Darstellung des Zytokins Interleukin 6, das bei Rheuma eine Rolle spielt

Foto: Roche

Das menschliche Abwehrsystem ist ein ausgeklügeltes System, das tagtäglich mit ganz unterschiedlichen Angreifern fertigwird. Es verfügt über eine ausgeklügelte Verteidigungsmaschinerie, so schlagkräftig wie ein Heer. Systemwächter, positioniert an unterschiedlichen Verteidigungslinien, melden der Kommandozentrale Feinde. Sie werden ausgekundschaftet, markiert und dann von den körpereigenen Kampftruppen niedergemacht. Wie sich die Schlachtmetapher auf Körperebene anfühlt? - wie Entzündungen. Sie sind das Signal für den Angriff der weißen Blutkörperchen, die aus Unterbrigaden wie den B- und T-Zellen besteht. Zwischen den verschiedenen Divisionen vermitteln Zytokine, quasi als Koordinatoren. Sind die Eindringlinge eliminiert, normalisiert sich das System.

Feinde, die nicht existieren

Das Problem bei Rheumatoider Arthrits (RA): Der Körper meldet Feinde, die gar nicht da sind, und richtet seine Verteidigungsmaschinerie gegen sich selbst. Autoimmunerkrankung ist der medizinische Fachbegriff, und bei RA werden die Gelenke Ziel der fehlgeleiteten Attacke. Schmerzen und Steifheit sind erste Vorzeichen, Schwellungen an einem oder mehreren Gelenken die eindeutige Manifestation der Erkrankung, die im schlimmsten Fall zu massiver Behinderung führt. "Rheuma galt lange als Alterserscheinung, doch mittlerweile wissen wir, dass es viele verschiedene Arten der Erkrankung gibt, die auch Junge treffen können. Es gibt schwere und leichte Verlaufsformen", sagt Johann Hitzelhammer, Rheumatologe am Gesundheitszentrum Wien-Mitte der Wiener Gebietskrankenkassen.

Was bei rheumatologischen Autoimmunerkrankungen passiert? Zwischen 20 und 50 Prozent aller neu entstehenden weißen Blutkörperchen tragen Rezeptoren, die sich gegen körpereigene Strukturen richten. Normalerweise werden sie schon im Knochenmark, oder dann in den Lymphknoten oder der Milz unschädlich gemacht. Bei drei bis acht Prozent der Bevölkerung funktioniert dieser Prozess aber nicht.

Fehlalarm stoppen

Schmerzhafte Entzündungen werden durch den Systemfehler chronisch und zerstören Knorpel und Knochen. Was genau die fehlgeleitete Attacke des Immunsystems auslöst, ist unklar, doch in den vergangenen Jahren haben die Forscher diverse Zellen und Signalstoffe identifizieren können, die den Fehlalarm aufrechterhalten.

Und genau da setzte die aktuelle Forschung an. Für Rheuma-Patienten, denen die Basistherapie (siehe Artikel unten) nicht hilft, gibt es molekularbiologisch wirksame Substanzen, die an unterschiedlichen Punkten des Immunsystems wirken. Neben der Manipulation von T- und B-Zellen sind die Zytokine als Schaltstellen ins Visier der Forschung geraten. Konkret sind es der Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNF-alpha) und Interleukin-1 (IL-1), die als therapeutische Angriffspunkte bereits genutzt werden. Der Pharma-Riese Roche setzt mit dem neuen Wirkstoff Tocilizumab (Handelsname RoActemra) nun auf den Botenstoff IL-6. "Er wird bei der Entstehung von Entzündungen ausgeschüttet und lockt andere Immunzellen an den Entzündungsherd, IL-6 hemmt diese Kaskade", erklärt Urs Schleuninger, Direktor für Hämatologie und Autoimmunerkrankungen bei Roche in Basel. In entsprechenden Studien konnte bewiesen werden, dass bei schweren Formen von Rheuma die Gelenkzerstörung rasch gestoppt werden kann.

Kein Allheilmittel

Allheilmittel ist aber auch dieses Biopharmazeutikum nicht, oft aber ein Quell vieler Missverständnisse. "Da kommen Patienten zu mir, die sagen: ,Ich möchte keine Chemie mehr einnehmen, sondern das neue biologische Mittel'", erzählt Rheumatologe Hitzelhammer, der Biologika nicht leichtfertig verschreibt, sondern nur dann, wenn es ein schwerer Krankheitsverlauf notwendig erscheinen lässt oder die herkömmliche Basistherapie versagt.

Die Nebenwirkung von Interleukin-6- sowie auch von TNF-alpha-Blockern ist eine erhöhte Infektionsgefahr, besonders gefährlich ist Tuberkulose bei Patienten, die diese Erkrankung einmal hatten und deren Immunsystem den Erreger lebenslang in Schach halten muss.

Aufgaben-Netzwerk

Weil IL-6 in vielen anderen Organsystemen des Körpers ebenfalls eine Rolle spielt, sind beispielsweise auch Leberzellen beeinträchtigt, der Cholesterinspiegel steigt, und das wiederum führt zu einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das Rheuma-Patienten allerdings auch ganz unabhängig von Medikamenten, die sie einnehmen, haben.

Auch IL-6 kann die Erkrankung bisher nur stoppen, doch niemals vollständig heilen. Tocilizumab ist ein neuer Baustein auf dem Weg hin zu individualisierter Therapie. Die Zukunft der Forschung liegt darin, die Ursachen im Einzelfall besser eruieren und dementsprechend behandeln zu können - auf diesem Weg gilt es allerdings noch viele Hürden zu nehmen. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 30.3.2009)