Papst Franziskus hat am Montag den Weg für die Segnung homosexueller Paare in der katholischen Kirche unter bestimmten Bedingungen geebnet. In dem Schreiben "Fiducia supplicans", das die vatikanische Glaubenskongregation am Montag in Rom veröffentlichte, ist von der "Möglichkeit der Segnung von Paaren in irregulären Situationen und von gleichgeschlechtlichen Paaren" die Rede. Darunter verstanden werden alle Paare, die aus kirchlicher Sicht nicht gültig miteinander verheiratet sind. Die Segnung müsse sich aber von der Eheschließung eindeutig unterscheiden.

Allerdings betont der Text auch, dass sexuelle Beziehungen nur innerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau als erlaubt gelten. Für den Theologen Martin Lintner ist das noch einer der Hauptknackpunkte, wie er im Interview mit dem STANDARD erklärt. Der Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen sagt, die Tragweite der Erklärung dürfe man trotzdem nicht unterschätzen.

2021 hisste eine katholische Kirche in Köln die Regenbogenfahn, um zu zeigen, dass man gleichgeschlechtliche Paare segnet.
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STANDARD: Der Papst hat den Weg für die Segnung homosexueller Paare geebnet. Was bedeutet das für die katholische Kirche in Österreich – auch bisher wurden bereits Segnungen durchgeführt.

Lintner: Es erlaubt Priestern, Seelsorgerinnen und Seelsorgern nicht mehr nur im Graubereich zu agieren, sondern dem Wunsch nach einer Segnung von homosexuellen Paaren und Menschen, die in aus kirchlicher Sicht irregulären Beziehungen leben – also Geschiedenen, die wieder verheiratetet sind, oder Paaren, die nicht kirchlich verheiratet sind –, tatsächlich nachzukommen. Dass bedeutet, dass ein generelles Nein zu einer Segnung nicht mehr möglich ist.

STANDARD: Beobachterinnen und Beobachter sprechen von einer Revolution, einem historischen Ereignis oder Knalleffekt in der katholischen Kirche. Sehen Sie das auch so?

Lintner: Ja und nein. Es ist schon ein Knall, wenn man bedenkt, dass noch vor gut eineinhalb Jahren, im Februar 2021, das Glaubensdikasterium einen Text veröffentlicht hat, in dem es sich mit einem simplen Nein kategorisch gegen diese Segnungen ausgesprochen hat. Das hat Papst Franziskus nun aufgebrochen. Damals hat man zwar eingeräumt, dass es auch in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung positive Elemente gebe, die zu schätzen und hervorzuheben sind, die Beziehung als solche dennoch nicht gesegnet werden dürfe. Jetzt heißt es, dass durch eine Segnung genau diese positiven Elemente gefördert und gestärkt werden sollen.

STANDARD: Und was spricht dagegen?

Lintner: Man hat bereits zuvor aus gut informierten Kreisen erfahren, dass der Papst mit dem Dokument vom Februar 2021 nicht glücklich gewesen soll und etwas anderes vorbereiten wollte. Erst vor wenigen Wochen, im Oktober 2023 hat der Papst einer Gruppe von Kardinälen zu fünf Anfragen geantwortet, darunter auch zu einer Frage zur mittlerweile weitverbreiteten Praxis der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Die Antwort des Papstes war sehr differenziert, kein bloßes Ja oder Nein. Das hat gezeigt, dass da etwas im Gange ist. Dass die neue Erklärung am vergangenen Montag publikgemacht wurde, kam aber dennoch überraschend, weil nichts darauf hingedeutet hat, dass in dieser Kürze eine vatikanische Klarstellung erfolgen würde. Man muss aber auch beachten, dass sich die Lehre in Bezug auf gleichgeschlechtliche und irreguläre Partnerschaften nicht ändert. Die Tragweite der Erklärung darf man trotzdem nicht unterschätzen. Erst vergangene Woche hat die Bischofskonferenz in Ghana einen Gesetzesentwurf befürwortet, der homosexuelle Handlungen verbietet. Vor allem an afrikanische Bischöfe ist es also ein starkes Zeichen, dass man Menschen, die ihre sexuelle Orientierung unter Erwachsenen ausleben und eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingehen, nicht kriminalisieren und strafen darf.

