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Ausschreitungen zwischen Polizisten und streikenden Bergarbeiten am 27. März 1984 bei der Zeche Daw Hill in Warwickshire. Berger: "Die Maßnahmen waren ohne Frage rigoros und nicht zuletzt deshalb sprach man in Großbritannien zumindest auf der linken Seite von einem 'class war from above'."

 

 

 

 

 

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Die britische Premierministerin Margaret Thatcher und der chinesische Premier Zhao Ziyang tauschen am 19. Dezember 1984 die Dokumente zur Überlassung der britischen Kolonie Hongkong an China aus. Berger: "Margaret Thatcher hat das sehr geschickt gemacht und immer wieder mit der Frage 'Wer regiert dieses Land eigentlich?' die Gewerkschaften kritisiert und damit auch die Labour-Party."

 

 

 

 

 

Foto: AP/Neal Ulevich

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Streikposten am 17. Dezember 1984 bei der Zeche Lea Hall in den West Midlands. Berger: "Die britische Regierung war sehr gut vorbereitet. Es gab riesige Vorräte an Kohle, es war ein bewusster Versuch, die Bergarbeitergewerkschaft als eine der mächtigsten Gewerkschaften des Landes zu zerschlagen. Was ja auch gelungen ist."

 

 

 

 

 

Foto: EPA/ARCHIVE

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Das geteilte Berlin in der Nähe des 'Checkpoint Charlie' am 18. Juli 1986. Berger: "Die CGT-Funktionäre sind nach Ostberlin gefahren, haben sich dort das Geld abgeholt und es dann versteckt in Geldgürteln nach Großbritannien gebracht. Anders hätte das auch gar nicht funktioniert."

 

 

 

 

 

Foto: EPA/Roland Hohlschneider

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Zusammenstöße bei der Zeche Daw Hill am 26. März 1984. Berger: "Ich glaube nicht, dass es die Möglichkeit gegeben hätte, einen anderen Ausgang zu bewirken. Der Bergarbeiterstreik ging verloren und auch mit noch mehr Geld hätte man das wohl nicht verhindern können."

 

 

 

 

 

Foto: EPA/ARCHIVE

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Bagger im Braunkohle-Tagebau Jänschwalde im deutschen Bundesland Brandenburg (Foto vom 7. Oktober 2007). Der Export von Braunkohle ins bestreikte Großbritannien war laut Stefan Berger "der zynische Versuch, mit der rechten Hand hereinzuholen, was man mit der linken gegeben hatte. Es ging der DDR nicht darum, die Regierung in London zu stürzen oder die Revolution herbeizuführen."

 

 

 

 

 

Foto: AP/Sven Kaestner

Ein streikender Minenarbeiter zeigt während der Proteste im Zuge des Bergarbeiterstreiks mit dem Finger auf eine Reihe von Polizisten. Berger: "Es war ein tragisches Aufbäumen gegen das von der konservativen Regierung radikal forcierte Zechensterben."

 

 

 

 

 

Foto: Martin Jenkinson

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Gewerkschaftsführer Arthur Scargill auf einem undatierten Foto. Berger: "Scargill ließ keine Gelegenheit aus, deutlich zu machen, dass er in diesen kommunistischen Ländern ein Modell sah. Er war regelmäßig auf Radio Moskau zu hören und gab da die wildesten Dinge zu Protokoll: Dass die Solidarność in Polen nur ein Instrument der CIA sei und ähnliche Geschichten."

 

 

 

 

 

 

Foto: Archiv

Der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt im Gespräch mit dem österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Berger: "Es gab diese Idee von 'kill communism with kindness'. Der Dialog als Mittel der Unterminierung des Kommunismus ist in Großbritannien schon früh aufgetaucht."

 

 

 

 

 

Foto: Sven Simon

Das Buch "Friendly Enemies - Britain and the GDR, 1949-1990" von Stefan Berger und Norman LaPorte ist im Mai dieses Jahres bei Berghahn Books erschienen (ISBN 978-1-84545-697-9).

