Manche Beobachter hielten den Van­life-Trend nur für ein Strohfeuer. Ein aus der Not geborenes Phänomen. Weil das Fernweh in der Pandemie oft nur mit einem eigenen fahrbaren Untersatz zu stillen war, griffen damals eben auch besonders viele Menschen zu einem Vehikel, das sogar das Hotelbett ersetzt. So wurden ­allein im Jahr 2021 europaweit 260.000 Campingfahrzeuge neu angeschafft, was einem Gesamt­umsatz von knapp 14 Milliarden Euro entsprach. Die Vermutung: Mit der Rückkehr alter Reisefreiheiten würden aber wohl schon bald massenweise fast unbenutzte Vans und Wohnwagen auf dem Gebrauchtmarkt auftauchen, und das Thema Camping kehrt zurück in die Versenkung der Nische. Es kam anders. Das Jahr 2023 war für die heimischen Campingplätze mit 8,3 Millionen Nächtigungen zum vierten Mal in Folge ein phänomenales Rekordjahr. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 lag die damals auch schon hohe Messlatte bei genau sechs Millionen Nächtigungen. Die meisten neuen Wohnmobile sind also wohl weiterhin irgendwo da draußen un­terwegs und werden gerne benützt.

Mölltaler Gletscher
Mit der angeblich längsten unterirdischen Standseilbahn der Welt gelangen Schneehungrige auf fast 3000 Meter Höhe ins Skigebiet Mölltaler Gletscher. Von den gleichnamigen Eismassen ist allerdings nur mehr sehr wenig übrig.
Sascha Aumüller

Dennoch stellt sich die Frage, ob nicht auch hier mancher Trend herbeigeredet wird, der keiner ist. Wintercamping zum Beispiel. Wer bitte schön verkriecht sich schon bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in eine Sardinendose, vor die man zu dieser Jahreszeit nicht einmal ein Tischlein und Sessel stellen kann? Laut Österreichischem Campingclub (ÖCC) immerhin so viele Leute, dass zwischen November 2022 und April 2023 knapp 800.000 Nächtigungen zusammenkamen. Das sind fast zehn Prozent aller Camper-Nächtigungen in einem Jahr. Verantwortlich dafür dürfte in Österreich vor allem die Tatsache sein, dass viele Tiroler und Salzburger Plätze in unmittelbarer Nähe von Skipisten oder Loipen liegen. Das Kalkül: Warum nicht im ohnehin kostspieligen Skiurlaub zumindest bei der Unterkunft sparen? Es gibt aber noch ein weiteres unschlagbares Argument, das fürs Herumtingeln im Winter spricht: Schneesicherheit. So ist in diesem Februar in fast ganz Österreich keine weiße Pracht mehr unter 2000 Metern zu finden. Wer also die Möglichkeit dazu hat, fährt spontan dorthin, wo es noch Schnee gibt, anstatt eine fixe Unterkunft mit dem Risiko zu buchen, dass Wintersport dort vielleicht gar nicht möglich ist.

Hoch oben muss der Winter sein

Mitte Februar haben wir ausprobiert, ob man dem Winter mit einem Wohnmobil tatsächlich so einfach hinterherfahren kann. Unsere Wahl fiel dabei auf den Campingplatz "Hochoben", der – nomen es omen – auf immerhin 1200 Meter Seehöhe, umringt von der eindrucksvollen Bergkulisse mehrerer Dreitausender der Hohen Tauern, im Kärntner Mallnitz liegt. Als wir dort ankamen, waren wir darauf vorbereitet, dass blütenweiße Schneewechten vor dem Camper in diesem Winter nur auf Fotos existieren. Über eine Webcam hatten wir zuvor schon nach Mallnitz gespechtelt und alle Schattierungen von Braun und ein bisserl frühlingshaftes Grün gesehen. Das ist traurig und bedenklich in einer Höhenlage wie dieser, aber wohl ein Bild, das uns in Zeiten des Klimawandels immer öfter begegnen wird.

