Aus der restaurierten Jukebox von Rock-Ola tönt Brenda Lees "I’m Sorry". Daneben steht Michael Niederer, der sichtlich stolze Besitzer dieser Kiste, und bedauert nichts, schon gar nicht die aufwendige Restaurierung des Abspielautomaten für Sieben-Zoll-Vinylplatten. Fröhlich und dezent sagt er: "Sucht euch ein schönes Lied aus!"

Das Haus Fernblick mit fantastischem Panorama auf üppige Tapeten und Plastikflamingos bietet überwiegend geschlossenen Gesellschaften seine 22 Zimmer an und kann bis zu 125 Gäste bewirten.
Das Haus Fernblick mit fantastischem Panorama auf üppige Tapeten und Plastikflamingos bietet überwiegend geschlossenen Gesellschaften seine 22 Zimmer an und kann bis zu 125 Gäste bewirten.
Fernblick/Matthias Kronfuss

Gemeinsam mit seinem Mann Andreas Wessely hat er in den letzten Jahren viel herrichten lassen, hier in Sankt Corona am Wechsel und auch drüben am Semmering. Zuerst eröffnete das Hotelierspaar am Wiener Hausberg die Villa Antoinette, ein exklusiv buchbares Jugendstiljuwel für Hochzeitsgesellschaften, Tagungen oder Feste mit Freunden. Danach folgte knapp vor Beginn der Pandemie am Wechsel das Hotel Fernblick mit ähnlichem Konzept.

Ein abgerocktes Hotel an der Hauptstraße von Sankt Corona, die über die Jahre zur befahrbaren Lost-Places-Meile mutierte, wurde dafür besonders schrill aufgemotzt. Doch trotz pinkfarbener Leuchtschrift am Portal, die "hereinspaziert" brüllt, stand zu befürchten, dass man auch in dieser zweiten Eventlocation des Paars als ordinärer Wochenendausflügler gar nicht logieren kann. Doch zum Glück kam es anders.

Country Club mit Felsenbar

Das Haus Fernblick mit fantastischem Panorama auf üppige Tapeten und Plastikflamingos drinnen und die sanften Voralpenhügel des Wechselgebirges draußen bietet zwar überwiegend geschlossenen Gesellschaften seine 22 Zimmer an und kann bis zu 125 Gäste bewirten. An manchen Wochenenden gewährt man aber auch Individualgästen Unterschlupf in dem üppigen Mid-Century-Style-Tempel mit viel Gold am Luster und Pastell an der Decke über den Spannteppichen. Es soll ja vorkommen, dass Hochzeiten abgeblasen oder Seminare nicht das ganze Jahr über abgehalten werden – und dann besteht hier die Aussicht auf freie Zimmer für alle.

Das Hotel Fernblick in Sankt Corona wird dem Namen dank der Aussicht auf Schneeberg und Kirchberg am Wechsel absolut gerecht.
Das Hotel Fernblick in Sankt Corona wird dem Namen dank der Aussicht auf Schneeberg und Kirchberg am Wechsel absolut gerecht.
Fernblick/Matthias Kronfuss

"Buena Vista Country Club" nennen sich diese außertourlichen Wochenenden. Von Samstag- bis Montagmittag wird man dann meistens mit Brunch und Dinner verpflegt und kann danach noch in der hauseigenen Disco samt Felsenbar bei großartigen Cocktails versumpern.

Interessierte erfahren eher kurzfristig über die Webpräsenz des Hotels, über soziale Medien oder über einschlägige Buchungsportale von zeitweiligen Vakanzen. Weitere Sausen für eine bunt zusammengewürfelte Gästeschar – etwa zu Silvester – werden länger im Vorhinein angesagt. Weil das ausgezeichnete Restaurant aber immer nur Hausgäste verpflegt, herrscht im Fernblick-Speisesaal oft die wohlige Illusion, man sei zufällig als Teilnehmer an einer verschwörerisch-exklusiven Dinnerparty ausgelost geworden.

Doch passt ein derart schrilles Beherbergungskonzept überhaupt ins verschlafene Sankt Corona am Wechsel? Schon die Frage ist falsch gestellt, denn im Ortskern gab es bis vor kurzem kaum Beherbergung und schon gar kein Konzept. Dabei zieht die "Wexlarena" am südlichen Ortsausgang sehr wohl ein großes und treues Publikum an, das hier die meiste Zeit im Jahr den Bikepark und bei Schneelage die vielen sanften Wintersportangebote nutzt.

Es sind vielleicht nicht immer dieselben Leute, die im niederösterreichischen Hügelhochland in Smoking und im Kleinen Schwarzen exaltiert Beverly Hills spielen wollen. Aber warum soll Gatsch auf der Bikermontur nicht Tür an Tür mit dem Glamour von makelloser Abendgarderobe wohnen? In der Üppigkeit vom Fernblick liegt also auch Weitblick: Wo vorher fast nix war, kann jetzt ein bisserl nicht zu viel sein. (Sascha Aumüller, 26.11.2023)

(21.11.2023)