Das N9 ist Nokias erstes Smartphone mit MeeGo (wobei es sich im Grund um eine Mischung aus Maemo 6 und MeeGo-Elementen handelt).

Foto: Birgit Riegler

MeeGo 1.2 "Harmattan" zeichnet sich durch ein simples Bedienkonzept aus - es gibt einen Sperrbildschirm (links), von dem man zu drei Homescreens gelangt. Ein Screen zeigt alle vorhandenen Apps, einer die geöffneten Anwendungen in Live-Vorschaubildern und der Events-Screens listet alle Updates und Benachrichtigungen.

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Die Quick Launch Bar gibt Zugriff auf Telefon, Nachrichten, Browser und Kamera und ist aus jeder Anwendung und von jedem Screen aus erreichbar, indem man den Screen vom unteren Bildschirmrand ca. einen Zentimeter raufschiebt.

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Anwendungen werden nicht geschlossen, sondern mit dem Finger buchstäblich in den Hintergrund geschoben. Ein aktives Beenden der Apps ist nicht nötig, kann aber über den Screen mit den App-Vorschaufenstern vorgenommen werden. 

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Hardware-Tasten gibt es auf der Frontseite des Geräts keine, so gibt es für die Kamera nur den Auflöser über den Touchscreen.

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Zugriff auf wichtige Einstellungen erhält man, indem man in die linke obere Bildschirmecke auf das Akku-Symbol tippt.

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Alle weiteren Konfigurationen können über das Einstellungen-Icon am App-Screen vorgenommen werden.  

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Apps wie der Musik-Player wirken im Kurztest funktional. 

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Die Tastatur weist einen guten Tastenabstand auf.

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Der Browser mit Banner-artigen Top-Sites könnte noch eine Überarbeitung vertragen.

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Fast hätte man nicht mehr daran geglaubt, dass ein neues Smartphone von Nokia so viel positive Kritik bekommt, wie das nun vorgestellte N9. Das Gerät ist Nokias erstes (und vermutlich auch letztes) Smartphone mit MeeGo. Der finnische Hersteller setzt dabei auf eine simple Benutzeroberfläche, starke Hardware und ein individuelles Design. Bei der Präsentation konnte der WebStandard der N9 bereits kurz ausprobieren.

Problem Software

Obwohl Nokia etwa bei kapazitiven Touchscreens später dran war als die Konkurrenz, war die Hardware nie das Problem der Finnen. Leistungsstarke Komponenten und ein gut verarbeitetes Gehäuse sind in Nokias Portfolio öfter zu finden. Knackpunkt war bislang die Software, welche den Hersteller zum Sorgenkind der Handy-Branche abrutschen ließen. Da Symbian schon lange nicht mehr mit Apples iOS und Googles Android mithalten kann, ging das Unternehmen eine Kooperation mit Microsoft ein, die Nokia-Hardware mit Windows Phone 7 verheiratet. MeeGo, dessen gemeinschaftliche Entwicklung Nokia und Intel Anfang 2010 bekannt gegeben hatte, ist damit endgültig zum Stiefkind in Nokias Portfolio geworden. Immerhin ein Smartphone hatte CEO Stephen Elop für 2011 versprochen und dieses Versprechen nun eingelöst.

Design

Beim N9 hat sich Nokia für ein schlichtes, modernes Design entschieden. Das MeeGo-Modell verfügt über ein Unibody-Gehäuse aus Polykarbonat mit Abmessungen von 116,45 x 61,2 x 7,6-12,1 mm und wiegt 135 Gramm. Die micro-SIM-Karte lässt sich im laufenden Betrieb wechseln, der Akku ist allerdings fix verbaut und kann vom Nutzer nicht selbst getauscht werden. Der Kunststoff ist durchgehend (in Schwarz, Cyan oder Magenta) gefärbt, was kleine Kratzer weniger auffallen lassen soll. Obwohl aus Kunststoff, fühlt sich das N9 hochwertig an und liegt gut in der Hand.

Tasten gespart

Auf Hardware-Tasten auf der Vorderseite hat Nokia zur Gänze verzichtet, nur für Lautstärke und zum Einschalten gibt es seitlich zwei Tasten. Ob die Farben und Gehäuseform gefallen, liegt im Auge des Betrachters - auffällig und aus dem aktuellen Smartphone-Portfolio hervorstechend, ist das N9 allemal. Aufgrund des Kunststoffgehäuses soll zudem die Empfangsleistung besonders gut sein, was sich auch beim GPS-Empfang und somit den Navi-Funktionen bezahlt machen soll.

Display

Das Display aus Gorilla-Glas ist an den Kanten leicht abgerundet. Das für die Bedienung des Geräts zentrale Wischen über den Bildschirm ("Swipen") gewinnt durch diese Abrundung an haptischer Qualität. Der AMOLED-Touchscreen misst 3,9 Zoll und löst mit 854x480 Pixel auf - der aktuell durchschnittlichen Auflösung für Displays dieser Größe. Das Display ist leuchtintensiv und hell, die Lesbarkeit unter Sonneneinstrahlung konnte nicht getestet werden.

