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Alice Schwarzer in Wien: "Ich bin kurz davor, in die Stadt zu ziehen."

Foto: AP/Thomas Lohnes

Wien - Die Prozesse gegen den Wetter-Moderator Jörg Kachelmann und Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn haben laut Alice Schwarzer "desaströse Folgen". Beide Verfahren gegen die der Vergewaltigung Beschuldigten wurden eingestellt, obwohl Zweifel bestanden. "Die Rechtlosigkeit von Opfern sexueller Gewalt ist strukturell", kritisierte die prominente deutsche Feministin am Dienstagabend bei der Präsentation ihrer Autobiografie "Lebenslauf"
in der Hauptbücherei in Wien.

"Für mich gibt es keine gute und böse Presse"

Alice Schwarzer selbst war viel kritisiert worden, weil sie sich im Kachelmann-Prozess an die Seite des mutmaßlichen Opfers stellte. "Ich habe nie geschrieben, Kachelmann ist schuld." Sondern, "dass es sein kann, dass er es war und sie die Wahrheit sagt". Zu ihrem "Entsetzen", sagte Schwarzer, sei sie mit dieser Ansicht ziemlich allein dagestanden. Nur die "Bild"-Zeitung habe ihr angeboten, "über diese Dinge zu schreiben". "Für mich gibt es keine gute und böse
Presse", betonte Schwarzer, der vorgeworfen wurde, dass sie ausgerechnet mit dem Boulevard-Blatt zusammenarbeitete. Sie könne auch über "die seriöse Presse" einige Grausigkeiten erzählen.

Problem Pornographisierung

Schwarzer sprach von enormen Fortschritten durch die Frauenbewegung. Aber auch von Rückschlägen, wie "die
Pornografisierung der gesamten Gesellschaft", womit sie die "Verknüpfung der sexuellen Lust mit der Lust an der Erniedrigung und Gewalt" meint. Jedes dritte bis vierte Mädchen weltweit sei von Missbrauch betroffen. Jeder zweite Vergewaltiger sei der eigene Ehemann. Lediglich fünf bis zehn Prozent der Vergewaltigungen würden
angezeigt, und nur ein Prozent lande vor dem Richter.

Als weiteren Rückschlag bezeichnete Schwarzer den, wie sie es nannte, "Mutterschaftswahn". Von Frauen mit Kindern werde verlangt, 24 Stunden am Tag Mutter zu sein. Und Frauen, vor allem jüngere, hätten die "Scheu, die Väter angemessen einzuplanen". Denn die Mütter hätten Angst vor einem "Liebesverlust", wenn sie "zu lästig" seien.

Wien-Fan

Alice Schwarzer sprach am Dienstagabend auch über ihr eigenes Leben. Sie habe das Gefühl, dass ihr neues Buch in Wien gut aufgehoben sei, sagte sie zu Beginn der Lesung. Ihre Autobiografie "fängt mit dem 1. Tag Alice an und endet mit dem 1. Tag 'EMMA'". Das Buch umfasst damit die ersten 34 Jahre der heute 68-jährigen Herausgeberin und Chefredakteurin des feministischen Frauenmagazins. Schwarzer zeigte sich außerdem sichtlich gerührt über die große
Anzahl an ZuhörerInnen und über Wien an sich. "Ich bin kurz davor, in die Stadt zu ziehen."

Schwarzer kam am Dienstagabend außerdem auf ein neues Projekt zu sprechen. Sie recherchiert eine eventuelle Rolle des Geheimdienstes in der deutschen Frauenbewegung der 70er Jahre. Schwarzer hegt den
Verdacht, dass die Stasi hinter so manchen Diffamierungen steckt. "Ich hoffe, dass wir rückwirkend einiges aufklären können." (APA)