Innovative und experimentelle Kunst will Fragen stellen, gesellschaftliche Strukturen durchleuchten, eingeübte Seh-, Hör- und Denkgewohnheiten infrage stellen, unerhörte sinnliche Erfahrungen vermitteln und Rechte für die Entrechteten einfordern. Rechthaberei ist eher selten ihre Sache. Insofern weckt die Behauptung "Kunst hat Recht" Aufmerksamkeit. Worum geht es?

KünstlerInnen gegen Sozialpartnerlobby

Damit der Einnahmenverlust der KünstlerInnen durch das private Weiterkopieren ihrer Werke ausgeglichen wird, gibt es eine Leerkassettenabgabe, die von den Verwertungsgesellschaften kassiert und an ihre Mitglieder ausgeschüttet wird. Da der Verkauf von CDs, DVDs und Kassetten aber zurückgeht, schrumpft diese Summe dramatisch. Der Versuch, diese Abgabe auf heutige Speicher- und Kopiermedien auszuweiten - sprich auf Festplatten, Server und Computer-, biss auf den Granit eines sozialpartnerschaftlichen Lobbyings von Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer.

Um hier Druck zu machen, starteten die Verwertungsgesellschaften für Musik, AustroMechana und AKM, und die Verwertungsgesellschaft für Texte, LiterarMechana, die Kampagne "Kunst hat Recht", die aber leider die Diskussion über die Speichermedienabgabe mit einer Forderung nach strengerem Urheberrechtsschutz für das geistige Eigentum im Internet verknüpfte und damit viele der jüngeren, mit den Konzepten der Tausch- und Geschenkökonomie im Internet sozialisierten KulturmacherInnen verärgerte. Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass diese Antipirateriekampagne ausgerechnet am Tag vor der Unterzeichnung des heftig umstrittenen ACTA-Geheimabkommens präsentiert wurde.

Geschenkökonomie versus Piratenjagd

Gerade aus einer Perspektive, die nicht die von mitteleuropäischen WohlstandsbürgerInnen ist, hat das Internet dazu beigetragen, dass Wissen, Informationen, Kunstwerke, die früher nur Menschen zugänglich waren, die Zugang zu den Bibliotheken und Museen der reicheren Teile der Welt hatten, nun weltweit für jede und jeden verfügbar sind. Während die ökonomische Chancenungleichheit zwischen "Erster" und "Letzter" Welt in den letzten 20 Jahren eher noch schlimmer wurde, hat sich die Teilhabe an Kultur und Kommunikation weltweit egalisiert.

Diese egalitären Ideale vor Augen, lehnen die Netzcommunitys und PiratInnen alle Versuche ab, das freie Fließen der Informationsströme im Sinne des alten Urheberrechts zu reglementieren - wie die Gesetzesvorhaben SOPA und PIPA in den USA oder das ACTA-Geheimabkommen, das gerade dem EU-Parlament zur Ratifizierung vorliegt. Diese Gesetzesvorstöße werden allerorten von den großen Medienmogulen und ihren Lobbyisten betrieben. Dass österreichische KünstlerInnen sich da vor den Karren der Industrie spannen lassen, mutet seltsam an. Denn um durchzusetzen, dass keiner meiner Texte, meiner Filme im Internet weitergereicht wird, ohne dass man mir etwas dafür bezahlt, muss ich weitreichende Überwachungsinstrumente wollen. Es ist reichlich naiv, wenn Ursula Sedlacek, Mercedes Echerer und Sandra Csillag von der Initiative "Kunst hat Recht" freundlich beteuern, man wolle eh niemanden wegen Gratisdownloads hinter Gitter bringen, nur Ordnungsstrafen sollen ausgesprochen werden. Um die praktizierenden AnhängerInnen der Geschenkökonomie abstrafen zu können - und das ist wohl inzwischen der größere Teil des jüngeren Publikums -, muss man sie ermitteln. Das wird ohne die Vorratsdatenspeicherung, ohne Online-Durchsuchungen, ohne umfassende Beobachtung, wer wann mit wem welche Daten tauscht, nicht funktionieren.

Die Frage, wovon KünstlerInnen denn leben sollen, wenn sie ihre Werke frei im Netz zirkulieren lassen, ohne daran maßgeblich zu verdienen, sollte ausführlich diskutiert werden. Die Antworten werden aber einfallsreicher, zukunftsweisender und origineller sein müssen als ein Pochen auf das Urheberrecht, das im Internet, wenn überhaupt, nur um den Preis von Hyperüberwachung zu haben ist und die egalitären Ansätze geteilten Wissens ebenso bedroht wie den gesamten Sektor der Remix- und Samplekultur.