Kirchturm, Mallnitz, Kärnten
Der geschindelte Kirchturm von Mallnitz ist ein Kuriosum.
Sascha Aumüller

Was hier nicht vorherzusehen war: der große Komfort, der Camper ganzjährig auf dem Platz erwartet. Ein helles, freundliches Hauptgebäude wirkt dem Lagerkoller im Camper entgegen, und wer will, kann hier sogar private Badezimmer mieten, die man mit niemand Fremdem teilen muss. Auch das Restaurant ist eine positive Überraschung mit den vielen lokalen und saisonalen Gerichten, dem hervorragenden Wild aus der Umgebung und einer allgemein frischen Zubereitung, die man rundherum in gestandenen Wirtshäusern oft nicht in derselben Qualität hinbekommt.

Die Stellplätze sind großzügig und ermöglichten wohl selbst dann genügend Privatsphäre, stünden hier mehr Fahrzeuge. Der Nachbar, der extra im Camper zum Snowboarden aus dem südlichen Kroatien angereist kam, winkt vor dem Schlafengehen jedenfalls höflich dezent aus der Ferne. Die bequemen Holzhütten, von denen es hier auch einige gibt, sind im Gegensatz zu Van und Wohnwagen im Winter aber mehrheitsfähig und allesamt ausgebucht. Kein Wunder, liegt der Mallnitzer Campingplatz doch zwischen den recht schneesicheren Skigebieten am Ankogel und am Mölltaler Gletscher.

Campingplatz Hochoben in Mallnitz, Kärnten
Der Campingplatz Hochoben bietet im Winter viel Freiraum und ist ein guter Ausgangspunkt für Bewegungshungrige. In diesem Februar ist eher Wandern als Langlaufen angesagt.
Sascha Aumüller

Dass nationale Stellen und die EU die Errichtung des Campingplatzes aus einem Fördertopf für ländliche Entwicklung mitgetragen haben, ist nachvollziehbar. Mallnitz liegt als Nationalparkgemeinde in schützenswerter Umgebung, viele Betten in großen, neuen Hotels wären hier fehl am Platz. Da ist dem Ort, in dem aktuell einfache Zimmer in manchmal ungewollter Retrooptik dominieren, mit dem Campingplatz-Mix aus Chalets und einer großen Fläche ohne Bodenversiegelung eindeutig besser gedient. Auch als Camper sieht man sich vor Ort nicht genötigt, gleich wieder ins Auto zu steigen, um die Umgebung zu erkunden. Direkt vor dem Platz hält der Skibus, den Ortskern oder die nächste bewirtschaftete Hütte erreicht man sowieso zu Fuß – aktuell auch über Loipen, die derzeit nur weiß sind wegen blühender Schneeglöckchen. Was uns wieder zu der Frage zurückführt: Wie geht’s hier am schnellsten in ein Winterwonderland? Normalerweise von Mallnitz aus mit der Ankogelbahn, doch nicht an diesem Tag.

Warnung per E-Mail ins Wohnmobil

Schon früh am Morgen schickt einem das Hochoben-Team eine E-Mail ins noch warme Wohn­mobilbett und warnt, dass die Gondelbahn ein technisches Gebrechen hat. Man solle besser auf den Mölltaler Gletscher ausweichen. Selbst wer einen Skikurs gebucht hat, bekommt auf dem Campingplatz genaue Infos für Ersatz im Ausweichgebiet – das ist vorbildlicher Service.

Aus dem Panoramarestaurant Eissee in 2800 Meter Höhe blicken wir schließlich doch noch auf ein winterliches Panorama inklusive Großglockner und Sonnblick, vom Gletscher selbst gibt es nicht mehr viel zu sehen. Haut also hin, mit dem Camper möglichst nah an eine Bilderbuch-Schneelandschaft ranzukommen. Ob einen dieses teuer erkaufte Trugbild von einem makellosen Winter glücklich macht, muss jeder selbst entscheiden. Im Nationalpark Hohe Tauern hat man sich jedenfalls längst Gedanken gemacht über sanfte Alternativen zum Skizirkus, die ohne die Illusion einer schneereichen Zukunft der Alpen auskommen. (Sascha Aumüller, 3.3.2024)