Malte Spitz unterstützt seine grünen Kollegen in Wien mit Know-how aus Deutschland, wo mehr als zwei Jahre lang alle Verbindungsdaten von Millionen Bürgern aufgezeichnet wurden.

Foto: Albert Steinhauser

Malte Spitz verlässt Berlin. Die interaktive Grafik von Zeit Online bildet ein halbes Jahr im Leben des Politikers ab.

Foto: ZEIT ONLINE

Am 28. September 2009 schrieb Malte Spitz 32 Kurznachrichten und erhielt 20 Anrufe. Bis Mittag war er in Berlin und verließ die Stadt um 13:35 Uhr, pünktlich drei Stunden danach kam er in Düsseldorf an. Wenig später fuhr er über Essen (20:24 Uhr), Bielefeld (21:40 Uhr) und Hannover (22:31 Uhr) wieder zurück nach Berlin, wo er kurz vor ein Uhr früh eintraf.

An diesem Herbsttag passierte in Malte Spitz' Leben nichts, was ihn heute, anderthalb Jahre später, an diese Details zurückerinnern ließe. Er weiß die genauen Daten nur, weil von ihm ein komplettes Bewegungsprofil erstellt wurde. Allerdings nicht nur von ihm und nicht nur an diesem Tag – sondern von jedem deutschen Handy- und Internetnutzer zwischen Jänner 2008 und März 2010. Die gesetzliche Grundlage für diese Aufzeichnungen war im Dezember 2007 mit der Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Verbindungsdaten beschlossen worden. Mit etlichen Jahren Verzögerung einigte sich vor einem Monat auch der österreichische Ministerrat auf eine Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität.

Malte Spitz (26), Mitglied im sechsköpfigen Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen, klagte die von ihm gespeicherten Handy- und Internetdaten erst von seinem Provider ein, einigte sich dann aber außergerichtlich auf die Herausgabe der Daten. Die resultierenden 35.831 Datensätze, anschaulich visualisiert von Zeit Online, geben nahezu lückenlos Auskunft über Aufenthaltsorte, Kommunikationsverhalten und Gesprächspartner von Malte Spitz. derStandard.at sprach mit ihm.

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derStandard.at: Warum müssen wir Angst vor der Vorratsdatenspeicherung haben?

Malte Spitz: Wir müssen die Vorratsdatenspeicherung stoppen, weil die Menschen beginnen, ihr Kommunikationsverhalten zu verändern, da sie Angst vor Überwachung und möglicher Kontrolle haben. Ein praktisches Beispiel: Man kann als völlig unbescholtener Bürger, der regelmäßig über digitale Wege kommuniziert, auf einmal zum Verdächtigen werden, nur weil man sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten hat.

derStandard.at: Ist ein Missbrauch der gespeicherten Daten zu befürchten?

Malte Spitz: Natürlich, das konnte man in Deutschland sehen, als die Deutsche Telekom interne Daten verwendet hat, um einen Informanten aufzudecken und dabei hunderte Leute überwacht hat, völlig auf eigene Faust. So schleicht sich auch in der Gesamtbevölkerung eine Veränderung der Wahrnehmung ein, weil das Risiko greifbar wird. So eine Veränderung will ich nicht, ich will eine freie Kommunikation sicherstellen, bei der nicht ständig die Angst, überwacht zu werden, mitschwingt.

derStandard.at: Befürworter von Überwachungsmaßnahmen argumentieren oft mit der Logik "Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten". Was antworten Sie darauf?

Malte Spitz: Ich habe auch nichts zu verbergen. Aber ich will nicht, dass ein solches Profil, wie es auf Basis meiner Daten erstellt wurde, von jedem Bürger angefertigt werden kann. Bei einem möglichen Missbrauch, sei es von Seiten des Staates oder von Unternehmen sind massive Folgen zu befürchten. Unbescholtene Bürger haben ein Recht auf Privatsphäre. Wenn aber alle zehn Minuten ein Ortungssignal abgegeben und gespeichert wird, kann man von Verhältnismäßigkeit absolut keine Rede mehr sein. Aus diesem Grund finde ich, das Argument greift hier überhaupt nicht. Zudem - und das ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten noch schwerwiegender - wird durch eine solche Sichtweise eine Umkehrung der Unschuldsvermutung stillschweigend
hingenommen.

derStandard.at: Die Forderung nach einer stärkeren Kontrolle des Netzes wird häufig von der Phrase "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein" begleitet. War es das jemals? Oder steht zu befürchten, dass es das ohne Vorratsdatenspeicherung würde?

Malte Spitz: Das Netz war noch nie ein rechtsfreier Raum. Rechtsstaatliche Prinzipien galten seit jeher im Internet und werden dort durchgesetzt, es gibt entsprechende Rechtsanwendungen. Straftaten, die mittels Internet begangen werden, sind reale Straftaten, und nur weil das Internet in der einen oder anderen Weise eine Rolle spielt, sind es nicht plötzlich nur mehr fiktive oder virtuelle Delikte. Diese Taten wurden auch schon vor der Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt, währenddessen und auch danach, ohne dass es in der Kriminalitätsstatistik signifikante Auf- oder Abstiege gab. Ich glaube, es gibt viele andere Möglichkeiten zur Verfolgung und Aufklärung dieser Straftaten, die grundrechtsschonender und verhältnismäßiger sind als die Vorratsdatenspeicherung.

derStandard.at: Der Kampf gegen Cyberkriminalität und Terror wird dennoch stets als Rechtfertigung gebraucht – wenn sich aber die Kriminalitäts- und Aufklärungsraten nicht verändern, wo liegt die Motivation der Befürworter sonst?