Foto: Berghahn Books

Es klingt wie ein Agententhriller in bester Kalter Kriegs-Manier: Einige Personen kommen während des großen Bergarbeiterstreiks in Großbritannien 1984/85 aus Frankreich nach Ostberlin. Dort werden ihnen 1,4 Millionen britische Pfund in bar übergeben. In Geldgürteln versteckt sollen die Kuriere das Geld über Frankreich und den Ärmelkanal nach Großbritannien bringen - als Unterstützung für die Berarbeitergewerkschaft in ihrem Streik, dessen letztendliches Scheitern die britische Gesellschaft und Politik bis heute prägen sollte.

Doch es sind keine Agenten, die hier in geheimer Mission unterwegs sind, sondern Funktionäre des Confédération générale du travail (CGT), des Gewerkschaftsbunds der französischen Kommunistischen Partei. Das Geld kommt aus dem Weltgewerkschaftsbund und damit von kommunistischen Gewerkschaften aus allen sozialistischen Ländern. Die DDR koordiniert den Transfer. Es soll der britischen Bergarbeitergewerkschaft - der die konservative Regierung unter Margaret Thatcher die Konten gesperrt hat, um sie zur Aufgabe zu zwingen - helfen, ihren Streik aufrecht zu halten.

Der an der University of Manchester forschende deutsche Historiker Stefan Berger hat in einem Buch ("Friendly Enemies - Britain and the GDR, 1949-1990", Berghahn Books 2010) erstmals Belege für die streng geheim gehaltene Aktion präsentiert. Zehn Jahre lang forschten er und sein Kollege Norman LaPorte zu den Verflechtungen Großbritanniens mit der DDR während des Kalten Krieges - unter anderen im deutschen Staatsarchiv und in den Dokumenten von DDR-Massenorganisationen wie dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), unter denen er die Belege für den Geldtransfer fand.

Neue Ostpolitik antizipiert

Berger sei überrascht gewesen, wie vielfältig die Kontakte zwischen den Gegnern im Kalten Krieg waren "und vor allem wie positiv die DDR in Großbritannien zum Teil wahrgenommen wurde". Im Gespräch mit derStandard.at erklärt er, warum innerhalb von Großbritanniens Linke kommunistische Ideen salonfähiger waren als in anderen westeuropäischen Ländern - und kritisiert die britischen Linken für ihre "Blauäugigkeit" im Umgang mit den Schwächen des real existierenden Sozialismus.

Den Umgang der britischen Linken mit der DDR möchte er auch als Warnung an die heutigen linken Parteien verstanden wissen, "sich mit dem politischen Prozess auseinander zu setzen und den politischen Prozess ernster zu nehmen, als sie das in den langen Jahren des Kalten Krieges getan haben". Denn mit dem Argument "sie haben den Kapitalismus abgeschafft" habe die Linke beide Augen zugedrückt vor den offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen in den sozialistischen Staaten.

Auf der anderen Seite seien es britische Labour-Politiker und ihre intensiven Kontakte mit der DDR gewesen, die die Neue Ostpolitik des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt schon Jahre zuvor antizipierten. Inwieweit sie tatsächlich Einfluss auf den Umschwung der westdeutschen Politik gegenüber der DDR nahmen, kann Berger aber nicht abschließend bewerten. Das "Trauma" des gescheiterten Bergarbeiterstreiks habe schließlich seinen Teil dazu beigetragen, dass sich die Labour-Party verändert habe hin zu einer Partei der "postsozialdemokratischen Sozialdemokratie".

