Mit Gamestop hat sich vor wenigen Tagen einer der größten Player aus dem Einzelhandel zurückgezogen.
AP/John Minchillo

Viele Dinge im Leben lernt man erst so richtig zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat. Schon vor Jahren mussten wir uns von dem persönlichen Charme von Videotheken verabschieden und uns mit der Kälte einer stetig wachsenden Anzahl von Auswahlalgorithmen bei Netflix oder Amazon Prime Video anfreunden. Die freundschaftliche Beratung, die man sich vom Videothekmitarbeiter seines Vertrauens abholen konnte, war Teil eines Rituals, das bei keinem Filmabend fehlen durfte. Mit der Ankunft von Netflix und anderen Streaming-Diensten hat sich dieser Geschäftszweig in Rekordzeit von der Welt verabschiedet. Bei Videospielgeschäften ist es noch nicht ganz so weit gekommen, aber dennoch sieht es nicht gut aus für die verbliebenen Geschäftslokale. Gamestop, eine der größten Ketten vergangener Tage, kündigte vor wenigen Tagen den Ausstieg aus den Geschäften in Österreich, der Schweiz und Irland an. Übrig bleiben eine Handvoll privat geführter Geschäfte, spärlich verteilt über den Erdball.

Digitale Game-Stores haben Spiele so zugänglich wie noch nie gemacht, dennoch ist es eigentlich tragisch, sollte die Möglichkeit, Spiele persönlich zu kaufen, völlig aussterben. Es war eine Besonderheit, sich in einem solchen Store mit Gleichgesinnten zu unterhalten, sich mit ihnen virtuell zu duellieren und am Ende ein Spiel nach Tipps eines Verkäufers in den eigenen Händen nach Hause zu tragen. Vorfreude brodelte in einem auf, und nachdem man endlich erfolgreich ins Eigenheim gehetzt war, trennten einen nur noch wenige Schichten Hartplastik vom anstehenden Spielspaß. Verglichen mit dem Kauf eines Spiels auf einer Plattform wie Steam oder dem Epic Games Store ist diese Methode zwar weit aufwendiger, aber vergleichsweise besonders – fast zeremoniell. Die wenigen Mausklicks, die es heute braucht, entwerten das Gefühl rund um den Kauf eines Spiels. Ein kurzer Blick in die eigene Steam-Bibliothek bestätigt den Wahrheitsgehalt dieser Aussage, nicht wahr?

Um also Videospielgeschäfte noch einmal hochleben zu lassen, hat DER STANDARD zwei Ableger dieser sterbenden Zunft in Wien aufgesucht und einige drängende Fragen gestellt.

Spieleheld

Der Gamestore mit Filialen im ersten und dritten Wiener Gemeindebezirk ist eines der letzten konventionellen privat geführten Geschäfte, in denen man noch neuere Spiele und Konsolen erstehen kann. Die kleinen Shops sind bis an die Decke mit allem gefüllt, was das Nerd-Herz begehrt. Anfragen werden fachmännisch beantwortet – oder wenn es die Expertise übersteigen sollte, bereitwillig im Betriebscomputer nachgegoogelt. Es herrscht eine ruhige und entspannte Atmosphäre vor. Die Filiale im ersten Bezirk hat einen klaren Fokus auf die Touristen gesetzt, die sich in die Gassen hinter dem Stephansdom verirren. Im dritten Bezirk ist das Geschäft etwas größer und viel mehr auf Retro-Konsolen und Cartridges fokussiert.

Das Geschäft scheint irgendwie zu laufen, aber der Drang zur Digitalisierung macht auch vor den Mitarbeitern nicht halt. Ein Mitarbeiter im ersten Bezirk erzählt ungefragt, dass er selbst seit drei bis vier Jahren immer weniger Discs gekauft hat. Es sei einfach der jetzige Stand der Technologie und weder sein Gaming-PC noch seine PS5 besitzen ein Laufwerk, so der Verkäufer. Seiner Meinung nach habe sich die Situation in den letzten sechs bis sieben Jahren stark verschlechtert. Laut dem Mitarbeiter seien Neuerungen wie das Aboservice Xbox Gamepass schuld an dem geschrumpften Potenzial. Mit diesen etwas pessimistischen Aussagen bleibt er nicht allein.