STANDARD: Wieso kam die Entscheidung gerade jetzt?

Lintner: Es hat sicher eine Rolle gespielt, dass der neue Präfekt des Glaubensdikasteriums, Erzbischof Víctor Manuel Fernández, Themen aufarbeiten und nicht in die Länge ziehen will. Ihm ist es offensichtlich ein Anliegen, die pastorale Linie des Papstes nicht nur als dessen Privatmeinung gelten zu lassen, sondern deutlich zu machen, dass sie für die gesamte Kirche eine verbindliche Wirkung hat. Der neue Präfekt sieht es als seine Aufgabe an, die Rezeption der Lehre des Papstes zu fördern. In diesem Sinne werden mit der neuen Erklärung auch Pflöcke eingeschlagen.

STANDARD: Die Segnung darf nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden und muss sich von einer Eheschließung deutlich unterscheiden – war mehr nicht möglich?

Lintner: Die Segnung darf nicht im Rahmen einer liturgischen Handlung geschehen. Auch wenn es vorläufig keinen eigenen Ritus für die Segnung geben wird, ist jede Segnung aber auch eine gottesdienstliche Handlung. Dass keine Vorgaben gemacht werden, bedeutet, dass der einzelne Priester in seiner Kreativität gefordert ist, im Gespräch mit Paaren, die um einen Segen bitten, eine für sie ansprechende und würdige Form zu gestalten. Ich denke aber, dass diese Erklärung immer noch nicht das letzte Wort in der Problematik sein wird. Die Kirche wird ihre Erfahrungen sammeln und in ein paar Jahren darauf zurückblicken und sehen, was sich bewährt hat und was nicht. Und das wird sich dann auch auf die Lehre auswirken. Denn der Hauptknackpunkt, wenn man so will, bleibt bestehen: die grundsätzliche sittlich negative Beurteilung von gleichgeschlechtlichen und irregulären Beziehungsformen durch die katholische Kirche.

STANDARD: Welchen Gleichstellungsthemen wird sich die Kirche als Nächstes widmen müssen?

Lintner: Es gibt viele Baustellen in der kirchlichen Sexualmoral und Beziehungsethik, die noch offen sind und intensiv diskutiert werden. Die Auseinandersetzung mit der Genderforschung oder mit den Fragen zu den Geschlechtsidentitäten ist in vollem Gange. Hier ist seitens des katholischen Lehramts eine große Skepsis wahrnehmbar, aber zugleich deutet sich eine gewisse vorsichtige Offenheit an. Das hat sich etwa kürzlich in der Antwort des Präfekten der Glaubensbehörde an einen brasilianischen Bischof gezeigt, in der ausdrücklich bejaht wird, dass auch transidente und queere Menschen Taufpaten und Taufpatinnen werden können, also kirchliche Ämter übernehmen dürfen. Auch die Frauenfrage bleibt natürlich ein großes Thema. Gleichberechtigung und Gleichrangigkeit jedes Menschen innerhalb der Kirche, unabhängig von seiner Geschlechtsidentität, sind noch nicht ausdiskutiert. Solange Frauen nur wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit kategorisch von den Weiheämtern ausgeschlossen sind, kann die Frage nicht als gelöst angesehen werden. Aus theologischer Sicht wird sie sowieso schon viel differenzierter diskutiert. Ich würde deshalb sagen, dass in der Theologie bereits Wege bereitet werden, von denen wir derzeit noch nicht absehen können, ob, wann oder wie weit die lehramtliche Entwicklung folgen wird. (Oona Kroisleitner, 19.12.2023)