Alice Schwarzer: Lebenslauf, Verlag: Kiepenheuer & Witsch, September 2011, ISBN: 978-3462043501, 23 Euro

Foto: Kiepenheuer & Witsch

Viele meinen zu wissen, wer Alice Schwarzer ist. Doch davon basiert sehr viel auf Klischees, wie Schwarzer selbst im Vorwort zu "Lebenslauf" beteuert. Sie habe selten über sich selbst gesprochen und noch seltener über sich selbst geschrieben. In der Mitte September erschienenen Autobiographie schreibt nun die deutsche Feministin über ihr Leben und ihre Sicht auf die brennendsten Themen der vergangenen dreißig bis vierzig Jahre. An Texten oder Büchern, die Schwarzers Perspektive und Meinung wiedergeben, hat es allerdings nie gemangelt, auch mit ihrer Sicht betreffend feministische Themen sind wir bestens vertraut. Die meisten ZeitgenossInnen kennen überhaupt nur diese eine Seite und Figur der Frauenbewegung.

Alice mit Minikleid und Bruno

"Lebenslauf" beginnt aber tatsächlich mit einer weitgehend unbekannten Alice Schwarzer - auch sie wurde nicht als Feministin geboren, oder doch? Als uneheliches Kind in den 40ern geboren, wird sie von ihren Großeltern großgezogen und stößt in Familiendingen und bei Geschlechterrollen auf wenige Konventionen. Nach einer Kindheit auf dem Lande und einer Jugend in der Kleinstadt, erlebt sie nach dem Besuch einer Handelsschule unbefriedigende Jahre als Schreibkraft, doch bald entdeckt sie ihren Traumberuf: Journalistin. Bis sie es dank dieser Profession schließlich zur frauenpolitischen Berühmtheit bringt, vergehen aber noch viele Jahre, die mit vielen Alice-im-Minikleid und Alice-eng-an-Bruno geschmiegt Bildern illustriert werden. Von Bruno weiß Schwarzer nur Gutes zu erzählen, an die zehn Jahre verbringen sie gemeinsam und das inzwischen getrennte Paar scheint noch heute ein gutes Verhältnis zu haben. Als Schwarzer für verschiedene deutsche Zeitungen zu arbeiten beginnt und mit dem in Paris lebenden Bruno eine Fernbeziehung führt, liefert der rege (Liebes)Brief-Austausch viel Erinnerungsstoff für ihre Biographie.

Alice Schwarzer sieht sich bereits in dieser Zeit als eine, die sich gern "in der Mitte" ansiedelt. So sympathisiert sie zwar mit den 68ern, dennoch: Alice scheint nie blind einer politischen Mode zu folgen oder sich gar mal auch nur kurzfristig in einer Sache zu irren. Vielleicht manchmal in kleinen Fragen im Umgang mit KollegInnen oder FreundInnen, nie aber in politischen Belangen. Aber gerade in den wenigen Eingeständnissen von Fehlern scheinen die LeserInnen wirklich etwas Neues über die "Star-Feministin" zu erfahren. Etwa, wenn sie erkennt, dass auch sie mit Anfang zwanzig zu Gunsten eines Mannes ihre wichtigste Jugend-Freundin Barbara vernachlässigt hat und dies bis heute zutiefst bereut.

Wie eine Feministin zu sein hat

Nach den ersten frauenbewegten Jahren in Frankreich und den Anfängen der MLF (Le Mouvement de Libération des Femmes, wie die Medien diese neue französische Frauenbewegung nannten) folgten auch schon erste Zurechtweisungen, wie frau als Feministin zu sein habe. Diese gingen damals allerdings nicht von Schwarzer aus, sondern sie trafen sie selbst und kamen von der berühmten MLF-Mitbegründerin Monique Wittig: "Wir sind alle in Hosen. Nur Alice trägt mal wieder ein Kleid."

