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Zu kurz gedacht? - Beitrag zur Verhüllungsdebatte in einer Modeschau in Oslo am Internationalen Frauentag, präsentiert vom norwegischen Künstlerkollektiv "Marked Moskva": die "Mini-Burka".

Foto: EPA

Gudrun Harrer schlussfolgert in ihrem Kommentar "Feministinnen und Kleiderverbote" (4. 12.) unter anderem, dass "der Liberalismus Kopf steht", wenn Feministinnen heute für Kleiderverbote eintreten. Und sie bedient sich heftig aus dem Baukasten der Vorurteile und Verunglimpfung, wenn sie von "profilierungssüchtigen westlichen Konvertitinnen" und - pars pro toto - einer "intellektuell verwirrten Grün-Politikerin" spricht. Es wäre allerdings unfair, es nur bei der Kritik zu belassen und sich nicht um bessere Argumente zu bemühen. Daher ein paar Überlegungen, die uns für eine differenzierte Diskussion dieser Fragen essenziell erscheinen.

Frau Harrer reduziert den Diskurs über das Tragen der Burka zu Unrecht auf die freie Religionsausübung. In diese Debatte sind jedoch auch andere grundrechtliche Schutzgüter wie etwa das Grundrecht auf Privatleben (falls die Burka aus kulturellen Gründen getragen wird) und der Gleichheitsgrundsatz einzubeziehen. Grundrechte sind zudem nicht absolut garantiert, sondern durch andere Grundrechte und deren zu gewährleistende freie Ausübung beschränkt. Weiters können Grundrechte nur aus verfassungsrechtlich genannten Gründen und nur per Gesetz eingeschränkt werden.

Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis in Debatten über kulturelle und religiöse Differenz, dass Liberalität und Toleranz in westlichen Demokratien zu Wertneutralität verpflichten würden und ein Diskurs über Bekleidungskonventionen wie das Tragen einer Burka per se illiberal sei. Richtig ist, dass es dem Staat in Bezug auf die Religionsfreiheit nicht zusteht eine Interpretation der religiösen Grundlagen von Glaubensgemeinschaften vorzunehmen. Ob aus dem Koran eine Vollverschleierung von Frauen in der Öffentlichkeit abzuleiten ist oder zumindest abgeleitet werden kann, ist für das staatliche Handeln irrelevant. Es zählt einzig, dass dies von einigen religiös berufenen Stellen getan und von manchen Gläubigen auch in westeuropäischen Gesellschaften gelebt wird.

Staatlicher Handlungsbedarf?

Zu fragen ist im grundrechtlichen Kontext allerdings sehr wohl, ob bzw. inwieweit diese Praxis mit anderen Schutzgütern kollidiert (zum Beispiel mit der Gleichberechtigung der Geschlechter als einer speziellen Ausformung des Gleichheitsgrundsatzes) und daher staatlicher Handlungsbedarf besteht.

Eine offene Gesellschaft kann auf Dauer nur bestehen, wenn wir die unverhandelbaren Grundwerte von den verhandelbaren in kritischer Reflexion scheiden. So ist beispielsweise die körperliche Unversehrtheit von Frauen in Bezug auf Genitalbeschneidung ein unverhandelbares Schutzgut. Diese Praxis ist zu Recht als nicht von der Religionsfreiheit geschützt anzusehen, sondern erfüllt den ist strafrechtlich relevanten Tatbestand der Körperverletzung. Andererseits dürfen arbeitsrechtliche Schutzvorschriften nicht so ausgelegt werden, dass dadurch Frauen, die Kopftuch tragen, pauschal vom Zugang zu einem Arbeitsplatz ausgeschlossen werden. Deshalb kann ein Unternehmen das religiös motivierte Tragen eines Kopftuchs nicht unter Berufung auf arbeitsschutzrechtliche Gründe pauschal untersagen, wenn sich dieses auch so tragen lässt, dass der Schutzzweck nicht verletzt wird (also etwa ein Verfangen des Kopftuchs in Maschinen nicht möglich ist).

Ein Kopftuch, egal ob als religiöser oder kultureller Ausdruck der Sittlichkeit getragen, verletzt noch keinen gleichheitsrechtlichen Grundwert, weil die freie Entfaltung der weiblichen Persönlichkeit in der Gesellschaft dadurch nicht unterbunden wird. Hingegen verletzt das Tragen einer Burka diesen Grundwert substanziell. Es ist dies eine Bekleidungskonvention, die Frauen (und nur Frauen) de facto von der gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben und sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens ausschließt. Dies ist ein unverhandelbarer Widerspruch zur gleichheitsrechtlich fundierten Werteordnung.

Wer das nicht so sehen will, dem sei empfohlen, sich vorzustellen, dass Männer sich eine Burka überstreifen und so ihrer Arbeit nachgehen: Der vollverschleierte Schaffner, der vollverschleierte Wiener Ober, der vollverschleierte Bankmitarbeiter im Schalterdienst würden einprägsame Erkenntnisse über das freiheitsentziehende Potenzial einer solchen Bekleidungspraxis vermitteln.

Kein Widerspruch

Es ist somit kein Widerspruch zu einer liberalen und toleranten Gesellschaft, wenn Feministinnen das Tragen einer Burka als gleichheitswidrige Praxis zur Diskussion stellen und auf die Tatsache hinweisen, dass es konkurrierende grundrechtliche Schutzgüter und zulässige gleichheitsrechtliche Schranken der Religionsfreiheit gibt. Dieser Diskurs steht im Übrigen auch in Einklang mit völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, welche Österreich 1982 ratifiziert hat (BGBl. 443/1982). In Artikel 2 kommen die Vertragsstaaten u. a. überein, "mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik der Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu verfolgen und verpflichten sich zu diesem Zweck, (...) alle geeigneten Maßnahmen (...) zur Aufhebung aller (...) Bräuche und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung der Frau darstellen." (Silvia Ulrich, Thomas Barmüller/DER STANDARD-Printausgabe, 9.12.2009)