Der neue Herr der Hohen Warte in seinem "Wettergarten": Aus der Zentrale der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik kommen seit 1877 täglich Wettervorhersagen.

Foto: Heribert Corn

Standard: Sind Sie jetzt Direktor des ältesten meteorologischen Dienstes der Welt?

Staudinger: Das Haus wurde 1851 gegründet - unter einem geringfügig anderen Namen, der noch über dem Eingangstor steht: Centralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus - die erste ihrer Art.

Standard: Sie haben angekündigt, der Öffentlichkeit bald mehr solcher Fakten über die ZAMG zu verraten. Vielleicht zum 160-jährigen Bestehen im Jahr 2011?

Staudinger: Absolut, denn wir haben viele spezielle Nutzergruppen, die von den guten Wetterprognosen profitieren. Der Steuerzahler muss erfahren, warum es so viel Aufwand braucht für einen Wetterdienst. Oft versteht man das erst in einer kritischen Situation, wenn man eine Warnung bekommt, die punktgenau ist.

Standard: Alte Schätze der ZAMG wollen Sie dafür auch heben?

Staudinger: Es gibt hier im Haus eine ganze Reihe von historischen Instrumenten. Einen Barografen etwa, der in dieser technischen Form später nie mehr gebaut wurde. Im Keller stehen seismische Geräte aus dem 19. Jahrhundert, die über eine unvergleichliche Mechanik und Qualität verfügen - das sind kleine Wunderwerke.

Standard: Und die Wunder der meteorologischen Moderne?

Staudinger: Unsere Dienste haben wir 2009 bei der "Langen Nacht der Forschung" präsentiert, aber die wird heuer leider nicht stattfinden. Zur 160-Jahre-Feier wollen wir deshalb wieder verstärkt Produkte herzeigen, die man angreifen kann: Niederschlagsmessung ist etwas Simples - auf den ersten Blick könnten man glauben, dass man einfach einen Kübel rausstellt und eine Stunde später schaut, wie viel es geworden ist. Warum ein hochwertiges Messnetz, das bei allen Witterungsbedingungen funktioniert, doch etwas komplizierter ist, können wir dann erklären.

Standard: Apropos "Produkte zum Angreifen": Heute hat jeder ein Handy in der Hand ...

Staudinger: ... und damit eine breite Palette von Diensten der ZAMG. In diesem Moment verschicken wir gerade die nächste SMS - eine Warnung für Gewitter.

Standard: Und die sogenannte SMS-Generation? Interessiert sich die eigentlich für Ihren Beruf?

Staudinger: Projekte, mit denen wir hinausgehen, legen das nahe: "Meteopics" war eine Aufforderung, Fotos von Wetterbeobachtungen zu schicken, um sie von Experten erklärt zu bekommen. Mit der "Tale of Two Valleys" - in einem Tal gibt es sanften Tourismus, im anderen eher Massentourismus - wollten wir zeigen, was Klimaveränderung und Tourismus in den Alpen für Menschen bedeuten, die dort leben. Beide Projekte haben klargemacht: Es gibt unter Jugendlichen ein gesteigertes Interesse am Wetter und am Klima. Die nächste Generation weiß ja: Was jetzt mit unserem Klima passiert, das sind die Lebensbedingungen der Zukunft.

Standard: Was können Sie diesen Jugendlichen über die Qualität der Ausbildung in Österreich sagen?

Staudinger: Sie ist hervorragend. In vielen Länder hat die Meteorologie keine eigene Fakultät auf der Uni. Bei uns sind die Voraussetzungen sehr gut - es gibt ausreichend Absolventen. Das bedeutet, dass Fächer wie Physik oder Mathematik zum richtigen Zeitpunkt spezialisiert werden in Richtung Meteorologie. Und das wiederum bietet uns die Möglichkeit, in Zukunft noch mehr Dissertationen gemeinsam mit diesen Instituten betreuen zu können.

Standard: Was ist denn in Ihren Augen eine österreichische Spezialität meteorologischer Forschung?

Staudinger: Hochgebirgs- und Klimaforschung. Es gibt bereits Bestrebungen für ein virtuelles Klimazentrum - und das ist die Chance für Österreich, im internationalen Konzert koordiniert aufzutreten. Einzelwissen ist vorhanden, aber das gilt es jetzt zu bündeln. Wir stecken also in einer heiklen Phase, in der die Klimaforschung für die nächsten Jahre gut aufgestellt werden muss. Die Anforderungen daran kommen längst von den Benutzern: Der Tourismus will wissen, wo es sich überhaupt noch lohnt zu investieren, und die Landwirtschaft, welche Nutzformen in zehn oder zwanzig Jahren möglich sein werden. Alle Bereiche erwarten klare Antworten.

Standard: Antworten, die Sie als langjähriger Leiter des Sonnblick-Observatoriums parat haben?

Staudinger: Das weltweite Klima kann man nur bestimmen, wenn es mehr langfristig operierende Stationen gibt wie jene am Sonnblick. Sie sind extrem wertvoll für die Klimafolgenforschung. Daten mit einer so langen Geschichte findet man nämlich nur selten, weshalb ich die Bestrebung aus unserem Haus, Datenreihen bei der Unesco als Weltkulturerbe einzureichen, als essenziell werte. Alte Geräte kann man angreifen, deren Daten nicht. Aber für unsere Wissenschaft zählen eben vor allem historische Daten. Es gibt ein kollektives Wissen über unser Klima - nun müssen Voraussetzungen geschaffen werden, diese Datenreihen in Zukunft fortzuführen.

Standard: Wollen Sie bei anderen Sparten der ZAMG sparen - etwa bei der Erdbebenforschung?

Staudinger: Nein, denn es ist wichtig - auch in Österreich -, internationale Standards zu wahren. Die Beben von 1986 und jene in den Jahren danach haben ja gezeigt, dass ein gutes Monitoring zu den nationalen Aufgaben gehört. Zudem setzen wir verwandtes ZAMG-Know-how für ganz andere Bereiche ein - etwa mit Archeo Prospections bei Ausgrabungen in Ephesos. Weltweit gibt es nur wenige Stellen, die über diese Technologie verfügen - eine davon ist an der ZAMG untergebracht.

Standard: Also besser nicht bei der Forschung sparen, sondern bei der Struktur. Es gibt bei uns drei staatliche meteorologische Dienste ...

Staudinger: ... die allerdings völlig unterschiedliche Applikationen liefern. ZAMG, Militärischer Wetterdienst und Austro Control nutzen zu 95 Prozent dieselbe Infrastruktur. Das Stations- und Radarnetz stellt den größten Wert dar, die Daten werden vernetzt ausgetauscht. Durch die Organisation eigener Firmen können Nutzerbedürfnisse am besten abgedeckt werden.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. Juli 2010)