Akku

Ob der Screen negative Auswirkungen auf die Akkulaufzeit hat, wie bei einigen Smartphones mit AMOLEDs beobachtet wurde, muss ein längerer Test zeigen. Bei Displays dieser Art benötigen schwarze Bildbereiche zwar keinen Strom, helle Bereiche dafür mehr als LCDs. Nokia verspricht bei "üblicher Smartphone-Nutzung" eine Akkulaufzeit von eineinhalb Tagen, womit das N9 im Bereich aktueller Smartphones läge.

Kameras

Die Hauptkamera auf der Rückseite bietet eine Auflösung von 8 Megapixel bei Fotos, 720p bei Videos und wird von einem Dual-LED-Blitz unterstützt. Der Fokus wird durch Antippen am Display gesetzt, so wird etwa auch beim iPhone gezoomt. Die Fotos können direkt aus der Kamera-App heraus verschickt oder über verschiedene Social Media-Seiten veröffentlicht werden. Die Qualität der Aufnahmen konnte nicht überprüft werden, allerdings ist Nokia in der Vergangenheit hier nicht negativ aufgefallen. Für entsprechende Ergebnisse sorgt immerhin eine Carl-Zeiss-Optik. Auf der Vorderseite am unteren Rand ist auch eine zweite Kamera, hauptsächlich für Videotelefonie integriert.

Performance

Als Prozessor hat Nokia einen Single Core OMAP3630 mit 1 GHz gewählt, der für Grafikaufgaben von einer PowerVR SGX530 GPU Unterstützung erhält. Wieso sich Nokia nicht für einen Dual Core-Chip entschieden hat? Weil MeeGo das nicht benötige, so die Antwort des Herstellers. Im Kurztest zeigte sich das N9 bei Spielen, Videos und mehreren gleichzeitig geöffneten Apps auch tatsächlich sehr performant.

Datenübertragung

Neben Bluetooth 2.1 und WLAN 802.11a/b/g/n steht Near Field Communication (NFC) als Übertragungsmethode für Daten zur Auswahl. So kann das N9 via NFC mit kompatiblen Geräten, beispielsweise den Nokia Play 360° Lautsprechern, verbunden werden. Mobiles Bezahlen via NFC wird zum Marktstart allerdings noch nicht unterstützt.

MeeGo

Als Betriebssystem kommt MeeGo 1.2 "Harmattan" zum Einsatz, wobei es sich nicht um eine reine MeeGo-Version, sondern eine Mischung aus Maemo 6 und MeeGo-Elementen handelt. Obwohl sich die Entwickler beim Design der Icons stark an Symbian Anna angelehnt haben, unterscheidet sich die Oberfläche der Systeme doch grundlegend. Bei MeeGo gibt es keine Homescreens, die mit Apps und Widgets nach eigenen Vorstellungen belegt werden können. Stattdessen setzt Nokia auf ein dreiteiliges Konzept.

Dreigeteiltes Homescreen-Konzept

Neben einem Sperrbildschirm mit unterschiedlichen Wallpapers und der Anzeige von Benachrichtigungen, gibt es einen Screen für alle installierten Apps, einen Screen für Events und einen Screen für geöffnete Anwendungen. Zwischen den Screens wechselt man, indem man über mit dem Finger nach links oder rechts über das Display wischt. Damit das funktioniert, muss man direkt am gebogenen Glasrand ansetzen.

Einfacher Wechsel zwischen offenen Apps

Die Apps lassen sich nach eigenen Wünschen sortieren, in Ordner zusammenfassen kann man sie allerdings nicht. Der Screen mit den geöffneten Anwendungen zeigt die Programme und auch Browser-Fenster in kleinen Live-Vorschaufenstern. Befindet man sich in einem Programm, gelangt man durch das Wischen am Bildschirm nach links zurück zum Apps-Screen. Das Programm wird somit in den Hintergrund gelegt, Videos stoppen automatisch. Bei Videos offenbart sich auch die gute Grafik-Performance: schiebt man den Player in den Hintergrund wird das Video währenddessen weiter störungsfrei abgespielt bis das Fenster ganz verschwunden ist.

Zugriff auf wichtigste Funktionen

Wischt man mit dem Finger vom unteren Displayrand ca. einen Zentimeter nach oben, kommt die Quick Launch Bar mit den nach Nokias Ansichten vier wichtigsten Funktionen zum Vorschein: Telefon, Nachrichten, Browser und Kamera. Dieses UI-Element ist auch von iOS und beispielsweise Samsungs Touchwiz-Oberfläche für Android bekannt und kann beim N9 auch vom Sperrbildschirm aufgerufen werden.