Malte Spitz: Bei manchen Politikern gibt es skurrile Überwachungsphantasien. Sie sehen die digitale Kommunikation nicht als Chance für ein freieres, demokratischeres und partizipativeres Leben, sondern als Möglichkeit der Überwachung und Kontrolle. Und natürlich gibt es auch Interessen, solche Informationen beispielsweise zur Verfolgung von Urheberrechtsdelikten zu benutzen. Ein Paradebeispiel hierfür ging vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels aus, einer Uralt-Institution, die seit fast 200 Jahren auch für Presse- und Meinungsfreiheit kämpft. Mittlerweile vertreten sie aber die Sichtweise, dass eine Vorratsdatenspeicherung notwendig ist damit verfolgt werden kann, ob und wo Bücher illegal heruntergeladen werden.

derStandard.at: Hans Zeger, der Obmann der Arge Daten, antwortete auf eine ähnliche Frage kürzlich: "Die wichtigen volkswirtschaftlichen Entscheidungen werden nicht mehr von der Politik getroffen, sondern von großen Unternehmen. Von der Gestalterfunktion wurden die Regierungen in eine Beobachterposition gedrängt. Der Wunsch, wieder ernst genommen zu werden, dürfte die stärkste Triebfeder der Politik sein." Können Sie diese Ansicht nachvollziehen?

Malte Spitz: Ich würde uns da nicht einbeziehen, weil die Grünen die dort beschriebenen politischen Standards in keinster Weise teilen. Natürlich nehme ich aber auch wahr, dass es zum Teil eine Interessensgeladenheit gibt, die diese falschen Entscheidungen vorantreibt. In diesem Sinne finde ich die Analyse nicht falsch und genau solche Analysen sind es letztendlich, die mich motivieren, für unsere Politik einzutreten. Wir wollen einen ganz klaren Gegenentwurf setzen und sagen: So darf Politik nicht funktionieren, und es wäre fatal, wenn Politik sich in diese Richtung weiterentwickelte.

derStandard.at: Sie kämpfen nicht nur gegen die Vorratsdatenspeicherung, Sie haben auch die Initiativen "Pro Netzneutralität" und "Facebook Privacy Control – Now!" mitgegründet. Woher kommt ihr Anliegen für diese Themen?

Malte Spitz: Ich bin seit ungefähr zehn Jahren politisch aktiv und seither interessiert mich die Netzpolitik. Früher lief das unter dem Schlagwort "Neue Medien". Ich bin auch seit bald fünf Jahren Mitglied des Chaos Computer Club, weil ich sehe, wie stark das Internet unser Leben verändert hat und verändern wird, welche Chancen es bietet. Ich kämpfe für einen möglichst freiheitlichen, bürgerrechtskonformen Rahmen der Internetregulierung. Das Vorgehen von Privatunternehmen wie beispielsweise Facebook, die meinen, sie können die Datenschutzgesetze aushebeln, sind Punkte die mich in meinem politischen Handeln antreiben. Dazu darf es nicht kommen. Jedes Interview, das ein Telekommunikationsmanager gegen die Netzneutralität gibt, ist für mich ein Grund, mich noch stärker für die Netzneutralität einzusetzen.

derStandard.at: Sie haben in einem Aufsatz die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern mit dem momentanen Medienwandel durch das Internet verglichen. Welche Auswirkungen wird das Internet auf das Leben der Menschen in Zukunft noch haben?

Malte Spitz: Ein Prophet bin ich nicht, aber auch ein unbedarfter Beobachter konnte in den letzten ein, zwei Monaten sehen, was in Nordafrika und der arabischen Welt stattgefunden hat. Diese Wirksamkeit, diese Öffentlichkeit, diese breite Mobilisierung konnte so nur durch das Internet funktionieren. Zum einen ist das also ein ganz klarer demokratischer Aspekt, den ich mit dem Internet in Zukunft verbinde. Zum anderen, und das ist für mich ein politisches Ziel für das Leben in Zukunft, der Aspekt der freien Informationen: Wie durch den Buchdruck früher, wird Wissen heute über das Internet für die breite Bevölkerung zugänglich gemacht und nicht mehr abgeschottet. Die Jahrzehnte einer stetig voranschreitenden Wissensmonopolisierung konnte und kann das Internet für die gesamte Gesellschaft aufbrechen. Diese Möglichkeit gilt es politisch zu nutzen und diesen freiheitlichen Rahmen politisch zu verteidigen.

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Im März 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde von Malte Spitz und 34.938 weiteren Beschwerdeführern die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig, alle vorhandenen Daten wurden gelöscht. Es war dies der Verfassungseinspruch mit den meisten Anklägern in der Geschichte der Bundesrepublik. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 22.3.2011)

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