Angriff Israel Iran
Die Reste einer ballistischen Rakete –gefunden am Ufer des Toten Meeres.
Foto: REUTERS/Alon Ben Mordechai

Kurz sah es mal wieder so aus, als stünde der Dritte Weltkrieg unmittelbar bevor: Zum ersten Mal in seiner Geschichte griff der Iran direkt – also nicht durch von ihm unterstützte (Terror-)Gruppen – Israel an. Der unmittelbarer Auslöser war ein Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in Damaskus, dem mehrere hochrangige iranische Kommandanten zum Opfer fielen. Auch wenn Israel sich dazu (noch?) nicht offen bekannt hat, wird allgemein angenommen, dass es dahintersteckt. Für die völkerrechtliche Beurteilung ist ein offizielles "Bekenntnis" jedenfalls irrelevant.

Video: Medien berichten über israelischen Angriff auf den Iran
AFP

Aggression und Verteidigung

Der Iran rechtfertigte seinen Angriff auf Israel mit dem Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen: Dieses steht dann zu, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, um einen laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Angriff abzuwehren. Ein potenzieller, in ferner Zukunft – also in Monaten oder gar Jahren – stattfindender Angriff reicht also nicht aus. Es gibt kein Recht auf "präventive Selbstverteidigung", wie es die USA beispielsweise nach den Anschlägen vom 11. September für sich beanspruchten.

Umgekehrt erlischt das Recht auf Selbstverteidigung, wenn ein Angriff zu Ende ist. "Vergeltung" oder "Abschreckung" sind keine völkerrechtlichen Kategorien. Ein gewisses präventives Element wird Staaten höchstens dann zugestanden, wenn der Erstschlag eine hohe Intensität aufweist und/oder es Anzeichen dafür gibt, dass weitere erfolgen könnten. Abermals gilt, dass es eine gewisse zeitliche Nähe braucht. Kein Staat muss einem anderen beide Wangen hinhalten.

Theorie und Praxis

Auf die aktuelle Lage zwischen dem Iran und Israel folgt daraus: Wenn davon auszugehen ist, dass Israel das iranische Botschaftsgelände angegriffen hat, dann hätte es dies nur dann tun dürfen, wenn entweder ein bereits bestehender Konflikt zwischen Syrien, dem Iran und Israel vorlag oder es keine andere Möglichkeit gab, einen unmittelbar bevorstehenden (!) Angriff des Iran oder einer von ihm unterstützten Gruppe abzuwehren.

Ob die beteiligten Staaten von einem "Kriegszustand" zwischen ihnen ausgehen, ist dabei nicht entscheidend. Es kommt vielmehr darauf an, ob sie – oder ihnen nahestehende (Terror-)Gruppen – einander regelmäßig bekriegen. Sporadische Angriffe reichen also nicht aus.

Geschützte Botschaften

Außerdem hat Israel keine Beweise dafür vorgelegt – es hat sich ja noch nicht einmal dazu bekannt –, dass a) der Iran oder "seine" Milizen knapp davor waren, einen Angriff auszuführen, und b) es keine andere Möglichkeit gab, diesen abzuwehren. Damit bleibt zumindest vorerst der Vorwurf stehen, dass Israel sowohl gegenüber Syrien als auch – wenngleich nur mittelbar, weil sein Gebiet nicht direkt betroffen war (Botschaften sind kein exterritoriales Staatsgebiet, das ist ein viel zu weitverbreiteter Mythos) – dem Iran das Gewaltverbot verletzt hat.

Abgesehen davon sind Botschaftsgelände und darauf befindliche Gebäude nicht nur zu Friedenszeiten, sondern auch während Kriegen geschützt. Sie dürfen höchstens dann angegriffen werden, wenn sie für militärische Zwecke ge- und missbraucht werden. Wenn der reguläre konsularische und diplomatische Betrieb parallel weiterläuft, muss der militärische Vorteil die zivilen "Kosten" – also die beiden getöteten Zivilisten und die Schäden an zivilen Objekten – aufwiegen. Eine nähere Diskussion rund um das Recht der Diplomatie erübrigt sich, weil dieses primär in den Beziehungen zwischen Sende- und Empfangsstaat, also dem Iran und Syrien, zur Anwendung kommt. Abgesehen davon sollte man bedenken, dass beide Israel nicht anerkennen.

Kein iranisches Selbstverteidigungsrecht

Umgekehrt folgt daraus nicht, dass dem Iran das Selbstverteidigungsrecht zustand. Zwar kann ein Angriff auf eine Botschaft grundsätzlich ausreichen – wenngleich das umstritten ist. Allerdings handelte es sich aufgrund des zeitlichen Abstands und des fehlenden militärischen Zusammenhangs zum – bereits abgeschlossenen – israelischen Vorgehen um eine unerlaubte Vergeltungsmaßnahme.

Umgekehrt hat Israel aus eben diesen Gründen seinerseits kein Recht auf eine militärische Reaktion. Die UN-Charta bietet keiner Konfliktpartei eine rechtliche Grundlage für derartige Schlagabtäusche. Ohne Angriff keine Verteidigung. In der grauen (Völkerrechts-)Theorie müsste schon längst wieder Schluss sein. In der Praxis sieht es bisweilen freilich anders aus. (Ralph Janik, 19.4.2024)