Trotz der Geldlieferungen aus dem Osten scheiterte der Bergarbeiterstreik in Großbritannien 1985. Vor allem deshalb, weil dem Staat die Kohle trotz umfassender Bestreikung der Zechen nicht ausging. Unterstützt wurde die Thatcher-Regierung dabei ausgerechnet von der DDR. Die exportierte gleichzeitig mit dem Bargeld für die Bergarbeiter heimische Braunkohle nach Großbritannien, um an dringend benötigte Devisen zu gelangen - und fiel damit den Genossen auf der Insel in den Rücken. "Es war der zynische Versuch, mit der rechten Hand hereinzuholen, was man mit der linken gegeben hatte", sagt Berger.

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derStandard.at: In Ihrem Buch dokumentieren Sie, dass die DDR den Bergarbeiterstreik in Großbritannien finanziell unterstützt hat. Wie ist das abgelaufen?

Stefan Berger: Über französische Mittelsleute von der CGT. Die CGT-Funktionäre sind nach Ostberlin gefahren, haben sich dort das Geld abgeholt und es dann versteckt in Geldgürteln nach Großbritannien gebracht. Anders hätte das auch gar nicht funktioniert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Kalten Krieg so einfach gewesen wäre mittels IBAN oder was auch immer, Geld von Ostdeutschland nach Großbritannien zu überweisen. Solche Art von Kurierdienst war wohl die einzige Art, wie man das machen konnte.

derStandard.at: War die Erkenntnis, dass die DDR die Bergarbeiter finanziell unterstützt hat, für Sie eine Überraschung?

Berger: Ja und nein. Es gab ja schon zur Zeit des Bergarbeiterstreiks in Großbritannien die Anschuldigung an die NUM (National Union of Mineworkers, Anm.), von den kommunistischen Staaten Osteuropas finanziert zu werden. Von daher kam das nicht so überraschend, war es doch nur die Bestätigung dessen, was damals schon geschrieben wurde. Erstaunlicher fand ich, dass das hier jetzt noch einmal so viel Aufmerksamkeit erregt hat.

Diese Geschichte ist ja von der Daily Mail über die Sunday Times in sehr vielen Zeitungen des Landes noch einmal berichtet worden. Das fand ich erstaunlich, hat es mir doch gezeigt, wie sehr dieser Bergarbeiterstreik noch immer im kollektiven Gedächtnis der Briten verankert ist. Das ist schon eine Art Trauma, was immer wieder und immer noch verarbeitet werden will. 

derStandard.at: Es gab ja auch offizielle Hilfen der kommunistischen Länder für die britischen Bergarbeiter. Warum hat man die Geldzahlungen geheim gehalten?

Berger: Es gab bestimmte Sachen, die nicht geheim gehalten wurden. Dazu gehörte vor allem das Angebot an die Familien der Bergarbeiter, in der DDR oder anderen Ländern Urlaube zu verbringen. Daneben gab es auch Lieferungen von Lebensmitteln, Kleidung, Kinderspielzeug, die von Rostock aus nach Großbritannien gingen.

Nur die Barzahlungen wurden geheim gehalten. Man muss sich dabei zu Bewusstsein bringen, dass die damalige britische Regierung die Konten der Bergarbeitergewerkschaft eingefroren hatte, wodurch die Bergarbeiter keinen Zugang zu ihren eigenen Geldern hatten. Die Maßnahmen waren ohne Frage rigoros und nicht zuletzt deshalb sprach man in Großbritannien zumindest auf der linken Seite von einem "class war from above".

Es war schon eine Art Klassenkrieg und eine Klassenkriegsstimmung, nach allem was man davon heute weiß. Mit der Folge, dass gerade diese Geldzahlungen geheim bleiben mussten. 

derStandard.at: Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher hat von den Gewerkschaften als den "Feind im Innern" gesprochen und immer wieder versucht, sie als undemokratisch und kommunistisch unterwandert darzustellen. Was hätte es denn bedeutet, wenn schon damals direkte Beweise für diese Zahlungen aus den kommunistischen Ländern aufgetaucht wären?

