Julian Assange ist ein Schauspieler auf der Bühne der Weltpolitik. Seine Kollegen auf den Leinwänden haben es bedeutend einfacher: Sie entscheiden selbst, ob sie die Rolle des Bösewichts übernehmen wollen oder nicht. Der Australier hat keine Chance: Assange wird seine Rolle immer von außen zugeschoben, egal ob von Seiten der US-Regierung (z.B. von Außenministerin Hillary Clinton), den US-Militärs (z.B. von Admiral Mike Mullen) oder den Internetusern, wo er in vielen Foren als eine Art moderner Heilsbringer gesehen wird.

Durch die Zuspitzung auf seine Person bündelt sich das Medieninteresse. Als Journalist ist er sich bewusst, dass im Medienzeitalter Personalisierung alles ist und er so das Interesse an Wikileaks maximieren kann. Damit läuft er aber Gefahr, als Überbringer der Nachricht seine persönliche Freiheit aufs Spiel zu setzen - der Shoot the Messenger-Reflex.

In diesem Licht muss man deshalb auch die unterschiedlichen Vorwürfe gegen ihn sehen. In Schweden wird er per Haftbefehl gesucht. Wegen Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung wird gegen ihn ermittelt. Der Haftbefehl wurde ausgestellt, um "die Vernehmungen abschließen zu können". (Mit Verschwörungstheorien wollen wir uns hier übrigens nicht aufhalten, diese gibt es etwa in unserem Forum nachzulesen.)

Mehr Substanz als die schon länger brodelnde Vergewaltigungsaffäre hat die jüngste Anschuldigung des US-Außenministeriums. Es wäre gegen das Gesetz, dass Wikileaks im Besitz der neuen Dokumente sei, zitierte der "Stern" Harold Koh aus dem US-Außenministerium. Gegen welche Person am Ende ermittelt werden wird, kann man sich denken. Es gibt ja nur eine.

Wichtiger als die Person Julian Assange ist aber seine Plattform Wikileaks. Die Kritik an ihr ist eintönig, seit Jahr und Tag immer dieselbe. Das Pentagon spekulierte nach den letzten Veröffentlichungen, Wikileaks könnte "Blut an den Händen" haben. Das Wording ist heute ähnlich. "Eine Veröffentlichung wird unzählige Leben bedrohen", heißt es von der Obama-Regierung.

Nur weil die Kritik an "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnert, ist sie deshalb nicht weniger treffend. Nur wenige - und Wikileaks gehört da garantiert nicht dazu - will Leben absichtlich gefährden. Die Plattform und die mit ihr kooperierenden Medien wie der Spiegel, der Guardian und die New York Times sind hier gefragt.

Am Ende bleibt die Frage über: Haben die USA oder Wikileaks die besseren Motive für ihre Handlungen? Nun ja, die Argumentationslinie der beiden Seiten ist eine ähnliche. Beide glauben, dass der Zweck die Mittel heiligt.

Die USA wollen nicht, dass peinliche oder erschütternde Details ans Tageslicht kommen, welche die Situation im Irak oder in Afghanistan verschlechtern (und gegen den Regierungs-Spin der USA arbeiten). Wikileaks hat folgendes Selbstverständnis: "Publishing improves transparency, and this transparency creates a better society for all people." Und die Wikileak'sche Argumentationslinie ist damit utilitaristisch.

Assange & Co. handeln so, dass das größtmögliche Glück entsteht. Die USA wollen auch das größtmögliche Glück - für die USA. Hier liegt der Unterschied. (flog, derStandard.at, 28.11.2010)