Cannabis war bei Steinzeitmenschen in Europa beliebt.
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Drogenkonsum gab es bei Menschen schon vor sehr langer Zeit, und Europa ist hier keine Ausnahme. Welche Substanzen üblich waren, ließ sich aber lange Zeit nur schwer feststellen. Die Archäologin Elisa Guerra-Doce von der spanischen Universidad de Valladolid nutzt neue Methoden der analytischen Chemie, um psychoaktive Substanzen in materiellen sowie menschlichen Überresten nachzuweisen, mit durchaus überraschenden Ergebnissen

"In Europa denken wir oft, wir sind historische Kulturen von Bier- und Weintrinkern, deswegen wurde die Erforschung anderer Drogen mitunter etwas vernachlässigt", sagte die Forscherin am Rande eines Gastvortrags an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Funde deuten hingegen den Konsum verschiedener Substanzen vor bis zu 8.000 Jahren an.

Traditionelle Methoden der Archäologie stützen sich auf materielle Kulturen, wie Pfeifen oder andere Artefakte, künstlerische Darstellungen oder historische Referenzen, so die Forscherin. Ein Beispiel für solche Referenzen seien etwa die Berichte des griechischen Geschichtsschreibers Herodot über den Hanfkonsum der Skythen, die nördlich des Schwarzen Meeres in der Gegend der heutigen Ukraine und Südrusslands heimisch waren, im Rahmen von Begräbnisritualen. Überreste chinesischer jungsteinzeitlicher Gemeinschaften deuten zudem auf die Kultivierung von Hanf vor etwa 6.000 Jahren hin – in Europa gebe es frühe materielle Belege für die Nutzung der Pflanze als Narkotikum im späten dritten Jahrtausend v. Chr. im heutigen Rumänien.

Opium bei Rom

Opium habe sich hingegen in Europa ab Mitte des sechsten Jahrtausends v. Chr. ausgebreitet – einer der frühesten Hinweise auf den Anbau der Mohnpflanze wurde in La Marmotta nahe Rom gefunden. Dieser befinde sich aktuell in der chemischen Analyse, sagte Guerra-Doce. Im niederösterreichischen Leobersdorf seien außerdem in einem bronzezeitlichen Grab eine Handvoll Samen vom Schwarzen Bilsenkraut, das zur Familie der Nachtschattengewächse zählt und auch halluzinogen wirkt, entdeckt worden, wobei deren Nutzen noch nicht geklärt ist.

Durch analytische Methoden zur Charakterisierung und Identifizierung organischer Verbindungen können Alkaloide und ihre wichtigsten Metaboliten in biologischen Proben wie menschlichen Haarsträhnen oder Utensilien, die im Bezug zum Konsum standen, nachgewiesen werden, sagte die Forscherin. Die Analysen machen so etwa die Erstellung genauerer historischer Zeitachsen der Drogennutzung möglich: "Die chemische Identifizierung von Kokain und seiner wichtigsten Metaboliten hat etwa gezeigt, dass prähispanische Bevölkerungen in Amerika die Koka-Blätter schon vor bis zu 3.000 Jahren konsumiert haben", so Guerra-Doce.

Ab dem sechsten Jahrtausend v. Chr. gab es in Europa auch Opium, etwa in der Nähe von Rom.
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Zudem geben sie Aufschluss über die Konsummuster, etwa auch in Bezug auf Altersklassen und Gender: "In manchen Gesellschaften gab es starke soziale Einschränkungen, während in anderen Normalisierung festzustellen ist – Tabak war beispielsweise für gewisse Gemeinschaften in den peruanischen Anden tabu für Frauen, während sie bei anderen südamerikanischen Gruppen mithilfe von Tabak selbst schamanische Rituale durchgeführt haben", so die Forscherin.

Kombination von Substanzen

Guerra-Doce und ihren Kollegen ist so auch der früheste direkte Nachweis von Mehrfachdrogenkonsum in Europa, datiert vor etwa 3.000 Jahren, gelungen: In der Höhle von Es Càrritx auf der Insel Menorca wurden die Alkaloide Atropin, Scopolamin und Ephedrin in Haarsträhnen identifiziert. Die beiden Ersteren kommen in Nachtschattengewächsen vor, Ephedrin in Sträuchern und Nadelhölzern. Die materiellen Funde deuten auf eine Nutzung im Rahmen von schamanischen Ritualen hin. Vor etwa einem Jahr wurden die Ergebnisse publiziert, in der Umgebung gefundene Keramik wird nun auf Rückstände untersucht: "Denn wir konnten die Substanzen zwar in einer Grabkammer nachweisen, aber sie wurden dort wahrscheinlich nicht während der Bestattungsriten konsumiert – deswegen suchen wir Rückstände in anderen Kontexten wie Siedlungen", sagte Guerra-Doce.

Genau sei anhand der Alkaloide allerdings nicht festzustellen, ob Substanzen aus medizinischen Gründen oder wegen ihrer halluzinogenen Wirkung konsumiert wurden. "Ich denke aber, dass diese Zweiteilung an sich schon fehlerhaft ist: In westlichen modernen Gesellschaften trennen wir ganz rigide, welche Wirkstoffe medizinisch und welche spaßeshalber genommen werden. In den prähistorischen Gesellschaften wurde Medizin oft mit Religion und Spiritualität vermischt", erklärte die Forscherin. So sei der Heiler etwa gleichzeitig die religiös verantwortliche Person gewesen und habe für die Krankenbehandlung die Droge selbst konsumiert, um in einem spirituellen Zustand den Grund für die Krankheit herauszufinden.

Im Vordergrund stehe der wissenschaftliche Wert der Erkenntnisse, sagt Guerra-Doce. "Für mich regt das aber auch das Nachdenken über die Art, wie wir heutzutage Drogenkonsum wahrnehmen, an", sagt die Forscherin. Es gehe um mehr als nur Realitätsflucht. Halluzinogene Substanzen hätten weitergehende Funktionen, die für den sozialen Zusammenhalt vorteilhaft waren. (red, APA, 19.4.2024)