Berger: Das wäre natürlich Wasser auf die Mühlen der Konservativen gewesen. Und auch heute ist es ja so, dass wir für diese Seite unserer Forschung Beifall vor allem von der politischen Rechten bekommen. Die sagen, dass es nur das bestätige, was sie ja schon immer wussten, nämlich, dass es sich bei den Bergarbeitern um staatsfeindliche kommunistische Kräfte gehandelt habe, der Feind im Inneren sozusagen. Aber das trifft meiner Meinung nach mitnichten zu.

Zwar gab es in der Bergarbeitergewerkschaft wichtige Funktionäre, die entweder Mitglieder der Kommunistischen Partei (Communist Party of Great Britain, Anm.) oder wie der damalige Führer der Gewerkschaft, Arthur Scargill, sehr prosowjetisch waren. Scargill ließ keine Gelegenheit aus, deutlich zu machen, dass er in diesen kommunistischen Ländern ein Modell sah.

Er war regelmäßig auf Radio Moskau zu hören und gab da die wildesten Dinge zu Protokoll: Dass die Solidarność in Polen nur ein Instrument der CIA sei und ähnliche Geschichten. Von daher ist es eine Frage, dass es in der Gewerkschaft eine Art prokommunistischen und prosowjetischen Kern gab und sie von Scargill auch nicht demokratisch geführt wurde. Auch das ist denke ich richtig.

Dennoch streikten die Bergarbeiter nicht aus Sympathien mit dem Kommunismus oder um den demokratischen Staat in Grossbritannien zu unterminieren, sondern vor allem, um ihre Arbeitsplätze und ihren "way of life" zu erhalten. Es war ein tragisches Aufbäumen gegen das von der konservativen Regierung radikal forcierte Zechensterben.

derStandard.at: Wie wichtig war die Unterstützung der kommunistischen Staaten für den Bergarbeiterstreik?

Berger: Ich denke, dass sie letztendlich dazu beigetragen haben, dass der Bergarbeiterstreik etwas länger lief, als er sonst hätte laufen können. Wobei ich nicht glaube, dass es die Möglichkeit gegeben hätte, einen anderen Ausgang zu bewirken. Der Bergarbeiterstreik ging verloren und auch mit noch mehr Geld hätte man das wohl nicht verhindern können.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil die britische Regierung - wie man heute weiß - sehr gut vorbereitet war. Es gab riesige Vorräte an Kohle, es war ein bewusster Versuch, die Bergarbeitergewerkschaft als eine der mächtigsten Gewerkschaften des Landes zu zerschlagen. Was ja auch gelungen ist.

derStandard.at: Neben der Unterstützung der Bergarbeiter, hat die DDR zur Zeit des Bergarbeiterstreiks auch Kohle nach Großbritannien exportiert, was dem Ziel der Bargeldtransfers doch ziemlich widersprach. Ging es dabei darum, an dringend benötigte Devisen heranzukommen?

Berger: Das ist in meinen Augen eindeutig so gewesen: Es war der zynische Versuch, mit der rechten Hand hereinzuholen, was man mit der linken gegeben hat. Es ging der DDR und den kommunistischen Regierungen in Osteuropa nicht darum, die Regierung in London zu stürzen oder die Revolution herbeizuführen. Die Dokumente belegen eher, dass man die Freunde in Großbritannien, die Sympathien für die kommunistischen Systeme hegten, gegenüber denjenigen stärken wollte, die dem real existierenden Sozialismus kritisch gegenüber standen.

In der kommunistischen Partei Großbritanniens gab es gerade in den Achtzigerjahren wilde Auseinandersetzungen zwischen den Eurokommunisten und orthodoxen Kommunisten. Die DDR unterstütze wo es nur ging die orthodoxen Kommunisten und die saßen bei der britischen Kommunistischen Partei vor allem in den Gewerkschaften.

derStandard.at: Wo kann man die damalige Bergarbeitergewerkschaft denn innerhalb der linken Bewegung verorten? War sie der kommunistische Rand?

