Nach Prinz Eugens Brandschatzung des bosnischen Verwaltungssitzes Sarajevo im Jahre 1697 schlugen die osmanischen Paschas ihre Zelte im bis dahin unauffälligen Travnik auf. Das wirkte sich günstig auf die Stadtentwicklung aus: Um die Residenz der osmanischen Statthalter (Konak) entwickelte sich ein neues Geschäftszentrum mit Läden und frommen Stiftungen im Westen der Stadt. Diese Glanzzeit Travniks wurde von Ivo Andrić in seinem Roman Wesire und Konsuln (1945) verewigt.

Ansicht von Travnik vor den Stadtbränden von 1903
Ansicht von Travnik vor den Stadtbränden von 1903, Federzeichnung des ungarischen Illustrators Gyula Háry (Ausschnitt), die als Bildvorlage für den Bosnien-Band der "Österreichisch-ungarischen Monarchie in Wort und Bild" diente.
ÖNB

Nachdem die Zentrumsfunktion 1850 an Sarajevo zurückging, stagnierte Travnik. Auch der Anschluss ans Eisenbahnnetz (1893) führte nicht zur erhofften Teilhabe am Aufschwung städtischer Zentren; Travniks bauliche Entwicklung war vor allem eine Innenentwicklung. Als Kreisstadt hatte es allerdings den Vorteil, Sitz eines Kreisbauamts zu sein. Die darin amtierenden Baubehördler waren nicht Einheimische, sondern stammten oft aus den Kernregionen der Monarchie (wie Böhmen). Für repräsentativere Aufgaben holte man sich mitunter die Unterstützung von Absolventen der Wiener Akademie der bildenden Künste.

Zwischen Balkan und Alhambra

Bevor die österreichisch-ungarische Zivilverwaltung eigene Verwaltungsgebäude zu bauen begann, übernahm sie die osmanischen. In Travnik hatte man bis in die frühen 1890er-Jahre mit dem alten Konak Auskommen gefunden, der nach der Okkupation zum Kreis- und Bezirksamt umfunktioniert worden war. Die Platzprobleme einer expandierenden Verwaltung führten jedoch dazu, dass man daneben einen Neubau errichtete, um in ihm Bezirksamt und Gericht anzusiedeln. Die repräsentative Fassade des nun an die Hauptstraße vorgeschobenen Neubaus folgte einem Schema, das auf den kroatischen Architekten Ćiril Metod Iveković zurückging. Der muslimisch geprägte Landescharakter sollte durch Rückgriffe auf ein historisches islamisches Kulturerbe gewürdigt werden. Hufeisenbögen borgte man sich aus Andalusien, die zweifärbige Bänderung aus Ägypten. Die stilistische Verortung von Orientalischem folgte einer Pauschalisierung.

Alibegova-Moschee, Lukačka-Moschee
Links: die spätosmanische Alibegova-Moschee mit einer habsburgerzeitlichen Vorhalle neben Uhrturm und ehemaligem Bezirksamt mit orientalisierendem Fassadenschema. Rechts: Vorhalle der Lukačka-Moschee mit Gusseisensäulen zwischen Gipsabgüssen nach Muster eines "persisch-türkischen Stalaktiten-Kapitäls", hier umgekehrt auch als Basen verwendet.
Maximilian Hartmuth 2022

Vermutlich, um durch ein einheitlicheres Erscheinungsbild Brüche herunterzuspielen, wurde die zweifärbige Bänderung auf die benachbarte Alibegova-Moschee ausgedehnt, wie noch auf alten Fotos nachvollziehbar ist. Dass die (erhaltene) "alhambreske" Lattengitter-Veranda, die der Moschee vermutlich um 1892 vorgebaut wurde, abgeschrägt sein sollte, war wohl ein Kompromiss mit dem neuen Baulinienplan.

