Der Europäer liebste Online-Suchmaschine, Google, hat uns gerade eine kleine Affäre eingestanden: Hoppla, wir haben euch ausspioniert. Aber es war angeblich nur ein bedeutungsloser Fauxpas: Was man halt so mitkriegt, wenn man im Vorbeifahren gerade in einem privaten Funknetz mitlauscht - Passwörter, Webadressen, Mailauszüge, ohnedies nutzlos für unsere "Produkte". Und wir werden's auch nie wieder tun, großes Indianer-Ehrenwort des Konzerns, dessen bei der Gründung sympathisches Motto "Nichts Böses tun" immer großkotziger wirkt.

Google steht seit längerem als Bully auf der europäischen Watchlist. Da war zuerst das Buchprojekt, die Digitalisierung aller gedruckten Bücher ohne Zustimmung der Rechte-Inhaber. Erst der Druck mittels Klagen brachte Google an den Verhandlungstisch. Dann gibt es die seit Monaten schwelende Auseinandersetzung um das Projekt Street View, das Fotoansichten von Straßenzügen herstellt. Ein Dienst, den viele nützlich finden, die Reisen planen, und andere ganz abscheulich, deren Vergangenheit von Gestapo und Stasi wie in Deutschland oder einer Militärdiktatur wie in Griechenland geprägt ist. Auch hier brachte erst der Druck der Straße Zusagen, Einsprüche zu berücksichtigen.

Die jüngste Affäre steht damit im Zusammenhang, wenn auch nicht unmittelbar: Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass Google beim Abfahren von Europas Straßen auch gleich Wi-Fi-Netze miterfasst, jene privaten Funknetze, die uns daheim und im Büro, im Kaffeehaus oder im Hotel Zugang zum Internet gewähren. Auch das hat eine praktische Seite: Es ermöglicht, ohne auf GPS angewiesen zu sein, den eigenen Standort auf einer Karte anzuzeigen.

Und es hat eine dunkle Seite, deren Existenz Google zuerst bestritt und jetzt (Freitagnacht, wenn keiner mehr so richtig reagieren kann) g'schamig einräumte: Beim Vorbeifahren vollzog Google noch gleich einen kleinen Lauschangriff mit und erfasste auch, was in diesen Netzen gerade abging. Ohnehin nur in "offenen" Netzen, deren Nutzer "leichtsinnigerweise" kein Schloss davor anbrachten, versichert uns der Konzern treuherzig.

Diese Entschuldigung ist zugleich eine Frechheit - in manchen Ländern vielleicht sogar eine strafrechtlich relevante - ebenso wie die Offenlegung eines Geschäftsmodells: Wir leben von der Indiskretion.

Dass diese Abschöpfung "irrtümlich" erfolgte, klingt mehr nach der zu erwartenden Rechtfertigung vor Gerichten denn als glaubhafte Verantwortung. Dabei anfallende Daten mögen aus Sicht ihrer kommerziellen Verwertbarkeit harmlos sein. Aber kriminelle Energie kann sicher auch "versehentlich" eingefangene Kennwörter gut gebrauchen. Und Google kann sich vor kriminellen oder politisch motivierten Angriffen so wenig sicher sein wie andere Onlinedienste. Das zeigten nur allzu deutlich die im Jänner bekannt gewordenen Attacken, vermutlich chinesischen Ursprungs.

Ein wesentlicher Teil des Problems besteht darin, dass die Benutzer von Google und anderen Diensten - Facebook fällt einem dabei derzeit an erster Stelle ein - für diese Konzerne eben nur das sind: "User", nicht Kunden. Die Kunden sind hingegen die, denen man diese User als Produkt verkaufen kann. Indiskretion ist kein Betriebsunfall, sondern ein Geschäftsmodell: Das ist die Schattenseite einer Gratiskultur, die uns unbestreitbar auch viele neue Möglichkeiten gebracht hat. (Helmut Spudich/ DER STANDARD Printausgabe, 17. Mai 2010)