Weitere Einstellungen

Zugriff auf wichtige Einstellungen wie zum Wechsel des Profils oder für die Internetverbindung erhält man durch Antippen der linken Bilschirmecke am oberen Display-Rand. Sämtliche tiefergehenden Einstellungen sind über ein eigenes Icon am App-Screen erreichbar. Hier bricht MeeGo etwas mit dem Bedienkonzept des "Swipens", denn um aus tieferen Menüebenen einen Schritt zurückzugelangen, gibt es einen Pfeil-Button. Weitere Funktionen wie Musik-Player oder Galerie-Anwendungen konnten im Test nur kurz ausprobiert werden, machten jedoch einen funktionalen Eindruck.

Browser

Skeptisch stimmt der Browser, der auf Basis von Webkit2 zwar HTML5, offenbar jedoch kein Flash unterstützt. Top-Sites werden in einer etwas unübersichtlichen Banner-artigen Ansicht dargestellt. Seiten luden im Kurztest immerhin in einer aktzeptablen Geschwindigkeit. Tabs gibt es nicht, zwischen offenen Fenstern muss man über den Screen für geöffnete Apps wechseln.

Event-Screen

Auf dem dritten Screen, werden sämtliche Updates und Nachrichten angezeigt. So landen hier gleichermaßen Benachrichtigungen zu E-Mails und SMS wie Twitter- und Facebook-Updates. Alle Konten können zentral über die Accounts-App verwaltet werden. MeeGo unterstützt dabei Microsoft Exchange, Google-Konten, Facebook und Twitter, aber auch Skype, CalDav-Kalender, Flickr, Picasa, YouTube sowie andere Mail- und SIP-Dienste.

Bei Diensten mit extrem häufigen Updates wie Twitter ist allerdings zu überlegen, ob man diese in einem Topf mit SMS und Mails werfen will. Immerhin können alle neuen Updates eines Dienste auf einmal als gelesen markiert und ausgeblendet werden. Zum Tippen von E-Mails und anderen Nachrichten wird auf eine Bildschirm-Tastatur zurückgegriffen, die sich im Test durch einen angenehmen Tastenabstand auszeichnete und sowohl im Hoch- als auch im Quer-Format genutzt werden kann.

Apps

Das Interface von MeeGo ist simpel und intuitiv zu bedienen. Widgets gibt es leider keine. Den größten Nachteil von MeeGo dürfte das magere App-Angebot ausmachen. Für die App-Entwicklung kommt das Framework Qt zum Einsatz. Damit werden auch Symbian-Apps entwickelt, weshalb nur eine leichte Anpassung für bestehende Apps nötig sei, damit sie auf dem N9 laufen. Einige wichtige Anwendungen sind bereits vorinstalliert. Dazu gehören Facebook, Twitter, Skype, Vimeo, eine App zum Aufsetzen eines WLAN-Hotspots, Foursquare, AP-Nachrichten und AccuWeather. Nicht fehlen darf natürlich auch eine Version des populären Games Angry Birds und Nokias eigene Navi-Anwendung Drive. Wieviele weitere Apps letztendlich über den Ovi Store für das N9 zum Marktstart zur Verfügung stehen werden, ist nicht bekannt.

Fazit

Ob das Homescreen-Konzept auch nach längerer Nutzung noch positiv auffällt, kann erst ein ausführlicher Test bestätigen. Mit der simplen Benutzeroberfläche und dem hervorstechenden Design kann das N9 nach dem Kurztest allerdings als gelungen bezeichnet werden. Umso unverständlicher wird die Entscheidung in Zukunft auf Windows Phone als primäres System zu setzen, hat man doch ein so starkes System in den eigenen Reihen entwickelt.

Die Plattform hat keine Zukunft, selbst wenn sich das N9 als Verkaufsschlager entpuppen sollte - das bekräftigte CEO Stephen Elop neuerlich in einem Interview mit der Zeitung Helsingin Sanomat. Elemente des N9, die am Markt besonders gut angenommen werden, sollen laut Nokia in zukünftige Smartphones einfließen. Das bezieht sich jedoch vor allem auf die Hardware und das Design. Zwar werden Updates für das N9 versprochen, wie lange die Unterstützung aufrecht erhalten wird, ist allerdings unklar. Das N9 kommt damit unter denkbar schlechten Vorzeichen auf den Markt.

Verfügbarkeit

Noch offen ist, wann und zu welchem Preis das N9 erhältlich sein wird. In Österreich wird es jedenfalls bei T-Mobile, A1 und 3 erhältlich sein, eventuell auch bei Orange, wobei hier noch Verhandlungen geführt werden. Von dem Gedanken, dass das Gerät in einem niedrigen Preissegment angesiedelt sein wird, muss man sich wohl gleich verabschieden. (Birgit Riegler/derStandard.at, 26. Juni 2011)