Koran und Eisenbahn

Gleichzeitig wurde der Anschluss Travniks ans bosnisch-herzegowinische Eisenbahnnetz vorbereitet. Einer optimalen Trassierung durch die Lašva-Talenge stand allerdings eine alte Medresse (islamische Hochschule) im Weg. Die Behörden vereinbarten mit den örtlichen Muslimen, dass dem notwendigen Abriss eine Wiedererrichtung auf Regierungskosten folgen würde. Da die Medresse aufgrund ihrer Lage an der Osteinfahrt der Stadt bedeutsam für den ersten Eindruck der hier Ankommenden sein würde, erging an den bereits erwähnten Iveković der Auftrag zum Entwurf eines angemessen repräsentativen Neubaus.

Medresse
Die von den Behörden bis 1895 wiedererrichtete Medresse mit jüngst rekonstruierten Türmchen, überdecktem Innenhof und rezenteren Nebengebäuden.
Maximilian Hartmuth 2022

Die 1895 wiedereröffnete Hochschule mit Internat wurde stadtseitig von einer Moschee abgeschlossen, die mit einer ansehnlichen Kuppel und hoch emporragenden Zwillingstürmchen in Form von Minaretten eine belebte Silhouette gewährleistete. Die Hofanlage mit monumentalem Eingang und Kuppelraum in der Längsachse hatte sich Iveković wohl von der Kuršumlija-Medresse (1537) in Sarajevo abgeschaut. Als Vorbild für die Kuppelmoschee mag hingegen die Alipašina (1560/1) gedient haben, ebenfalls in Sarajevo, die zuvor von Iveković renoviert worden war. Um dem Problem einer auf diesem Bauplatz schwerlich realisierbaren Orientierung nach Mekka zu begegnen, bildete er das Innere der Moschee in Form eines Oktogons aus. Auf der nach Südosten gerichteten Achteckseite konnte somit eine korrekt orientierte Gebetsnische angebracht werden.

Der schwierige Bauplatz zwischen Fernstraße, Bahntrasse und Fluss zwang Iveković allerdings dazu, die rechteckige Hofanlage der Kuršumlija in eine gleichschenkelige Trapezform zu drücken. Von einem Architekten mit Ringstraßenerfahrung – Iveković hatte Ende der 1880er-Jahre an Carl von Hasenauers Projekten in Wien (Neue Burg, Kunsthistorisches Museum) mitgearbeitet – erwartete man sich Versatilität und Flexibilität.

Wiederaufbau nach der Katastrophe

Noch einschneidender als die erwähnten Ereignisse waren für Travnik mehrere verheerende Stadtbrände im September des Jahres 1903. Sie ließen von der älteren Bausubstanz wenig übrig. Die Behörden förderten einen raschen Wiederaufbau durch Steuererlässe und kostenlose Baumaterialien; bei den Moscheen achteten sie darauf, dass bei den Wiederertüchtigungen sowohl Brandschutz als auch eine gewisse Repräsentativität gewährleistet wurden. Travniks Holzmoscheen waren fast sämtlich den Flammen zum Opfer gefallen und durften nicht mehr in dieser traditionellen Form wiedererrichtet werden.

Unter den nach dem Unglück von 1903 wiederertüchtigten Moscheen fällt die direkt an der Hauptstraße gelegene Lukačka etwas aus der Reihe. Ein Teil des gemauerten Altbaus blieb erhalten. Wirklich neu, ja geradezu innovativ war nur die bis heute erhaltene Vorhalle. Kurioserweise wird sie von Gusseisensäulen gestützt, wie wir sie etwa von der Wiener Stadtbahn kennen. Für Kapitelle und Basen wurde offenbar eine Abgussform wiederverwendet, die der Travniker Oberingenieur Miloš Komadina für sein Rathausprojekt im nahen Bugojno hatte anfertigen lassen. Sie geht auf die Zeichnung eines "persisch-türkischen Stalaktiten-Kapitäls" von Franz Schmoranz zurück, der in Wien als Architekt der "ägyptischen Baugruppe" auf die Wiener Weltausstellung von 1873 Anerkennung erlangt hatte.

