Männer denken angeblich einmal am Tag an das Römische Reich, wie uns ein viraler Tiktok-Trend glaubhaft machen möchte. Der scheinbare Webblödsinn hat erstaunliche Nebeneffekte.
AFP/DANIEL MIHAILESCU

"Mitbürger! Freunde! Römer! Wie oft denkt ihr an das Römische Reich?", so würde die Rede von Marc Anton aus Shakespeares "Julius Caesar" wohl in der Ära von sozialen Medien und Tiktok beginnen. Vor einem halben Jahr ging die Frage "Wie oft denkst du an das Römische Reich?" auf Tiktok viral. Und was anfangs noch wie ein kurzlebiger Onlinetrend wirkte, hat es mittlerweile in die Popkultur geschafft und dient als Vorlage für den italienischen Tourismus. Aber auch die Forschung profitiert von einem plötzlich massiv gestiegenen Interesse am Römischen Reich.

Mehrere Wellen

Aber der Reihe nach. Im Herbst 2023 rief die schwedische Influencerin Saskia Cort ihre Follower auf, die Männer in ihrem Umfeld zu fragen, wie oft sie an das Römische Reich denken. Was nach einer ziemlich aus der Luft gegriffenen Frage wirkte, entwickelte sich rasch zu einem Trend. Das lag vor allem an den überraschenden Antworten, denn glaubt man den Befragten auf Tiktok, dann denken die meisten mindestens einmal am Tag über das Römische Reich nach. Eine wissenschaftlich hieb- und stichfeste Analyse ist das zwar nicht, aber bald setzte sich online die Meinung durch, Männer würden erstaunlich häufig an das antike Weltreich denken. Die oft irritierten Reaktionen der meisten weiblichen Fragestellerinnen waren ebenfalls ein wichtiger Teil der Gaudi. Wobei viele der Befragten in den Videos selbst über ihre Antworten erstaunt waren und nicht zu glauben schienen, wie oft sie an Sandalen, das Kolosseum oder Gladiatorenkämpfe dachten, was den Unterhaltungsfaktor noch einmal erhöhte. Ein harmloser Spaß.

Doch der Webunsinn wollte gar nicht mehr aufhören. Binnen einem Monat waren 1,3 Milliarden Beiträge auf Tiktok mit dem Hashtag #RomanEmpire verknüpft. Das sind übrigens 1.300.000 Ms in alten Zahlen, wie der "New Zealand Herald" recherchiert hat. Natürlich blieb der Trend nicht auf Tiktok, sondern landete bald auch auf anderen Social-Media-Seiten, allen voran Instagram. Bald schon schienen immer mehr Frauen von dem Thema fasziniert und stellten Männern in ihrem Umfeld die naheliegende Frage: Warum? Das führte zu einer zweiten viralen Welle, der sich dann auch zahlreiche Prominente anschlossen: Paul Mescal – der die Hauptrolle in "Gladiator 2" spielt – gab zu Protokoll, dass er aktuell sehr viel an das Römische Reich denke. Auch Superstar Ryan Reynolds postete ein Foto von sich auf dem Bett liegend: "Ich denke nur über das Römische Reich nach." Wenig später sprangen auch Fluglinien auf den Zug, Pardon, Streitwagen, auf und boten plötzlich Rabatte auf Flüge nach Rom an.

Den Tourismus freut's

Der virale Trend ging natürlich auch an den Verantwortlichen der italienischen Fremdenverkehrsagentur Agenzia Nazionale Del Tourismo nicht vorüber. Diese meldete plötzlich zwei Millionen Flughafenankünfte. Trotz einer Hitzewelle stieg die Zahl der Gäste im Vergleich zum Vorjahr um 86 Prozent, wobei der größte Zuwachs von Touristen aus englischsprachigen Gegenden kamen. Natürlich dürften auch die Pandemienachwehen eine Rolle gespielt haben, ebenso wie die Dreharbeiten für "Gladiator 2", die der Popularität der italienischen Hauptstadt ebenfalls nicht abträglich gewesen sein dürften.

Vom Hype um das Römische Reich profitiert auch ein Wissenschaftsprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, die 800 Schriftrollen von Herculaneum zu entschlüsseln. Bei diesem Crowd-Science-Projekt kommt aktuelle KI-Technologie zum Einsatz. Denn: Die meisten Schriftrollen sind verkohlt und würden sofort zu Staub zerfallen, wenn man versuchen würde, sie zu öffnen. Also griff das Team um den Informatiker Brent Seales von der University of Kentucky zu allerlei Tricks, um die Schrift auf den Rollen lesbar zu machen. Zunächst werden diese in einem Computertomografen gescannt und anschließend mit einer eigenen Software in 64 x 64 Pixel große Segmente unterteilt. Anschließend kann man die Papyrusrollen in einer weiteren Software öffnen und so digital ausrollen. Das Problem dabei: Die verwendete Tinte der alten Römer fluoresziert unter den CT-Scans nur schlecht. Deshalb hat Seales ein KI-Modell trainiert, das die Unterschiede in der Textur sichtbar macht, die für das menschliche Auge verborgen bleiben.

Angesichts der Bedeutung dieser Entdeckung startete das Team zusammen mit dem ehemaligen CEO von Github Nat Friedman und einem weiteren Investor im Jahr 2023 die Vesuvius Challenge. Diese Crowd-Science-Initiative hat das Ziel, die Schriftrollen zu entschlüsseln. Die besten Arbeiten werden mit Preisgeldern belohnt. Tatsächlich gelang es drei jungen Studenten, den Hauptpreis einzustreifen. Youssef Nader (Freie Universität Berlin), Luke Farritor (University of Nebraska–Lincoln) und Julian Schilliger (ETH Zürich) haben ein Preisgeld von 700.000 Dollar erhalten, weil sie große Teile von Schriftrollen lesbar gemacht haben.

Sie haben sich bereits zuvor bei dieser Challenge hervorgetan, der 21-jährige Farritor etwa landete bei der Aufgabe, das erste Wort zu erkennen ("violette Farbe" oder "violette Tücher"), auf dem ersten Platz. Was das alles mit dem Tiktok-Trend zu tun hat? Die drei Informatiker gaben ebenfalls an, recht häufig an das Römische Reich zu denken.

Wessen Gedanken jetzt ebenfalls um das Römische Reich kreisen, der kann die Faszination für die Antike gemeinnützig ausleben. Die Vesuvius Challenge 2024 möchte noch in diesem Jahr rund 90 Prozent der Schriftrollen entschlüsseln. Eine Anleitung, wie man das tun kann, gibt es auf der offiziellen Website oder auf dem Discord-Kanal. (pez, 6.4.2024)