Ein mit dem blassen Licht von Neonröhren beleuchteter Raum, ein Richter, Teams von Verteidigung und Staatsanwaltschaft, große Gruppen von Pressevertretern – und Donald Trump: Das ist jene Szene, mit der sich am Dienstag 95 New Yorker konfrontiert sahen, die der Vorladung zu einer brieflich nicht näher erläuterten Geschworenentätigkeit gefolgt waren. Wer den Nachrichten folgte, dürfte sich vielleicht schon ausgerechnet haben, um welchen Fall es gehen würde. Für einige unter den Anwesenden wird es aber eine Überraschung gewesen sein, plötzlich Teil eines Verfahrens zu sein, das viele schon jetzt als Prozess des Jahres sehen.

Maulkorb zum Schutz

Eine für viele unangenehme Überraschung obendrein. Die Teilnahme als Geschworene oder Geschworener an dem Verfahren geht mit tiefen Einblicken einher, die Verteidigung und Staatsanwaltschaft ins Privatleben nehmen wollen. Und mit intensiven Bemühungen beider Seiten, Einfluss auf die letztlich ausgewählten Personen zu nehmen. Aus dem Lager Trumps befürchten viele zudem Drohungen – trotz eines Maulkorbs, den Richter Juan Merchan für den Angeklagten selbst verordnet hat.

Ex-US-Präsident Donald Trump zeigt auf seinen Anwalt Todd Blache.
Ex-US-Präsident Donald Trump zeigt auf seinen Anwalt Todd Blache. Dessen Team hatte kritische Social-Media-Botschaften vieler potenzieller Geschworener ausgegraben.
EPA/JEENAH MOON / POOL

Das Gesetz in den USA garantiert allen Angeklagten ein "zügiges und öffentliches Verfahren vor unparteiischen Geschworenen". Wie genau das im Fall Trumps aussehen soll, der bekannt ist und polarisiert wie kaum ein anderer, das sorgte in den vergangenen Tagen nicht nur im Verhandlungssaal in Manhattan für einige Diskussionen. Als der Richter am Dienstag die erste Gruppe von 96 Auserwählten fragte, ob sie Hindernisse dafür sehen würden, ihren Job fair und ausgewogen zu erledigen, hoben ganze 50 die Hand und wurden daher von der Teilnahme befreit. Die anderen mussten sich einem richterlichen Auswahlprozess und den Befragungen durch beide Seiten unterziehen. Dabei können Verteidigung und Staatsanwaltschaft je zehn Geschworene ohne Angabe von Gründen ablehnen, für weitere Ausschlüsse müssen sie den Richter mit sachlichen Gründen überzeugen.

42 Antworten auf alles

In dem Formular, das alle Betroffenen aus dem tiefdemokratischen Manhattan ausfüllen mussten, waren insgesamt 42 Fragen zu beantworten: Name und Arbeitgeber, Hobbys, Familienstand, Teilnahme an politischen Aufmärschen, Mitgliedschaften bei politischen und extremistischen Vereinigungen wie den rechtsextremen Proud Boys oder der Antifa. All das, inklusive der Namen, wird beiden Seiten bekanntgemacht – anders etwa als vor einigen Monaten beim Vergewaltigungs-Zivilprozess gegen Trump, der von einer vollständig anonymen Jury begleitet worden war. Allerdings hat Richter Merchan die Medien aufgefordert, wegen Sorgen um die Sicherheit Details zum Aussehen, Eigenheiten wie etwa Akzent oder Anstellungsverhältnissen nicht zu berichten – eine Einschränkung, die unter den Medien für einige Kritik sorgt. Die Enttarnung mindestens einer Geschworenen, die von Arbeitskollegen gefragt wurde, ob sie betroffen sei, hat das dennoch schon jetzt nicht verhindert.

Getuschel im Prozess zwischen Trump und seinem Verteidiger.
REUTERS/Jane Rosenberg

Weil es am ersten Tag keine Einigung auf Geschworene gab, mussten sich am Donnerstag 96 neue Vorgeladene und elf vom Dienstag Übriggebliebene erneut Befragungen stellen. Dabei wurde klar, dass reine Kritik an Trump, die Betroffene in der Vergangenheit geäußert hatten, nicht von der Teilnahme am Prozess ausschließt – und auch nicht Zustimmung zur Politik des Ex-Präsidenten. Die Journalistin Olivia Nuzzi vom "New York Magazine" protokollierte einige der Antworten, die sich am Donnerstag, im diesmal vorab informierten und deutlich besser vorbereiteten Geschworenenpool, häufig wiederholten: Man sehe Trump und dessen Äußerungen zwar kritisch, sei aber dennoch fähig, den Prozess unabhängig zu verfolgen und ein unbeeinflusstes Urteil zu fällen. Nicht alles aber ließ sich dabei auflösen. Eine mögliche Geschworene, deren Postings in sozialen Medien das Team des Präsidenten entdeckt hatte, nimmt nicht am Prozess teil. Sie hatte Trump unter anderem als "rassistischen, sexistischen Narzissten" bezeichnet.

Truth-Social- und "New York Times"-Leser

Am Ende allerdings standen vor Beginn des letzten Auswahltags am Freitag zwölf Geschworene und eine Ersatzperson fest. Fünf weitere Ersatzpersonen sollten am Freitag noch ausgewählt werden. Unter ihnen sind viele, die als Medienkonsum die "New York Times" oder die "Washington Post" nutzen, und manche, die zugeben, Trumps politische Leitungen kritisch zu beurteilen. Unter ihnen ist aber, unter anderem, auch ein Investmentbanker, der Trumps Posts auf X, vormals Twitter, und dem vom Ex-Präsidenten selbst geführten Netzwerk Truth Social mit großem Interesse verfolgt.

Nach seiner Verhandlung verspürte Donald Trump Hunger – und ging einkaufen.
AP/Yuki Iwamura

Der Prozess, in dem es um die womöglich illegale Verwendung von Wahlkampfgeldern zur Bezahlung eines Schweigegelds an Pornostar Stephanie Clifford ("Stormy Daniels") geht, soll in wenigen Wochen beginnen. Er ist das erste von vier laufenden Verfahren nach dem Strafrecht gegen den einstigen Präsidenten – und der einzige Prozess, dessen Ende noch vor dem Wahltermin im November möglich erscheint. Trump drohen im Extremfall mehrere Monate Haft, auch wenn die allermeisten Beobachter im Fall einer Verurteilung mit einer deutlich niedrigeren Strafe rechnen. (Manuel Escher, 19.4.2024)