Die bevorstehenden Lohnrunden werden so schwierig wie noch nie. Dieser Satz, von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zu Beginn der Lohnverhandlungen jedes Jahr gebetsmühlenartig gemurmelt, stimmt heuer ausnahmsweise wirklich. Denn die Rahmenbedingungen für das kommende Jahr, für das verhandelt wird, sind im Nebel unzähliger widersprüchlicher Prognosen, Umfragen und Analysen kaum zu sehen. Eher regierungsfreundliche Experten gehen von einem realen Wirtschaftswachstum von zwei Prozent aus, andere Fachleute halten auch nur ein Prozent oder sogar Stagnation für möglich.Viel wird davon abhängen, ob die Konjunkturlokomotive USA wieder an Fahrt gewinnt, oder ob die größte Volkswirtschaft der Welt im Sog dahinkriechender Aktienmärkte ein japanisches Schicksal erleidet: zehn Jahre mit ein bis eineinhalb Prozent Wachstum. Das Ergebnis der Lohnverhandlungen ist immer wichtig, doch heuer kommt auf die Lohnverhandler besondere Verantwortung zu. Die Arbeitgeber könnten versucht sein, vor solch beunruhigenden Hintergründen Abschlüsse unter der Inflationsrate anzustreben. Das wäre für den privaten Konsum fatal. Eine reale Lohnkürzung ist für diese wichtige Stütze der Konjunktur ein schwerer Schlag und träfe die Unternehmen damit indirekt selbst. Aber auch die Arbeitnehmervertreter könnten sich zu Konjunktur-Totengräbern entwickeln. Zu hohe Lohnabschlüsse nehmen den Unternehmen die Kraft für Investitionen. Und das ist das zweite wichtige Bein der Konjunktur. Darüber hinaus wären hohe Abschlüsse ein katastrophales Zeichen für den darniederliegenden Arbeitsmarkt. Ein Ergebnis, das all dem Rechnung trägt: Das wird schwierig. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.9.2002)