London - Ein Leben ohne Furcht: Nach der Schädigung einer bestimmten Hirnregion hat eine Frau jegliche Angst verloren. Der kuriose Fall bestätigt erstmals beim Menschen die Vermutung, dass dieses Gefühl in der sogenannten Amygdala entsteht. Das kleine, auch als Mandelkern bezeichnete Areal spielt damit eine Schlüsselrolle für die Therapie von Angststörungen und Traumatisierungen.

"Gewöhnlich filtert die Amygdala aus sämtlichen ins Gehirn einlaufenden Informationen Hinweise auf alles, was unser Leben gefährden könnte", erläuterte der Neuropsychologe Justin Feinstein von der Universität von Iowa. "Bei Gefahr leitet sie eine Reaktion des ganzen Körpers ein, die uns dazu zwingt, die Bedrohung zu meiden." Dazu zählen typische Angstsymptome wie Pulsrasen, schnelle Atmung oder Schwitzen.

Amygdala medikamentös dämpfen

Aber dieser wichtige Schutzmechanismus fehlt bei jener Frau, über Feinstein in "Current Biology" schrieb. Weder Horrorfilme noch der Besuch eines berüchtigten Geisterhauses flößten ihr Furcht ein. Auch ihr Tagebuch lieferte keinen Hinweis darauf, dass die Frau Angst spürt. Schließlich konfrontierte Feinstein sie mit Schlangen und Spinnen - Tiere, in deren Nähe sie früher nach eigenen Angaben Abscheu überkam. Nun fasste sie die Tiere sofort prompt an, aus Neugier, wie sie erläuterte.

"Ohne Amygdala fehlt SM (die Initialen der Frau, Anm.) auch die Fähigkeit, Gefahren aufzuspüren und zu vermeiden", erläutert Feinstein. "Es ist ziemlich bemerkenswert, dass sie überhaupt noch am Leben ist."

Abgesehen von der fehlenden Angst ist das Gefühlsleben der Frau nicht eingeschränkt: Sie verspürt Trauer oder Freude wie andere Menschen auch. Aus ihren Erkenntnissen wollen die Forscher neue Ansätze zur Behandlung von Angsterkrankungen oder der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickeln: So könnten etwa Medikamente die Aktivität der Amygdala dämpfen. (APA)