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Lars von Trier in Cannes, Robert Mitchums legendäre "Predigerfaust" (in "Night of the Hunter") paraphrasierend. - Persona non grata? Never!

 

 

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Über den Autor:
Claus Philipp, bis 2008 Leiter des Kulturressorts des Standard, ist Geschäftsführer des Wiener Stadtkinos.

 

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Ich möchte Lars von Trier für ein paar öffentliche Momente der rhetorischen Undeutlichkeit nicht unbedingt "verteidigen". Aber die Form und die Massivität, mit der er gerade politisch überkorrekt an den Pranger gestellt wird, die sind jämmerlich. Was ist das für eine internationale (Film-)Öffentlichkeit, die weniger Zeit für die Betrachtung seines jüngsten und – ich bin nicht der Verleiher! – von mir noch nicht gesehenen neuen Films Melancholia aufwendet als dafür, ein nervöses Manöver ("Wie komme ich aus dem Satz wieder heraus?") im Rahmen einer Pressekonferenz schlagzeilenmächtig abzulehnen?

Rein gar nichts ist neu und immer schon war vieles missverständlich (manche sagen: provokant) an den Ausführungen des Lars von Trier. Schon vor Jahren ging es – damals war ich noch Journalist – in Interviews mit ihm um exakt dieselben Motive und künstlerischen Motivationen: Von Triers Spiel mit gemeinhin verpönten "Feindbildern" hat im Kino wie in öffentlichen Auftritten autobiografische Begründungen. Es geht bei ihm immer wieder um falsche Bilder, die man sich von sich selbst – als Nation, als Kollektiv, als Individuum – gemacht hat, um dann erst recht unsicher zu sein, wo dann ein "falsches" Gegenüber bzw. eine "eigene" Legitimation des Handelns zu verorten wäre.

Lies nach in Wikipedia: "Lars Holbæk Trier, später Lars von Trier, ist das einzige Kind von Inger Trier (geborene Høst), die eine Angestellte im öffentlichen Dienst und Frauenrechtlerin war. Ihr Ehemann war Ulf Trier, ein dänischer Jude, der während des Zweiten Weltkriegs nach Schweden geflohen war. Nach von Triers Angaben waren seine Eltern Kommunisten und erzogen ihn antiautoritär. Seine Mutter gestand ihm kurz vor ihrem Tod im Jahr 1995, dass sein leiblicher Vater ihr ehemaliger Arbeitgeber Fritz Michael Hartmann sei, ein Nachkomme des Komponisten Johann Peter Emilius Hartmann, der von einer deutschen Familie abstamme."

Auf dieser für ihn offenbar traumatischen Erkenntnis, "anderen Ursprungs" zu sein, basierte auch in den vergangenen Jahrzehnten ein Gros seiner "provokanten" Äußerungen. Was heißt das, "den Deutschen in mir" anerkennen zu müssen? Was heißt das, wenn ich zuerst eigentlich "Jude" hätte sein sollen, mit deutscher Geschichte umzugehen? Was für ein Verrat wurde an mir begangen? In der filmischen Sicht des Lars von Trier heißt das, Überblendungen aufzubauen, Doppelbelichtungen vorzunehmen, mit (Film-)Negativen umzugehen, kurz: auch den Teufel an die Wand zu ... projizieren.

Anders als Filmemachern, die Untergänge verfilmen, um z. B. Adolf Hitler zwecks Staatsschauspiel besser zu verstehen und zu vermarkten und zu verkaufen, war und ist Lars von Trier jemand, von dem ich einen "Untergang" immer interessant empfunden hätte. Aber: Bezeichnenderweise hat er so einen "Untergang" nie gemacht. Dennoch hat man ihn in Cannes zur "persona non grata" ernannt. Währenddessen kann Mr. Mel Gibson, der, wenn er viel trinkt, erwiesenermaßen antisemitische Sprüche absondert, auf dem roten Teppich vor dem Palais du Festival ein Comeback mit Jodie Fosters "The Beaver" feiern.

Christoph Schlingensief sagte einst in seinem ersten Interview mit dem Standard (damals ging's um ein Programm namens Begnadete Nazis): "Hitler muss man kaputtreden. Das Bild Hitler muss abgenutzt werden. Macht kaputt, was euch kaputtmacht." Nichts anderes macht – Tagesform hin oder her – Lars von Trier. Vielleicht hätte er bei der Pressekonferenz in Cannes, wie seine Stars meinen, "echt die Klappe halten" sollen, aber "Persona non grata"? Never! (Kommentar der anderen von Claus Philipp / DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.5.2011)