Ein winterliches Panorama von Bad Gastein
Ein winterliches Panorama von Bad Gastein.
Straubinger

Falco war in den späten 1980er-Jahren Stammgast im Hotel Elisabethpark, das im Zentrum von Bad Gastein steht. Er schlürfte Bier aus Champagnergläsern, und die Einheimischen munkelten: "Draußen schneit es. Und drinnen schneit es auch." Filmregisseur Billy Wilder liebte Bad Gastein, er fühlte sich durch den imposanten Wasserfall neben dem Straubinger Grand Hotel an seine Studentenbude in Berlin erinnert: Da rauschte die Klospülung ähnlich laut neben seinem Bett. Die irische Band U2 wurde aus einer Bar geworfen, weil sie dem Besitzer zu alternativ angezogen waren. Kaiserin Sisi hatte den Spitznamen "der Zug", weil die Sportsüchtige hier lokale Bergführer mit ihrem Tempo abhängte. Und die Filmlegende Hans Moser war notorisch geizig – und stieg in dem Kurort immer im billigsten Hotel ab.

Manchmal hat man das Gefühl, Bad Gastein wird von seiner glamourösen Vergangenheit schier erdrückt. Alle waren sie hier, Kaiser und Könige, Hollywood-Stars und Musik-Elite, Aufsteiger und Aufschneider, korrupte Spekulanten und kreative Spinner. An jeder Ecke lauert eine Anekdote. Meine Mission: Ich möchte verstehen, was das Besondere an diesem Sehnsuchtsort ist, der nicht ganz 4000 Einwohner zählt. Und ob nach Jahren des Stillstandes tatsächlich gerade eine neue Aufbruchstimmung herrscht.

Gasteiner Wasserfall, Hotel Straubinger
Der ikonische Gasteiner Wasserfall im Zentrum, daneben das neue Hotel Straubinger.
Arne Nagel AMOA e.K.

Zumindest ins lange Zeit verwaiste Zentrum ist neuer Glanz eingezogen: Das Straubinger Grand Hotel wurde liebevoll renoviert, im eleganten Speisesaal mit seinen hohen Stuckdecken kommt nostalgisches "Zauberberg"-Feeling auf. Bei der Revitalisierung wurde auf eine gelungene Mischung aus historischer Patina an den Wänden und modernem Luxus (Infinitypool!) gelegt. Das Fünf-Sterne-Hotel ist auf eine sympathisch unangestrengte Weise mondän. Schon beim Einchecken wird mir klar, warum Bad Gastein neben vielen Slogans wie "Monte Carlo der Alpen" auch "Manhattan der Alpen" genannt wurde. Mein Zimmer liegt im ersten Stock, aber ich bin, weil die Gebäude atemberaubend auf Steilhängen gebaut wurden, eigentlich im fünften Stock – und habe von meinem kleinen Balkon eine famose Aussicht auf das ganze Tal.

Line-Dance im Stüberl

Abends spaziere ich zum Grand Hotel de L’Europe, jenem Belle-Époque-Bau, der Wes Anderson als Vorbild für seinen Film "Grand Budapest Hotel" gedient haben könnte. Gespenstisch leer ist das einst modernste Gebäude der k. u. k. Monarchie mit stattlichen zehn Stockwerken. Die Hoteldrehtüren sind verschlossen, über einen kleinen Eingang im Keller komme ich ins Innere. Die örtliche Line-Dance-Gruppe probt gerade im holzvertäfelten Stüberl, in dem früher festlich diniert wurde. An den Wänden hängen riesige Gemälde mit Szenen aus der Nibelungensage. Siegfried tötet einen Drachen. Fast schon surreal, wie historisches Pathos und gegenwärtiger Alltag da zusammenfinden. Ein Setting, das Autor und Regisseur David Schalko nicht besser hätte erfinden können, der ein großer Fan von Bad Gastein ist (er wohnt stets im Hotel Hirt), dem er in seinem Roman Bad Regina ein kritisch-ironisches Denkmal gesetzt hat.

