US-Schauspieler Ryan Gosling, geschmeidig-charismatisch wie ein junger Steve McQueen: "Drive" heißt der stilsichere Wettbewerbsbeitrag des Dänen Nicolas Winding Refn.

Foto: Festival du Cannes

 Trotz später Highlights wie "Drive" überschattet der Ausschluss Lars von Triers das Festival in Cannes.

Die Aufregung um das dänische Enfant terrible Lars von Trier überschattet das Ende des Festivals von Cannes. Einmalig in der Geschichte der Veranstaltung hat die Direktion einen Regisseur zur Persona non grata erklärt - von Trier darf nicht einmal mehr das Festivalpalais betreten. Mit dieser Entscheidung, die einen Tag nach einer Entschuldigung des Regisseurs kam, ist allerdings niemandem geholfen: So deplatziert die Äußerungen von Triers bei der Pressekonferenz auch waren, mit seiner Verbannung verleiht man seinen dummen Provokationen nur zusätzliches Gewicht.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Regisseur einen öffentlichen Auftritt als Performance nutzt und sich dabei den Mantel des politisch inkorrekten Lausbuben umhängt. Von Trier operiert mit einer Ironie, die nur auf ihn selbst gerichtet ist. Der moralische Rigorismus, mit dem man ihn nun dafür abstraft, wirkt überzogen.

Erfreulicheres gibt es über den Wettbewerb zu berichten, der in der zweiten Hälfte des Festivals weit weniger schwächelt. Geht man nach den Kritikercharts des Branchenblatts Screen, dürfen sich Terrence Malicks The Tree of Life, Aki Kaurismäkis Le Havre und Le gamin au vélo von den Brüdern Dardenne Hoffnungen auf die Goldene Palme machen. Nicolas Winding Refns Thriller Drive dürfte für einen Hauptpreis am Sonntagabend zwar zu eng am Genrekino orientiert bleiben, sorgte aber mit seiner extratrockenen Geschichte um einen Stuntfahrer, der sich nach einem missglückten Raubüberfall zum stoischen Rächer wandelt, noch für Begeisterung.

Ryan Gosling bewegt sich in dieser äußerst stilsicheren Adaption eines Neo-noir-Krimis von James Sallis geschmeidig-charismatisch wie ein junger Steve McQueen durchs Bild. Passagen von angespannter Ruhe wechseln unvermittelt mit Autoverfolgungsjagden und unvermittelten Gewaltausbrüchen ab, die dem Helden den Schweiß ins Gesicht treiben. Winding Refn, wie Lars von Trier übrigens dänischer Herkunft, filmt die Figuren oft in Untersicht, doch der Eindruck von Balance, Macht und Souveränität ist trügerisch: Es ist das Um und Auf dieser im Pastiche-Look der 1980er-Jahre gehaltenen existenzialistischen Parabel, dass jeder gnadenlos fallen muss.

Nach seinem Ausflug ins Wikingerfach, Valhalla Rising, durchdringt Winding Refn hier ein weiteres marodes Milieu, dessen halbseidene Figuren mit Schauspielern wie Albert Brooks, Ron Perlman oder Christina Hendricks durchgehend großartig besetzt sind.

In einer Nebensektion fand auch noch der zweite österreichische Film in Cannes, Karl Markovics' Atmen, eine umjubelte Premiere: Das Debüt des Schauspielers begleitet in ruhigen, meist statischen Einstellungen den 18-jährigen Kogler (Thomas Schubert), der in Gefängnisfreigängen erste Schritte in ein selbstbestimmtes Leben unternimmt. Die Arbeit in einem Bestattungsinstitut und die Suche nach seiner Mutter, die der Jugendliche nie kennengelernt hat, sind die beiden Erzählbahnen des Films, in denen der Held seine Tauglichkeit überprüft.

Passage aus der Isolation

Markovics überstürzt Situationen nicht, sondern widmet sich den einzelnen Arbeitsabläufen des gut getroffenen, ein wenig mürrischen Trupps der Bestatter. Er zeigt die Routinen von Koglers Wegen und schöpft aus szenischen Wiederholungen das Bild eines Helden, der allmählich Boden unter den Füßen gewinnt. Es ist eine Passage heraus aus dem Eingeschlossensein, die Atmen mit großer Ernsthaftigkeit mitvollzieht - aus einer Isolation, die nicht vom Gefängnisdasein, sondern auch aus einer inneren Festung herrührt. Wie der Film dem Protagonisten allmählich möglichen Raum zum Leben verschafft, wird über weite Strecke behände erzählt, wenngleich er visuell eine Spur zu wenig riskiert, um nachhaltig zu beeindrucken.   (Dominik Kamalzadeh aus Cannes/ DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.5.2011)