Nach den schon weitgehend bekannten Anekdoten über Simone de Beauvoir oder Jean-Paul Satre, wird es zwar in Hinblick auf die Geschichte des deutschsprachigen Feminismus interessant, doch die private Alice Schwarzer verschwindet zusehends und sie verschmilzt immer mehr mit ihrem Engagement (oder ihrer "Karriere", wie linke Feministinnen Schwarzers politische Arbeit gerne nannten) und ihrem Beruf. Und auch in dieser für sie enorm wichtigen Lebensphase scheint sich Alice Schwarzer, in dem was sie tut, immer zu hundert Prozent sicher zu sein: Bei der Stern-Aktion mit den 374 Unterschriften von Frauen, die bekennen "Wir haben abgetrieben!" oder bei ihrer immer harscher werdenden Abgrenzung zu linken Frauengruppen, die "scheinbar selbstlos im Namen eines Kollektivs handeln" und die für Schwarzer nur "Funktionärinnen der Frauenbewegung" sind, anstatt - wie sie selbst - unabhängig von Rechts oder Links für die Rechte von Frauen zu kämpfen. "Ideologie sticht Realität", schreibt Schwarzer, die die Realität immer genau zu kennen scheint.

Als Schwarzer mit ihrem dritten Buch "Der kleine Unterschied" im gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus Berühmtheit erlangt und zur prominentesten Feministin Deuschlands aufsteigt, prägt sie das massenmediale Bild der frauenpolitischen Bewegung praktisch im Alleingang. Eine heikle Situation für eine derart wichtige politische Bewegung. Dass das nicht allen AktivistInnen gefällt liegt nahe, wie die Autobiographie aber zeigt, scheint Schwarzer nur wenig Verständnis für diese Problematik zu haben. Ihr ist der "Kollektivwahn" in den verschiedensten deutschen Frauengruppen ein Gräuel, dennoch hätte sie immer wieder versucht, zu verhindern, als Einzelne aus der Bewegung hervorgehoben zu werden. Versuche, die sie heute als "fast rührend" beschreibt.

Zum Schluss EMMA

Wie sehr sie die Stärkung aus den eigenen Reihen aber dennoch vermisst, wird spätestens rund um die Entstehungsjahre von EMMA deutlich. Die Anfeindungen der ehemaligen Mitstreiterinnen, zu Recht oder Unrecht, treffen sie nach eigenen Angaben härter als die offen zur Schau getragene Abscheu aus der großen Gruppe der Anti-FeministInnen und aus den Medien. "Frustrierte Tucke" schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung und eine Wohnung bekommt Schwarzer schlussendlich deshalb nicht, weil sie die Vermieterin für eine "Terroristin" hält.

Warum die Bündnisse zwischen anderen Engagierten (z.B. mit den Macherinnen der von 1977 bis 1984 erscheinenden "Courage") und Schwarzer nie so richtig funktionieren - darüber erfahren wir im "Lebensweg" wenig. Schwarzer versteigt sich hier erst gar nicht in Analysen und mögliche Erklärungen, sondern stempelt schon mal den anderen politischen Stil recht flapsig als den falschen ab. Auch die aktuelleren strittigen Punkte in der Schwarzer-Performance - Pornographie und Kopftuch - spricht sie nur ein einziges Mal an, und das in den letzten Seiten ihrer Autobiographie, die auch schon bei der Entstehung der EMMA in den Endspurt geht. Von einem "Lebensweg 2" kann also ausgegangen werden.

Entschlossenheit und sich ihrer Überzeugungen immer absolut sicher. Das sind Eigenschaften, die man an Alice Schwarzer kennt und auch schätzt. Wie uns ihr "Lebensweg" zeigt, kam auch sie nicht als Feministin zur Welt, aber diese fürs Feministinnen-Dasein zuträglichen Eigenschaften begleiteten sie seit frühester Jugend. Vielleicht gäbe es ohne die starke Persönlichkeit von Alice Schwarzer in den Medien heute ein vielfältigeres Bild davon, was Feminismus bedeutet. Oder vielleicht wären feministische Themen ohne sie in Universitäten oder in politische Kreise verbannt und wären dem Mainstream fremder als sie es heute sind. Fragen, die nach der Lektüre von Schwarzers "Lebensweg" bleiben. Diese müssen allerdings von den zahlreichen anderen aktiven Feministinnen betrachtet werden. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 21. September 2011)