Berger: Auf der einen Seite galten die Bergarbeiter und ihre Gewerkschaft schon als zentraler Bestandteil der Linken. Auf der anderen Seite gab es gerade von der damaligen Labour-Führung sehr starke Versuche, sich von Arthur Scargill und der Leitung der Bergarbeitergewerkschaft abzusetzen. Man versuchte den Spagat zwischen Solidarität mit den Bergarbeitern und gleichzeitig Kritik an der Führung der Bergarbeiter.

Die interne Wahrnehmung der Bergarbeiter in Großbritannien, war nicht so sehr davon geprägt, dass wichtige Führer der Gewerkschaft Kommunisten waren. Das ist auch eine gewisse Besonderheit der britischen Arbeiterbewegung: Innerhalb der Labour-Party gab es zwar seit den zwanziger Jahren ein Verbot der Doppelmitgliedschaft. Man konnte nicht gleichzeitig bei Labour und den Kommunisten sein.

Dennoch gab es - gerade im Vergleich zur Bundesrepublik und zu Frankreich - innerhalb der Arbeiterbewegung das weitverbreitete Gefühl, dass die Kommunisten auch irgendwie zur Arbeiterbewegung gehörten. Kommunistische Funktionäre wie Arthur Horner oder Mick McGaehey in Schottland sind Führer von Gewerkschaften geworden, nicht weil sie Kommunisten waren, sondern weil sie sich als gute Gewerkschafter profiliert hatten. Es wurde ihnen quasi nachgesehen, dass sie Kommunisten waren.

Es gab sehr viel stärker dieses Gefühl der Einheit der Arbeiterbewegung. Was auch daran lag, dass die kommunistische Bewegung in Großbritannien viel kleiner war und nie die Bedeutung hatte, wie in Deutschland in der Zwischenkriegszeit oder in Frankreich und Italien auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch. Von daher war es hier nie so ein großes Problem. Das führte dann zu der eigenartigen Situation, dass in den britischen Gewerkschaften - die insgesamt natürlich nicht kommunistisch ausgerichtet waren - wichtige Funktionen von Kommunisten besetzt wurden.

Auf der nächsten Seite: Die Niederschlagung des Streiks als Trauma für Labour und das positive DDR-Bild der Briten.

derStandard.at: Sie haben vom niedergeschlagenen Bergarbeiterstreik als einem Trauma gesprochen. Wie hat der Streik die Labour-Party verändert, die ja der klassische Vertreter gewerkschaftlicher Interessen auf der politischen Ebene ist?

Berger: Der Bergarbeiterstreik war sehr wichtig für Labour, weil er der Partei vor Augen führte, wie angreifbar sie die sehr engen Verbindungen zu den Gewerkschaften machte. Margaret Thatcher hat das sehr geschickt gemacht und seit Mitte Ende der siebziger Jahre immer wieder mit der Frage "Wer regiert dieses Land eigentlich?" die Gewerkschaften kritisiert und damit auch die Labour-Party.

Die Gewerkschaften konnten mit ihren Stimmen auf den Parteitagen maßgeblich Einfluss auf die Politik von Labour nehmen. Der Bergarbeiterstreik führte auch mit dazu, dass die Partei eine Entwicklung durchmachte, die sie von einer äußerst linken Position, die sie in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre eingenommen hatte, zunächst wieder in den sozialdemokratischen Mainstream Westeuropas zurückführte und sie dann schließlich unter Blair zu Vordenkern einer postsozialdemokratischen Sozialdemokratie machte.

derStandard.at: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es von britischer Seite - vor allem von Labour, aber nicht nur - viele Kontakte in die DDR gab, während westdeutsche Politiker mehr Distanz wahrten. Wie erklären Sie sich diesen völlig anderen Zugang britischer Politiker zur DDR?