Grand Hotel de L'Europe, Bad Gastein
Das Grand Hotel de L'Europe soll Wes Anderson als Vorbild für seinen Film "Grand Budapest Hotel" gedient haben.
Gasteinertal Tourismus GmbH

Am nächsten Tag treffe ich Elisabeth Kröll, sie ist Fremdenführerin und gehört zur seltenen Spezies, die doppelt so schnell denkt und redet wie alle anderen Menschen. Sie ist ein Glücksfall von einem Guide, eine beeindruckende Person, die historische Fakten ebenso parat hat wie den neuesten Tratsch und Klatsch. "Bad Gastein ist eine Drama-Queen", sagt sie. Und erzählt, dass der Wiener Investor Hans Peter Haselsteiner das leerstehende Haus auf der anderen Seite des Wasserfalls gekauft haben soll, welches einst Schauspielerin Paula Wessely gehörte. Was er damit anfangen möchte? Konkrete Pläne sind noch nicht bekannt.

Badeschloss, Fassade
Das Badeschloss hat eine moderne Fassade verpasst bekommen.
Arne Nagel

Direkt daneben: die Problemkinder von Bad Gastein. Das Haus Austria und das 1974 fertiggestellte brutalistische Kongresszentrum, das einem hier gelandeten Raumschiff ähnelt – so dramatisch wie die Berge ringsum. Die Gebäude verrotten, weil ihr Besitzer Philippe Duval keine Initiative zeigt, etwas in seine Spekulationsobjekte zu investieren. Für Lost-Places-Touristen aus aller Welt ist das Kongresszentrum gerade deswegen ein begehrtes Ziel. Auch für mich ist die denkmalgeschützte Anlage eine Architekturikone, die mich vor Jahren zum ersten Mal nach Bad Gastein geführt hat. Damals wusste ich nicht, wie ich in das abgeriegelte Gebäude komme. Mittlerweile habe ich mit genügend Einheimischen gesprochen, die mir den Geheimeingang verraten haben. Im Inneren ist es dunkel und unheimlich, aber man sieht, was für ein Potenzial das Kongresszentrum hat: Die riesigen Fenster wären ideal für ein Museum. Auf dem Dach könnte ein Café mit unfassbar schöner Aussicht entstehen.

Im Grand Hotel de L’Europe kommt viel zusammen, was an Bad Gastein fasziniert: Kühnheit und Verfall, Größenwahn und Pragmatismus. Gerade wird für das Lighthouse-Festival und Liebhaber elek­tronischer Musik aufgebaut. Wir treffen zufällig Thomas Fillafer, den Verwalter des Gebäudes. Er sagt: "Um in Bad Gastein ein kleines Vermögen zu machen, muss man ein großes mitbringen." Ein gewisser Galgenhumor gehört zur Grundausstattung. Wer hier lebt, hat viel gesehen. Es ist fast schon ein Wunder, wie gelassen die Bad Gasteiner mit ihrer überreichen, auch bizarren Historie umgehen. Die einstige Goldgräberstimmung ist hoffentlich vorbei, man braucht einen langen Atem, um nachhaltig im Ort etwas zu verändern.

Leben in der Filmkulisse

Fillafer zeigt uns spontan eines der Zimmer – die meisten sind als Apartments verkauft. Room 219 ist Legende: Hier trafen sich 2019 die Strippenzieher der Ibiza-Affäre mit den Journalisten. Eine Suite wie ein Bühnenbild: Es könnte kein besseres Setting für den Ausgangspunkt eines Politskandals geben. In den endlosen Weiten der leeren Hotelgänge fühlt man sich wie im Horrorfilm "The Shining".

