Der Finanzmathematiker Walter Schachermayer hat kürzlich an dieser Stelle (17. 12.) argumentiert, wer die Staatsschulden verringern wolle, der komme aus saldenmechanischen Gründen letztlich nicht umhin, auch die den Schulden gegenüberstehenden Guthaben zu verringern. Er schließt mit dem Satz: "Es wäre jedenfalls fatal, eine stärkere Besteuerung von Vermögen zu tabuisieren." Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Tatsächlich haben bedeutende Ökonomen Kapital- und Vermögenssteuern als wirksame Mittel zur Bekämpfung von aus dem Ruder laufenden Staatsschulden insbesondere nach Kriegen und nationalen Katastrophen vorgeschlagen.

Der wohl bedeutendste Vertreter einer einmaligen Vermögensabgabe zur Tilgung einer gewaltigen Staatsschuld war David Ricardo (1772-1823). Die Staatsschuld Englands war infolge der Napoleonischen Kriege und angesichts unzureichender Steuereinnahmen auf bisher unbekannte Höhen angeschwollen und hatte in der Nachkriegszeit dazu geführt, dass etwa die Hälfte der laufenden Steuereinnahmen für den Schuldendienst verwendet werden musste.

Ricardo war als "stock jobber" am London Exchange tätig und nach der Niederlage Napoleons in der Schlacht von Waterloo im Jahr 1815 und den infolgedessen in die Höhe schnellenden Kursen englischer Staatsobligationen, die er in größerer Menge erworben hatte, zu gewaltigem Reichtum gelangt - er war gewissermaßen ein Kriegsgewinnler. Die öffentliche Schuld, so sein uneigennütziger Vorschlag, sollte durch eine einmalige Vermögenssteuer innerhalb weniger Jahre getilgt werden. Als Mitglied des House of Commons hielt er am 24. Dezember des Jahres 1819 eine Rede, deren Mitschrift unter anderem besagt:

"Um sich gegen dieses Übel zu schützen, das unmittelbar verantwortlich ist für individuelle Ungerechtigkeit und nationalen Schaden, solle das gesamte Kapital eines Landes für den Abbau der öffentlichen Schuld ermittelt werden, sodass kein Kapital mehr das Land verlassen dürfe, ohne vorher einen fairen Anteil dieser Schuld zu begleichen. Die Durchführung dieses Plans könne zwar auf gewisse Schwierigkeiten stoßen, aber die Bedeutung des angestrebten Zieles sei das Experiment wert, jede sich ergebende Schwierigkeit zu überwinden. Der gesamte Plan, mittels dessen die Begleichung der öffentlichen Schuld verwirklicht werden könne, sei seiner Ansicht nach innerhalb von vier bis fünf Jahren umsetzbar."

Eine derartige Steuer, so Ricardo, würde das Gesamtvermögen Englands nicht verringern und würde auch die besitzenden Klassen nicht ungebührlich belasten, denn der Kapitalwert der laufenden Steuern auf Vermögen zur Begleichung der Zins- und Amortisationszahlungen würde sich nicht sehr von der vorgeschlagenen Abgabe unterscheiden.

Ricardo diskutierte die Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Kapitalabgabe mit Freunden, führte Schätzungen des Marktwertes der öffentlichen Schuld sowie des gesamten nationalen Kapitals (unter Einschluss des Boden- und Geldvermögens) durch und berechnete daraufhin den erforderlichen Abgabesatz auf das Kapital. Seinen Überlegungen zufolge würde mit einem Satz von 25 Prozent auf das nationale Kapital die Staatsschuld getilgt werden können. Die Vorteile einer Vermögensabgabe lagen auf der Hand. Sie war in ihrem Gesamtumfang begrenzt und gleich der zu tilgenden Schuld. Sie betraf sowohl die Eigner von Real- als auch Geldvermögen. Sie betraf nur existierendes Vermögen und belastete damit nicht oder nur geringfügig zukünftige Generationen. Freibeträge könnten verhindern, dass kleine Vermögen besteuert und somit auch die weniger Begüterten betroffen würden.

Auch ein anderer berühmter liberaler und in Österreich bestens bekannter Ökonom trat für eine Kapitalabgabe zur Schuldentilgung ein. Als Joseph Alois Schumpeter im Jahr 1919 für einige Monate das Amt des Staatssekretärs der Finanzen (Finanzminister) bekleidete, setzte er sich für eine Kapitalsteuer zur Tilgung der österreichischen Schulden nach dem Ersten Weltkrieg ein.

Falsche Anreize

Es ist erstaunlich, wie sehr Vermögenssteuern heutzutage in Österreich und anderswo verteufelt werden, obgleich die aktuelle Lage an Dramatik durchaus mit den beiden genannten Fällen vergleichbar ist. Überdies ist darauf aufmerksam zu machen, dass es innerhalb der vergangenen Jahre und zum Teil als Folge der Liberalisierung der Finanzmärkte zu einer starken Umverteilung von Einkommen und Vermögen gekommen ist, von der insbesondere der Finanzsektor profitiert hat. Die dort erzielten zum Teil unfassbaren Einkommen und Vermögen stellen alles in den Schatten, was in den Märchen der Gebrüder Grimm an Reichtümern beschrieben wird. (Die jüngst bekannt gewordenen ÖIAG-Gehälter bedürften allerdings eines gesonderten Kommentars.)

Eine Gesellschaft, ließ uns der liberale Altmeister Adam Smith wissen, die nicht auf Gerechtigkeit in der Verteilungsfrage achtet, kann keine gute Gesellschaft sein. Und Nobelpreisträger James Tobin beklagte, "dass wir einen immer größeren Teil unserer Ressourcen, einschließlich der Crème unserer Jugend, in finanzielle Aktivitäten schicken, die weit entfernt sind von der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, - Aktivitäten, die zwar hohe private Vergütungen mit sich bringen, die aber in keinerlei Verhältnis zu ihrem sozialen Nutzen stehen."

Nicht nur aus saldenmechanischen Gründen, sondern auch aus Gründen ökonomischer Gerechtigkeit und der Beseitigung falscher Anreize ist eine Vermögensbesteuerung unabdingbar. Nebenbei gesagt: Sie kommt in jedem Fall, sei es mit Getöse beim Zusammenbruch von Staaten oder Wirtschaftsgebilden, sei es in fernerer Zukunft schleichend über eine Inflation. Aber weder die erste noch die zweite dieser beiden Varianten ist unter Gerechtigkeits- und Anreizgesichtspunkten besonders attraktiv. (Heinz D. Kurz, DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2011)