Unterm Regenschirm im Dachkammerl

Laut einer Studie des BMUKK beträgt unser Durchschnittsverdienst als österreichische Kunstschaffende 4.500 Euro im Jahr, mehr als die Hälfte verdienen weniger als 1.000 Euro im Monat. 76 Prozent müssen mit Tätigkeiten jenseits der Kunstausübung dazuverdienen. Uns armen KulturarbeiterInnen wäre mit einem bedingungslosen Grundeinkommen mit Zuverdienstmöglichkeiten besser gedient als mit Urheberrechtsverschärfungen, zu deren juristischer Durchsetzung wir eh nie die Mittel haben werden.

Viele Hüte: Einnahmenmix

Die wenigsten KünstlerInnen haben ein festes Engagement, eine dauerhafte Anstellung. Fast alle leben wir von einem Einnahmenmix aus Honoraren, Förderungen, Preisgeldern, Eintrittsgeldern, Sponsoring. In manchen Sparten sind Tantiemen und Urheberrechtsvergütungen bedeutsamer, ausschließlich davon leben wird wohl kaum jemand. Wenn mit der Verbreitung der Kopien eines Werkes nicht mehr viel einzulösen ist, muss seine Herstellung, Live-Präsentation etc. besser entlohnt werden.

Kein Unterschied zwischen Kunst und Käse?

Von den VerfechterInnen strengen Urheberrechts ist ständig zu hören, schließlich würde man ja für Wein, Abflussreparaturen und Fahrräder auch bezahlen. Der Vergleich hinkt. Der Käse ist nach dem ersten Mausbiss verspeist, Texte, Musik und Filme werden nicht weniger wert durch häufigen Gebrauch - im Gegenteil: Hohe Zugriffszahlen oder Einschaltquoten steigern das symbolische Kapital der KünstlerInnen. Dafür kann man sich heute nichts kaufen, aber man wird vielleicht morgen eingeladen, gefördert, ausgestellt, beauftragt, gekauft.

Vielleicht sollten wir also aufhören, uns mit Winzerinnen und Butterstampfern zu vergleichen, und uns eher an PolitikerInnen oder LehrerInnen orientieren. Die müssen für ihre Dienstleistungen auch nicht bei jedem jeweils Profitierenden kassieren, sondern werden für ihren Dienst an der Allgemeinheit mit Steuergeldern bezahlt. Diese Steuern oder Abgaben könnten ja sehr spezifisch dort eingehoben werden, wo unsere Arbeit zum Tragen kommt. Weit über die Festplattenabgabe hinaus könnten wir verlangen, aus Abgaben auf Werbung im Internet, Datenmengen, Netzgebühren o. Ä. bezahlt zu werden. Oder wir diskutieren die Einführung einer modernen Variante der guten, alten Vergnügungssteuer, mit der seinerzeit die Gemeindebauten bezahlt wurden.

Hätte es nicht viele Vorteile, nicht mehr darauf angewiesen zu sein, jedes Zeichen und jede Zeile und jede Minute einzeln jemandem zu verkaufen, sondern stattdessen für den Dienst an der Allgemeinheit entlohnt zu werden und nicht über den Verkauf unserer Werke als Waren?

Solche Modelle hätten auch den Vorteil, dass sie die Möglichkeit einer Umverteilung beinhalten: Wenn die Abgabenhöhe sich nach dem Mindesteinkommen im jeweiligen Land richtet, die Ausschüttungen an Kunst- und InformationsarbeiterInnen aber weltweit gleich hoch wären, gäbe es ein gutes Instrument, auf dem Sektor der Kunst und Kultur gerechtere Terms of Trade zu schaffen als in den restlichen Sektoren der Ökonomie.

Originellere Modelle müssen her

Es ist einfacher, "Haltet den Dieb" zu schreien, als hier tatsächlich durchdachte Modelle zu entwerfen, die einerseits weltweit die freie, nichtkommerzielle Nutzung aller Werke ermöglichen, andererseits die aus diesem freien Fluten lukrierten Gewinne an die verteilen, auf deren Arbeit sie gründen.

Ja, und eine Bitte an alle die KünstlerInnen, die die Kampagne "Kunst hat Recht" unterschrieben haben, aber noch ein Che-Guevara-Leiberl im Kasten liegen haben: Bitte ganz schnell entsorgen, ohne dass es wer sieht. Sonst sind Sie völlig unglaubwürdig! Oder zumindest sofort Lizenzgebühren an die Österreichisch-Kubanische Gesellschaft überweisen (Erste Bank, BLZ 20111, Kto-Nr. 297 238 701 00). Die Che-Guevara-Ikone ist nämlich ein illegaler Download aus dem analogen Zeitalter. Fotograf Alberto Korda erhielt nie einen Groschen dafür, dass kapitalistische T-Shirt-Firmen mit seinem kommunistischen Heldenporträt weltweit Unsummen verdienten. Nur von der Wodkamarke Smirnoff erklagte er schließlich 50.000 Dollar. Und spendete sie für kubanische Kinder. So geht's auch. (Leser-Kommentar, Tina Leisch, derStandard.at, 30.1.2012)