Berger: Es gab sicherlich die Angst vor einem Dritten Weltkrieg, die Angst vor einer Konfrontation. Dieses Bemühen um einen stabilisierenden Dialog mit dem Ostblock war ein wichtiges Moment. Es gab aber auf Seiten der Linken auch das Gefühl oder Bewusstsein darüber, dass die kommunistischen Staaten Osteuropas zumindest den Kapitalismus abgeschafft hatten.

Sie hatten damit die ökonomischen Voraussetzungen geschaffen für die Überwindung des kapitalistischen Systems. Darin sahen sie sich mit den Kommunisten in Osteuropa auf einer Seite. Es gab auf der Linken so eine Art von ökonomischen a priori-Denken. Auch ganz marxistisch gedacht: Die Grundlage war das ökonomische System und das musste erst einmal geändert werden, womit schon ein Großteil erledigt war.

Das führte dazu, dass man teilweise sehr blauäugig an diese kommunistischen Systeme in Osteuropa herantrat. Hinzu kommt das Denken von "my enemy’s enemy is my friend". Also die Idee, dass man in Zeiten des Kalten Krieges nicht auf der Seite der Kalten Krieger stehen wollte und von daher auch diesen zum Teil rabiaten Antikommunismus ablehnte, den man in westlichen Systemen fand. Man war versucht, ein Fünkchen Gutes in den kommunistischen Staaten Osteuropas zu sehen.

derStandard.at: Warum hatten die Briten ein offenbar positiveres DDR-Bild als Westdeutschland?

Berger: In Großbritannien nahm man - zumindest auf der Linken - der DDR in der ersten Nachkriegsgeneration in gewisser Hinsicht schon ab, der moralisch bessere deutsche Staat zu sein. Der Antifaschismus spielte da eine Rolle und wurde von der DDR auch propagandistisch ausgenutzt, indem man dieser Antifaschismus immer wieder betonte.

Teilweise hatten Gewerkschafter bis hin zu Ministern in Großbritannien und der DDR den gemeinsamen Hintergrund des Spanien-Kampfes, was dann auch eine gute politische Grundlage schuf, auf der man aufbauen konnte. Zum anderen gab es in der britischen Politik einen Unmut über die sehr rigide Haltung der Adenauer-Regierung, was die Nichtanerkennung betrifft. Die Hallstein-Doktrin sah man sehr skeptisch.

Selbst die konservativen Regierungen der fünfziger Jahre kamen sehr bald zu dem Schluss, dass das keine Zukunft haben konnte. In internen Dokumenten tauchte immer wieder das Argument auf, man könne nicht nach Vogel Strauß-Manier den Kopf in den Sand stecken und ignorieren, dass es da eben einen zweiten deutschen Staat gab. Aber man sah sich auch als - wie es ein britischer Diplomat formulierte - Gefangener der Politik Konrad Adenauers.

Man war sich darüber klar, dass man den westdeutschen Verbündeten zumindest öffentlich nicht brüskieren konnte und hat sich ja auch loyal an diese Politik gehalten - bis dahin, dass die britische Regierungen auch immer wieder innerhalb des Commonwealth intervenierten, um die Nichtanerkennungspolitik gegenüber der DDR durchzusetzen.

derStandard.at: Sie schreiben in ihrem Buch auch, dass Politiker von Labour die Neue Ostpolitik der Bundesrepublik schon Jahre zuvor antizipiert hätten. Welchen Einfluss hatte dann die Labour-Regierung unter Harold Wilson (Premierminister von 1964-70 sowie 1974-76, Anm.) auf die Veränderung in der bundesdeutschen Haltung gegenüber der DDR unter Bundeskanzler Willy Brandt?

Berger: Besonders der außenpolitische Experte und Sprecher der Labour-Party, Richard Crossman, war es, der schon sehr früh diese Ideen vertreten hat. Natürlich fehlte ihm diese deutsch-deutsche Komponente, die in der bundesrepublikanischen Ostpolitik sehr wichtig war: Dass man beim Wandel durch Annäherung als Endziel eine mögliche Wiedervereinigung im Blick hatte - zumindest in dieser ersten Phase der Ostpolitik der sechziger und frühen siebziger Jahre.

