Wien – "Die Unsicherheit über die weitere Wirtschaftsentwicklung ist sicher das Besondere an den heurigen Lohnverhandlungen. Vorauszusehen, wie es nächstes Jahr aussieht, ist derzeit nahezu unmöglich." Alois Guger, Experte des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo), erwartet schwierige Lohnverhandlungen. Sicher sei, dass die prognostizierten Produktivitätsgewinne von 2,75 Prozent für das kommende Jahr deutlich nach unten revidiert werden müssten und im besten Fall bei zwei, eher aber bei 1,5 Prozent liegen würden.

Aus der klassischen Rechnung für die Lohnverhandlungen, Inflation plus Teile des Produktivitätsgewinns, ergäbe sich heuer ein Korridor von 1,7 bis 3,2 Prozent (siehe Grafik). "Die Branchen werden sich heuer deutlich mehr auf die eigenen Konjunktureinschätzungen verlassen müssen. Deshalb sind die Metaller heuer besonders wichtig, weil die Rohstoffnachfrage ein sehr sensibles Konjunkturbarometer ist," meinte Guger im Gespräch mit dem Standard.

"Wo nichts ist, gibt es nicht viel zu holen"

Hermann Haslauer, Chefverhandler der Arbeitgeber der rund 220.000 Beschäftigten in der Metallindustrie, sieht denn auch einen sehr bescheidenen Spielraum zwischen Erhaltung und Sicherung der Kaufkraft auf der Arbeitnehmerseite und der Wirtschaftsentwicklung in den Unternehmen. "Wo nichts ist, gibt es nicht viel zu holen", beschreibt Haslauer die Aussichten salopp. Im Vorjahr sei man mit den Prognosen und, darauf basierend, auch mit dem Abschluss jedenfalls "total daneben" gelegen. Bis zum Startschuss der Metallerlohnrunde am 27. September soll eine repräsentative Umfrage unter den Fachverbandsmitgliedern mehr Klarheit bringen, wie weit die Reise heuer gehen kann.

Claus Raidl, Chef des Edelstahlkonzerns Böhler-Uddeholm, sieht bei der Lohnrunde kaum Manövriermasse: "Die Abgeltung der Inflation und ein kleines Plus von 0,1 bis 0,2 Prozent – mehr ist nicht drinnen, ein Zweier vor dem Komma ist nicht verkraftbar." Durch die verschobene Senkung der Lohnnebenkosten sei der Spielraum bei der anstehenden Gehaltsrunde weiter eingeengt worden, meint der Stahlboss. Dazu komme der verstärkte Lohndruck aus den EU-Beitrittsländern. Von höheren Abschlüssen gehe nur ein geringer Konjunkturimpuls aus, weil die Hälfte der zusätzlichen Kaufkraft für importierte Güter ausgegeben werde, sagte Raidl.

Keine Zahlenspiele

Auf Zahlenspiele lassen sich – wie alljährlich – weder Metallgewerkschaftschef Rudolf Nürnberger noch Karl Proyer von der Gewerkschaft der Privatangestellten, der für rund 50.000 Angestellte verhandelt, ein. Proyer ist jedoch sehr optimistisch: Bei den Betriebsräten sei die Erwartung auf Kontinuität in der Einkommensentwicklung groß.

Wifo-Experte Guger hofft auf "Abschlüsse mit Augenmaß": "Bekommen die Arbeitnehmer zu wenig, geht das auf Kosten des privaten Konsums. Bekommen die Arbeitnehmer zu viel, verlieren die Unternehmer die Lust zu investieren." Spielraum sollte da sein – bei den Lohnstückkosten hat Österreich seine Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zu den wichtigsten Handelspartnern seit 1980 um zehn Prozent gesteigert. (mimo, rose, ung, DER STANDARD, Printausgabe 3.9.2002)