlagen, das wurde sehr vernachlässigt in den letzten Jahren."

Der Vorwurf Muzicants, die IKG-Wahl in die nichtjüdische Öffentlichkeit zu tragen, amüsiert Engelberg. "Ich sehe keinen Grund, warum mein öffentliches Auftreten unserer Gemeinde in irgendeiner Weise schaden sollte – ganz im Gegenteil. Ich frage mich, wie kommt Ariel Muzicant dazu, so etwas zu sagen, nachdem er selbst vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an jede Möglichkeit gesucht hat, seine Interessen in die österreichische Öffentlichkeit zu transportieren. Ich habe eher das Gefühl, dass es da ein bisschen darum geht, die möglichen Defizite seines Nachfolgers hinsichtlich öffentlichem Auftreten zu kompensieren."

Zeit für Ablöse

Muzicant habe die Ansprüche der jüdischen Gemeinde mit sehr viel Energie und Aggressivität durchgesetzt und damit anfangs auch weitgehend der Stimmung und den Wünschen in der Gemeinde entsprochen, so Engelberg. "Man darf nicht vergessen, der Anfang seiner Präsidentschaft war 50 Jahre nach dem Ende des Krieges, die Restitutionsangelegenheiten und Entschädigungen waren erst am Beginn der Erledigung, und es gab in der Gemeinde eine starke Stimmung, man müsste jetzt einmal auf den Tisch hauen." Die Gemeinde habe sich gut entwickelt, nun sei es aber Zeit für einen neuen Stil und die Ablöse der zweiten Generation. "Eine Präsidentschaft Deutsch wäre da eigentlich so etwas wie eine Nachwehe."

Initiative Respekt: "Mehr Transparenz und Demokratie in IKG"

Der Unternehmer Amos Davidovits, seit Jahren in der Kontrollkommission der IKG tätig, sieht Änderungsbedarf in der inneren Organisation der Kultusgemeinde. "Unser scheidender Präsident ist ein sehr dynamischer und aktiver Mann, der vieles aufgebaut hat. Wir haben heute eine tolle Infrastruktur, aber das hat natürlich dazu geführt, dass die Strukturen im Inneren der IKG so sind, wie sie halt so ein dynamischer Mann braucht. Da haben also Transparenz und demokratische Prozesse keine Priorität." Zudem müsse die Gemeinde für die Zukunft finanziell abgesichert werden, ergänzt Patricia Kahane, Ombudsfrau des Maimonides-Zentrums und Mitglied der Sozialkommission der IKG. "Eine Institution aufzubauen und hinzustellen und dann über Jahre zu betreiben, das sind zwei Paar Schuhe."

Ein wichtiger Anlass für die Gründung der neuen Liste war für Kahane, dass viele Juden in Wien keinen Platz in der etablierten IKG fänden. Man wolle den Menschen vermitteln, dass jeder in der jüdischen Gemeinde wichtig sei. "Es gibt in Wien viele unterschiedliche jüdische Gruppen. Die in den letzten Jahrzehnten zugewanderten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sind auf dem Weg zur demografischen Mehrheit, sie sind derzeit aber nur mit fünf Mandaten in der IKG vertreten. Das spiegelt nicht die Realität wider", so Kahane.

Kein Anspruch auf Präsidentschaft

Mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten wird man nach derzeitigem Stand nicht antreten. "Wir sind nicht so vermessen, als Neuankömmlinge zu sagen: Wir machen jetzt so viele Mandate, dass wir den Präsidenten stellen. Wir sind aufgrund unserer Erfahrungen in der Arbeit innerhalb der IKG Experten aus verschiedenen Bereichen, und wir wollen die IKG gemeinsam mit anderen Kräften in die richtige Richtung bringen", sagt Davidovits. "Deswegen sind wir auch nicht grundsätzlich gegen die beiden angetretenen Kandidaten." Ob man eher einen Präsidenten Engelberg oder Deutsch unterstützen würde, könne man heute noch nicht sagen.

Stiländerung in der Gemeindepolitik

Ziel der Initiative Respekt sei es, Sachthemen im Vordergrund zu haben, die Probleme und Sorgen vieler IKG-Mitglieder anzusprechen und eine Stiländerung in der Gemeindepolitik zu erreichen, so Davidovits. "Wichtig ist die Frage, wie man in der IKG mit den beschränkten Ressourcen umgeht. Das muss transparent, demokratisch und gerecht sein. Wenn wir glauben, dass etwas nicht diesen Grundsätzen entspricht, dann stellen wir es zur Diskussion."

Alle drei Fraktionen auf Facebook

Ob Wahlkampf oder nicht, auf der Social-Media-Plattform Fabook sind mittlerweile alle drei Fraktionen zu finden. Den größten Zuspruch mit 1.034 "Likes" hat bisher die Initiative Respekt. Chaj – Jüdisches Leben liegt mit nur 23 auf Platz zwei, Atid gefällt bisher lediglich neun Facebook-Usern. (David Rennert, derStandard.at, 20.2.2012)