Aber es gab schon diese Idee von - wie Crossman es formulierte - "kill communism with kindness". Der Dialog als Mittel der Unterminierung des Kommunismus ist bei ihm schon früh aufgetaucht. Crossman besuchte regelmäßig die Königsberger Gespräche, wo natürlich auch Egon Bahr und Willy Brandt waren. Aber es gibt einfach keine Dokumente darüber, wen er da gezielt getroffen und mit wem er sich unterhalten hat. Die einzige Biografie über Crossman und diejenigen über die anderen Beteiligten geben auch keinen Aufschluss. Von daher bin ich mir nicht sicher, ob man etwas finden kann zur Frage, wie die gegenseitigen Beeinflussungen liefen.

derStandard.at: Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus in den osteuropäischen Ländern zeigte sich nicht nur, dass dieses System offenbar nicht funktioniert, sondern es traten auch die schweren Defizite im Bereich der Menschen- und Freiheitsrechte unübersehbar zutage. Wie groß war danach die Ernüchterung oder der Schock unter den britischen Linken?

Berger: Der Großteil derjenigen Linken, die etwas blauäugig auf die Systeme des Ostens geschaut haben und Sympathie dafür bekundet hatten, war aufrichtig schockiert und es gab durchaus ein Überdenken der eigenen Position. Es gibt aber bis heute noch Personen, die dabei bleiben, dass das im Prinzip gute Systeme waren, die nur vom bösen US-Imperialismus und seinen Helfershelfern unterminiert und zerstört wurden.

Der jetzige Führer der Eisenbahngewerkschaft RMT (Robert Crow, Anm.) ist so ein Unverbesserlicher. Wir haben ihn vor einigen Jahren interviewt und er ist nach wie vor der Meinung, die DDR sei prima gewesen und die Einwohner hätten die DDR geliebt. Es gab billiges Bier und es wäre ein Schlaraffenland für die Arbeiter gewesen. Nur der CIA und die Unterminierung durch den amerikanischen Imperialismus hätten dieses System scheitern lassen. Natürlich unter Mithilfe von Leuten wie Michail Gorbatschow, die den Kommunismus verraten hätten.

derStandard.at: In Großbritannien stellte der Kommunismus nie ein größeres Problem dar, sagen sie. Vertreter kommunistischer Ideen finden hier bis heute Akzeptanz in der Mitte des linken Spektrums. Besteht deshalb heute die Möglichkeit, dass Großbritannien das Land ist, in dem dieses System wieder aufleben könnte?

Berger: Nein, das würde ich nicht so sehen. Es gibt heute in den Gewerkschaften nur noch ganz vereinzelt Leute, die kommunistische Ideen haben. Die Labour-Party hat sich in den vergangenen 15 Jahren sogar von klassischen sozialdemokratischen Modellen verabschiedet und sich neoliberalem Gedankengut zugewandt. Ich sehe da wenig Chancen oder Möglichkeiten einer Widerbelebung klassischer kommunistischer oder sozialistischer Modelle.

Ich sehe auch niemanden, der ein Hoffnungsträger wäre. Es gibt eher die Möglichkeit, dass die Labour-Party - in einer Art Absetzung von Tony Blair - zu klassischeren sozialdemokratischen Positionen zurückkehrt. Man muss schauen, wer jetzt die Wahlen innerhalb der Partei gewinnt. Wenn Ed Balls oder Ed Miliband bei den Wahlen siegt, dann wären das schon eher Politiker, die sozialdemokratischen Ideen näher stehen. Die Parteilinke Diane Abbot dagegen hat wohl kaum Chancen, gewählt zu werden.

derStandard.at: Es gibt die Theorie, dass der Aufbau des Sozialstaates in den Ländern Westeuropas ohne das kommunistische Modell als Antagonist in dieser Form gar nicht stattgefunden hätte. Was auch damit begründet wird, dass nach der Wende auch die Sozialdemokraten in ganz Europa in eine Politik des Sozialabbaus hineingefallen sind. Was halten Sie davon und ist das zu begründen?

