Schritt für Schritt geht es durch knie- bis hüfttiefen Schnee den Berg hinauf. Die vom weißen Schleier gedämpfte Stille verleiht dem immer schütterer werdenden Wald hier oben eine ganz eigene Magie. Der Weg hinauf dauert und zehrt an den Kräften, doch jeder Schritt weiter nach oben bedeutet umso mehr Spaß auf dem Weg hinunter.

Schon beim Aufstieg gilt es, sich das Gelände gut einzuprägen. Wo findet sich die beste Linie? Wohin hat der Wind den Schnee vertragen, den man braucht, um sanft Schwünge zu setzen? Wo gilt es, Vorsicht walten zu lassen, weil tückischer Harsch unter der Pulverdecke lauert? Das alles entscheidet über den Charakter der Abfahrt und den Spaß, den man dabei haben wird. Oben angekommen wird erst einmal gerastet. Die Aussicht genießen, die Strapazen des Aufstieges hinter sich lassen, die Vorfreude auf die kommende Abfahrt schüttet schon vor dem Start die ersten Glückshormone aus.

Ein Mensch mit Snowboard auf einem Schneehügel
Beim Powsurfen braucht es keine Aufstiegshilfen.
Andreas Monsberger/www.monEpic.at

Dann geht es los. Einfach draufstellen, in die Falllinie eintauchen und so den nötigen Auftrieb herstellen, der einem dieses unvergleichliche Gefühl von Schwerelosigkeit vermittelt. Nur eine dünne Schnur verbindet Mensch und Brett, ansonsten nichts als Freiheit. Das sogenannte Snow- oder Powsurfen ist die puristische Form von Schweben im Tiefschnee, die einen sehr nah an das Gefühl vom Fliegen bringt. Es ist ein Nischentrend im Snowboarden, der eigentlich lange Tradition hat. Und doch musste er wiederentdeckt werden. "Wir bauen Boards dazu", sagt Wolfgang "Wolle" Nyvelt (46), der zusammen mit seinem Freund Stefan "Steve" Gruber (49) seit 2006 im Zillertal mit der Marke Äsmo einen maßgeblichen Anteil an dieser Renaissance hat.

In einer kleinen Werkstatt in Laimach in der Nähe von Mayrhofen im Zillertal tüfteln die beiden unermüdlich am "perfekten Shape", also der idealen Form, den ein Brett besitzen muss, um bestmöglich die Berge hinabzusurfen. Gruber ist der Handwerker, Nyvelt der Snowboard-Profi. An den Wänden ihrer Werkstatt hängen unzählige Zeugnisse dieser Mission, die für sie "mehr Kunstprojekt als Arbeit" ist. Bretter in allen möglichen Formen, aus allen möglichen Materialien sind dort zu finden. Trial and Error lautet die Herangehensweise. Wobei sie großen Wert darauf legen, nicht die Erfinder des Powsurfens zu sein. Die Ursprünge dieser Spielart des Schneesports reichen Jahrhunderte zurück. Doch ihre Äsmos zählen heute zu den besten Brettern, die man dafür erwerben kann.

Die Spitze eine Snowboards
Tüfteln am "perfekten Shape", damit das Brett nicht Schnee versinkt.
Andreas Monsberger/www.monEpic.at

Die Szene der aktiven Powsurfer ist noch sehr überschaubar und setzt sich aus Enthusiasten zusammen, die die Liebe zum Tiefschnee vereint. "Wir sind eine Nische in der Nische der Nische", drückt es Nyvelt aus. Mittlerweile produzieren sie "500 bis 600 Äsmos" pro Jahr. Wobei die Serienfertigung seit etwa sechs Jahren in Tschechien erfolgt. "Hier in der Werkstatt in Laimach entwickeln wir die Prototypen", sagt Nyvelt.