Der Romantic-Comedy-Hero Hugh Grant pflegt das Bonmot, dass es Good Gastein und nicht Bad Gastein heißen müsste. Man erzählt sich, dass er eine Wohnung kaufen möchte, weil er so glücklich ist, dass ihn hier in den österreichischen Bergen niemand erkennt oder gar anspricht. Fremdenführerin Elisabeth weiß, dass eine Verkäuferin im lokalen Supermarkt gemeint habe, da kaufe immer jemand ein, der wie ein bekannter britischer Schauspieler aussehe, aber viel kleiner und älter sei. Da ist er wieder, dieser böse Schmäh, den man ja eigentlich den Wienern zuschreibt.

Die Spa-Rezeption im Badeschloss.
Die Spa-Rezeption im Badeschloss.
Badeschloss / Arne Nagel

Nachmittags genieße ich den Pool im 13. Stock des Hotel Badeschloss. Vis-à-vis vom Straubinger ragt ein Turm in die Höhe, der gut zur brutalistischen Geschichte des Ortes passt. Die zweite Hotel-Neueröffnung ist ein modernes Kon­trastprogramm für ein urbanes Hipster-Publikum. Nicht nur der Badebereich ist enorm Instagram-tauglich. Viele Designhotels sind pure Oberfläche, aber hier passt auch die Qualität. In der großzügigen Sauna hat man einen Cinemascope-Blick auf das Grand Hotel de L’Europe. Im Pool auf dem Dach sieht man bis nach Bad Hofgastein und bekommt ein Gefühl dafür, wie dramatisch sich Bad Gastein an den Berg schmiegt.

Die Botox-Dichte ist erstaunlich gering. Je öfter ich herkomme, desto mehr entdecke ich. Bad Gastein ist kein Dorf, sondern ein Kosmos. Wie sonst nur in Großstädten existieren Widersprüche friedlich nebeneinander. Das historische Zentrum ist verschlafen, die altmodischen Kurgäste lieben die Ruhe des Ortes. Kreative steigen gern im Hotel Regina, im Miramonte, Hirt oder in der Villa Excel­sior ab. Und beim Bahnhof ist die Party-Ecke, in der man sich wie in Lukas Moodyssons Film "Fucking Åmål" fühlt – also in einem Dorf in Schweden mit Jugendlichen, die etwas erleben wollen. In deren Heimat ist Bad Gastein übrigens so bekannt wie Venedig.

Die Rezeption des Hotel Straubinger
Rezeptionistinnen und Rezeptionisten haben in Bad Gastein viel zu erzählen.
Arne Nagel AMOA e.K

Im Hotel Salzburger Hof hängen Fotos vieler Stargäste wie der schwedischen Schauspielerin Anita Ekberg. Mitglieder der Band ABBA waren auch schon da, natürlich nicht gemeinsam. Die Hotelrezeptionistin erzählt, sie sei kürzlich in Göteborg, Schweden, gewesen, dort habe jeder Bad Gastein gekannt. Sie ist blond und groß – und Kroatin. Und sie passt gut in einen Ort, an dem der erste Eindruck oft täuscht. Bad Gastein ist perfekt imperfekt. Ein Ort mit Brüchen, die man nicht glätten sollte. Ein erstaunlich kosmopolitischer Platz, der sich als verschlafenes Bergdorf tarnt.

Am nächsten Morgen nehme ich ein Taxi zum Bahnhof. Der Fahrer erzählt, dass er mit einer Schwedin verheiratet ist. Den Veranstalter Olle Magnusson kennt in Bad Gastein jeder, er bringt seit vielen Jahren die schwedischen Touristen direkt mit seiner Reiseagentur vor Ort. Um auch abseits des Wintertourismus schwedische Gäste zu gewinnen, gibt es einen neuen Werbeslogan: Garantiert gelsenfreies Wandern. Zum Abschied sagt der Fahrer: "Lass’ dich wieder einmal blicken." Das mach’ ich garantiert. Nicht nur wegen des extrem lässigen Pools im Badeschloss. (RONDO, Karin Cerny, 22.2.2024)