Auf der erhaltenen Bauinschrift wird der österreichisch-ungarische Finanzminister Baron Stephan/István Burián von Rajecz als Auftraggeber der Wiederinstandsetzung gewürdigt – in arabischen Lettern, versteht sich.

Ein Standard für Grätzlmoscheen

Etwas aus der Reihe fällt auch die Varoška-Moschee, die als einzige der ehemaligen Holzmoscheen nicht mit einem Walm- oder Zeltdach, sondern mit einer exzentrischen Zwiebelkuppel neuerrichtet wurde. Gestalterisch dürfte man sich bei der zeitgleich errichteten Synagoge im nahen Industrieort Zenica Anleihen genommen haben, wie der ungewöhnliche Portalvorbau mit Kuppelfenstern suggeriert. Auch deren Entwurf ging auf den erwähnten Komadina zurück, der in Zürich an der ETH studiert hatte, und außer Travnik vor allem Mostar mit seinen Bauten prägte.

Varoška-Moschee, Synagoge von Zenica
Links/Mitte: die Varoška-Moschee (1906) vor ihrer rezenten Renovierung. Rechts: die ihr gestalterisch verwandte Synagoge von Zenica (1906).
Maximilian Hartmuth 2013, 2022

Jedenfalls zeichnet sich bei den "Wiederaufbaumoscheen" ein Stilwandel ab: Die zuvor quasi-verbindlichen Hufeisenbögen wurden durch Spitz- und Kielbögen ersetzt; anstelle einer horizontalen Gliederung mittels farblicher Alternierung tritt eine vertikale Gruppierung von Fenstern in einem seichten Rezess. Ziel war (von der Varoška abgesehen) nicht, Sehenswürdigkeiten zu schaffen, sondern ein variierbares Schema, das eine der Bauaufgabe "Gotteshaus" entsprechende grundsätzliche Repräsentativität gewährleistet – vergleichbar etwa mit den schnöden Pfarrkirchen des Josephinismus in Österreich.

Vier "Wiederaufbaumoscheen" (nach 1903), v. l. n. r.: Lončarica, Zulići, Šumeće, Kahvica.
Caroline Jäger-Klein 2019, Maximilian Hartmuth 2013, 2022

Das lässt sich gut bei der Lončarica-Moschee nachvollziehen, bei deren Zustandekommen auch die Zusammenarbeit zwischen örtlichen muslimischen Meinungsbildnern und der Verwaltung dokumentiert ist. Möglicherweise wurde hier ein Gestaltungskonsens geschaffen, der dann je nach Örtlichkeit variiert werden konnte. Bei der Kahvica-Moschee (1907/8) etwa wurde das längsrechteckige Schema der Lončarica zugunsten eines quadratischen Innenraums verformt. Bei der peripher gelegenen Zulići-Moschee scheint der Dekor vereinfacht ausgeführt worden zu sein (unter anderem keine abgerundeten oder abgeschrägten Baukörperecken). Bei der Moschee im Šumeće-Viertel mag der Baukörper in die Höhe gezogen worden zu sein, um in Bauflucht und Traufhöhe ein mit den benachbarten Wohnhäusern einheitliches Erscheinungsbild zu erzielen.

Jedenfalls finden sich in Travnik konzentriert Belege für die Auseinandersetzung österreichisch-ungarischer Architekten und Ingenieure mit der Bauaufgabe Moschee. Wem die besprochenen Beispiele dann doch zu wenig "Sehenswürdigkeit" sind, der findet im ausnehmend bemühten Heimatmuseum, in der Museumsfestung (samt Wasserfall) oder im Ivo-Andrić-Gedenkhaus Anstöße für ein Kennenlernen eines abseits der Trampelpfade gelegenen unaufgeregten historischen Städtchens. (Maximilian Hartmuth, 2.5.2024)