Mindsurfen und basteln

Ihren Lebensunterhalt können die zwei Zillertaler damit nicht bestreiten. In seinem Brotjob plant Gruber Kletteranlagen, Nyvelt entwickelt und fährt Snowboards für seinen langjährigen Sponsor Salomon. Jede freie Minute investieren sie in ihr Herzensprojekt. "Das ist harte Ar­beit, weit weg vom Äsmo-Feeling im Powder", erklärt Gruber. Doch die Werkstatt sei auch Teil ihres Lebensgefühls, wie er betont: "Wir nennen es den Mindsurf, wenn wir hier im Sommer an unseren Brettern basteln." Drei bis fünf Jahre Entwicklung stecken in jedem neuen Äsmo-Prototyp. Ein solcher liegt gerade auf der Werkbank. "Es wird ein deutlich kürzeres Brett, mit dem man auch Skateboard-ähnlich tricksen kann", verrät Nyvelt.

Die Inspiration dafür holen sich die beiden Powsurf-Pioniere bei sämtlichen Brettsportarten, allen voran dem Surfen. "Beim Wellenreiten geht es nicht um den krassesten Trick, sondern um die perfekte Linie, die man durchs Wasser zieht", beschreibt Nyvelt den Zugang zum Surfen im Schnee. Der "Snowboarder of the Year" des Jahres 2008 steht der Höher-weiter-Philosophie seines Sports durchaus kritisch gegenüber. Durch die Kommerzialisierung und Professionalisierung sei viel von der Seele verlorengegangen.

Unstrapped - A Powsurf Short Film
Unstrapped - Ä Powsurf Short Film by Friedl Kolar We are huge Äsmo Powsurfing fans and always wanted to create a Powsurf Short Film. Winter 20/21 was epic. The Lockdown kept the tourist away and we witnessed the best winter ever. Buddy and filmer Chris Wasche
Ästhetiker Äsmo Unstrapped

Heute gewinnt man Contests mit Tricks, die mehr mit Akrobatik als mit Snowboarden zu tun haben. Mit der Rückbesinnung auf das Powsurfen will er ein Lebensgefühl, das in den 1990er-Jahren noch in der Snowboardszene vorgeherrscht hat, wiedergewinnen: "Es ist eine Kultur, ähnlich wie das Skaten und Wellenreiten." Die vermeintliche Vereinfachung, also das Fahren ohne Bindung, mache das Powsurfen zu einer deutlich komplexeren Angelegenheit.

"Und das Komplexe macht es wiederum so interessant", erklärt Nyvelt, "anders als beim Fahren mit Bindung geben einem beim Powsurfen das Brett und die Natur den Charakter vor. Wir wollen uns von den Fesseln befreien, die das Snowboarden vorgibt." Denn ohne die fixe Verbindung zum Board gilt es, das Gelände zu lesen und sich anzupassen. Ein Hang, den man schon zigfach mit dem Snowboard gefahren ist, wird mit dem Powsurfer zu einem ganz neuen Erlebnis. Jeder Turn, also jede Kurve, muss antizipiert werden, um ihn genau dort zu setzen, wo Gelände und Schnee ideal dafür sind.

Den Flow finden

Anfängern und Umsteigern raten die Experten, "auf einem kleinen Hang hinterm Haus zu starten". Der sollte nicht zu steil, aber auch nicht zu flach sein. Und natürlich braucht es eine gewisse Menge an frischem, unverspurtem Schnee, um das unvergleichliche Gefühl zu spüren. Wer es einmal versucht hat und in den Flow findet, ist sofort angesteckt.

Ähnlich wie das Snowskaten, bei dem man ebenfalls ohne Bindung auf dem Brett steht, unter dem ein Ski montiert ist, braucht auch das Powsurfen keine großen Skigebiete mit hunderten Pistenkilometern und zahllosen Liftanlagen. Ein simpler Hang genügt, und wenn man noch Gleichgesinnte findet, ist die Party im Schnee perfekt. Auch die norwegische Snowboardlegende Terje Håkonsen ist mittlerweile mit Vorliebe auf Äsmos oder Snow­skates unterwegs, wie zahlreiche Videos im Internet zeigen.