Berger: Ich denke schon, dass da was dran ist. Das sozialdemokratische Modell in Westeuropa war auch eine Form des Antikommunismus. Man wollte dem etwas dagegensetzen, was auch attraktiv für diejenige Klientel, für die die Kommunisten traditionell sprechen – also die Arbeiter. Solche Formen von Sozialstaatlichkeit konnten im Kalten Krieg auch sehr gut als Waffe gegen den Kommunismus eingesetzt werden. Umgekehrt wurden Formen von Sozialstaatlichkeit durch die Rivalität der Systeme gestärkt.

Aber man sollte das nicht zu sehr strapazieren. Die sozialstaatlichen Modelle gehen zurück auf eine Zeit vor dem Kalten Krieg – Schweden als Modellstaat experimentierte damit bereits seit den 1930er Jahren. Und die Krise der sozialdemokratischen Modelle hat auch früher eingesetzt, als die Krise des real existierenden Sozialismus. Im Prinzip geriet dieses Modell mit dem stagnierenden Wachstum der siebziger Jahre, mit der Ölkrise, mit dem Schock der Stagflation in die Krise. Die neoliberalen Vordenker, die die Kritik am sozialdemokratischen System – nicht zuletzt durch Margaret Thatcher in Großbritannien – dann umgesetzt haben: all das passierte ja vor dem Ende des Kalten Krieges.

derStandard.at: Sie haben gesagt, die finanzielle Unterstützung des Bergarbeiterstreiks durch den Ostblock habe Sie nicht sonderlich überrascht. Was waren denn stattdessen Entdeckungen in Ihrer Recherche, bei denen sie gesagt haben, "das hätte ich jetzt aber nicht gedacht"?

Berger: Die Idee zum Forschungsprojekt stammte ja zuerst einmal aus der Überraschung darüber, dass es überhaupt so viele Kontakte auf der britischen Linken gegeben hat. Und als wir angefangen haben zu kratzen und zu graben, war es schon überraschend, wie breit diese Kontakte waren - also wie viele Kontakte es auf der britischen Linken in die DDR gab und vor allem wie positiv die DDR auf der Linken zum Teil wahrgenommen wurde.

Deshalb auch die Leitfrage des Buches: Wie kommt es, dass eine Partei, die in der Sozialistischen Internationale ist und sich zum demokratischen Sozialismus bekannte, doch in gewisser Hinsicht so positive Beziehungen zum real existierenden Sozialismus aufbauen konnte? Die Vielfalt der Beziehungen erstreckte sich bis hinunter in die Städtepartnerschaften: Gerade Manchester hatte eine sehr positive Partnerschaft mit dem damaligen Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz. Es ist schon erstaunlich, wie stark diese Kontakte ausgeprägt waren. Und es sagt auch viel über die britische Linke.

derStandard.at: Was sagt es über die britische Linke? Dass sie besonders empfänglich war für kommunistische Ideen?

Berger: Es ist schon eine Kritik, die man an der britischen Linken – aber nicht nur an der britischen – üben kann: Dieser Ökonomismus. Der führte dazu, dass man sich zu wenig kritisch mit den fundamentalen politischen Schwächen dieser Systeme auseinander setzte, auch die Menschenrechtsverletzungen übersah. Man drückte beide Augen zu mit dem Argument: "Aber sie haben den Kapitalismus abgeschafft".

Das ist auch ein Aufruf an linke Parteien heute, sich genuin mit dem politischen Prozess auseinander zu setzen und den politischen Prozess ernster zu nehmen, als sie das vielleicht in den langen Jahren des Kalten Krieges getan haben. (Andreas Bachmann, derStandard.at, 28.7.2010)