Der Konsolenmechaniker

Mit vier Filialen auf alle Himmelsrichtungen verteilt und einem Onlineshop sind die Geschäfte mit dem Namen Videogamestore in Wien vertreten. Im Prinzip ähnlich aufgebaut wie das zuvor erwähnte Beispiel, findet sich auch hier eine Vielfalt an Konsolen, Controllern und Spielen, die nach neuen Besitzern suchen. Ein Turm aus PS5- und Xbox-Series-X/S-Spielen bis an die Decke gestapelt begrüßt einen beim Eintreten in die Meidlinger Filiale. Nachdem mich der freundliche Mitarbeiter Philip begrüßt hat, stelle ich auch ihm ein paar Fragen über die Zukunft des Geschäfts. Seiner Meinung nach würde die jetzige Konsolengeneration das Geschäft für die nächsten fünf bis sechs Jahre garantieren, aber danach wird wohl die volle Umstellung in Richtung Games-Downloads passieren. "Ab dann gibt es nur noch Retro, und uns wird es hoffentlich auch noch weiter geben", so der Verkäufer.

Die Retro-Abteilung wird in den nächsten Jahren wohl noch weiter wachsen.
Videogamestore Meidling

Neben dem An- und Verkauf gebrauchter Spiele und Spielutensilien bietet der Videogamestore auch weitere Dienstleistungen an, um seine Zukunft abzusichern. Die Hauptader für den Profit liegt sicherlich im Verkauf diverser Retrospiele. Topseller sind natürlich "Mario" und "Pokémon", aber um diese Games auch spielen zu können, muss die Hardware auch funktionieren. Um das zu garantieren, stellt der Videogamestore einen eigenen "Konsolenmechaniker" an, der diverse Schäden repariert oder Alterserscheinungen behandelt. Die Bandbreite an Dienstleistungen und Produkten zieht eine breite Klientel an. "Von richtigen Zocker-Nerds bis zu Familien oder etwas älteren Anwalttypen gibt es da alles", so der Mitarbeiter.

Hunderte Spiele finden ihre Heimat gerade im Geschäftslokal in Meidling.
Videogamestore Meidling

Zukunft gewiss

Wie steht es also um die Gesundheit der Verkaufsbranche im Bereich Gaming? Es könnte besser sein, aber noch lebt sie. Die fortschreitende Digitalisierung im Spielemarkt ist schlicht und einfach unaufhaltbar und wird das Umsatzpotenzial dieser Geschäfte weiter schrumpfen lassen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich die wenigen Geschäfte, die die nächsten zehn Jahre überstehen werden, völlig auf Retro-Hard- und -Software konzentrieren würden. Zumindest die knappe Handvoll, die es dann noch geben wird.

Dennoch haben diese Geschäfte einen Vorteil, der mich glauben lässt, dass einzelne Ableger gute Chancen haben zu überleben. Die Gemeinschaft, die ein Hobbyshop den Kunden spendet, kann nicht von digitalen Marktplätzen simuliert werden. So wie sich zum Beispiel Skateshops gegen die Einzelhandelsketten und Onlineshops durchgesetzt haben, könnten auch Videospielgeschäfte ihre Nische im Markt weiter verteidigen. Ein Skateshop ist weit mehr als ein einfacher Ort, um Boards und Kleidung zu kaufen. Eine maßgeschneiderte Playlist, ein Fernseher mit Skatevideos und gesprächige Mitarbeiter und Kunden machen das Geschäft zu einer Erweiterung des eigenen Wohnzimmers. Ein Geschäft mit Videospielfokus, das eine ähnliche Atmosphäre anbietet, könnte auch in den kommenden, sehr digitalen Jahren erfolgreich sein. Zumindest würde ich mir das wünschen. (Georg Laurenz Dittlbacher, 30.3.2024)