Powsurfer im Pulverschnee
Ähnlich wie das Snowskaten, bei dem man ebenfalls ohne Bindung auf dem Brett steht, braucht auch das Powsurfen keine großen Skigebiete
Andreas Monsberger/www.monEpic.at

Für Nyvelt und Gruber ist es eine schöne Bestätigung, wenn ihre Freunde und Kumpels aus der Boardsportszene ihre Arbeit wertschätzen und auf Äsmos durch den Powder surfen: "Wir freuen uns über jeden, der dieses Lebensgefühl für sich entdeckt." Patent haben sie keines angemeldet, und Nachahmer, die sich selbst Surfbretter für den Tiefschnee nach Äsmo-Vorbild basteln, sehen sie als Bestätigung. Denn wie erwähnt beanspruchen sie nicht für sich, die Erfinder zu sein. Im Gegenteil, sie haben über Jahre die Geschichte des Surfens, Snow- und Skateboardens studiert, um sich dort Inspiration zu holen. Gruber ist überzeugt, dass der Mensch seit jeher lieber auf einem als auf zwei Brettern, wie beim Skifahren, unterwegs war.

"Skier waren eher zum Langlaufen, nicht für Tiefschneeabfahrten." Zum Beweis kramt Nyvelt ein Buch aus seinem Werkstattbüro hervor, in dem uralte Abbildungen von den Vorläufern der Snowboards zu finden sind. Das sogenannte Knappenrößl etwa war ein einfaches Brett mitsamt Schnur an der Vorderspitze. Derart sind vor Jahrhunderten Bergleute im Winter über die verschneiten Hänge ins Tal gerutscht. Ob sie gestanden sind oder saßen, ist nicht überliefert. "Aber wer weiß, vielleicht waren das die ersten Powsurfer", lacht Nyvelt. Auch in den Bergen der Türkei kennt man unter dem Namen Lazboard seit Jahrhunderten ein Brett, auf dem man stehend über Tiefschneehänge gleiten kann. Zur Stabilisierung wird nebst der Schnur vorn auch ein Stock verwendet, den man hinter sich in den Hang drückt, um das Gleichgewicht zu halten.

Stefan Gruber (links) und Wolfgang Nyvelt, die Powsurfing-Profis, mit dem allerersten Äsmo-Board aus dem Jahr 2006.
Stefan Gruber (links) und Wolfgang Nyvelt, die Powsurfing-Profis, mit dem allerersten Äsmo-Board aus dem Jahr 2006.
Steffen Kanduth

Die Äsmos sind technisch auf einem ganz anderen Level. Ein solcher moderner Powsurfer aus Zillertaler Entwicklung besteht aus CNC-gefrästem, glasfaserverstärktem, dreidimensionalem Pappel-Vollholzkern. Auf das Brett wird ein Kunststoff-Pad geklebt, das zugleich Halt gibt und durch die leicht erhöhte Standposition Druck auf die Kanten und somit das Steuern erleichtert. "Allein die Entwicklung dieses Pads hat Jahre gedauert", sagt Gruber.

Was das Fahrgefühl auf einem Äsmo speziell macht, sind die Channels an den Unterseiten des Boards. Das sind Wölbungen, die entlang der Seitenkanten verlaufen und so für ungeahnte Wendigkeit und Kontrolle sorgen. Ähnlich wie die Finnen unter dem Surfbrett stabilisieren die Channels das Äsmo im Tiefschnee. Bei einfachen Powsurfern, die an der Unterseite meist flach sind, steht man möglichst weit hinten auf dem Brett, um den nötigen Auftrieb zu generieren. Andernfalls würde die Spitze sofort im Tiefschnee verschwinden, und man steckte fest. Beim Äsmo hingegen steht man relativ mittig auf dem Board. Die gewölbte Unterseite, die wie ein breiter Kiel wirkt, verleiht den nötigen Auftrieb.

Angesichts der Gigantomanie der Wintersportindus­trie, die nach immer größeren Skigebieten mit hunderten Pistenkilometern und immer mehr Beförderungskapazitäten der Seilbahnen verlangt, stellt das Powsurfen eine Art Gegentrend dar, der dem Zeitgeist entspricht. Weniger Ressourcen verbrauchen, um mehr Spaß zu haben. Die Natur wieder erleben, statt sie nur zu konsumieren. (RONDO, Steffen Kanduth, 1.2.2024)