Es ist wie mit dem Lebkuchen im Supermarktregal, der im Spätsommer daran gemahnt, früh genug die Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Nun sollen wir spätestens zum Ende der Sommerferien auch noch einen fixfertigen Plan haben, was in den Herbstferien geschieht. Erst zum dritten Mal überhaupt stellt sich diese Frage in Österreich. Die Schulen sind angehalten, aus der Zeit zwischen dem Nationalfeiertag und Allerseelen unter Zuhilfenahme ihrer schulautonomen Tage einwöchige Herbstferien zu basteln. Eine erkleckliche Anzahl an Teenagern, die man fragt, was denn genau in dieser Woche passieren soll, wird darauf so knackig wie uninspiriert antworten: "Chillen!" Sollten Sie diesem Programmvorschlag uneingeschränkt zustimmen, ist alles gut, lesen Sie nicht weiter!

Rund um Lofer verläuft ein 110 Kilometer langer Fernwanderweg auf sechs, teilweise teenietauglichen Etappen.
Rund um Lofer verläuft ein 110 Kilometer langer Fernwanderweg auf sechs, teilweise teenietauglichen Etappen.
Sascha Aumüller

Unternehmungslustigere hingegen, die etwa gerne Kurzurlaube im Baukastensystem aus Feier- und Zwickeltagen kreieren, wollen mit dieser Woche und ihrer Familie vielleicht etwas anfangen. Von einem Chill-Teenager könnte der erwachsene Gegenvorschlag à la "Und was wäre, wenn wir schön wandern gehen?" allerdings als Maximalstrafe gelesen werden. Derlei Befürchtungen gab es zumindest in unserem Haushalt, als wir einen 14-Jährigen ad-hoc mit dieser irrwitzigen Idee konfrontierten – und doch waren diese völlig unbegründet. Vermutlich hatten wir aber auch deshalb so eine gute Zeit bei unserer dreitägigen Wanderung im Salzburger Saalachtal, weil wir dafür ein nicht allzu ernstes "Zehn-Punkte-Programm für entspanntes Wandern mit Teenies" entwickelt haben:

1. Mit Zahlen prahlen!

Der Weg sei das Ziel, heißt es, und das ist natürlich Blödsinn. Wer eine Wanderung unternimmt, die wie in unserem Fall drei Tagesetappen und insgesamt 60 Kilometer umfasst, sollte damit angeben, was das Zeug hält. Ziel muss es immer sein, möglichst viele Tracker-Apps und Sportuhren gleichzeitig die Statistiken der eigenen Bewegungen in den Bergen erfassen zu lassen, um Daheimgebliebene, die sich darunter nichts vorstellen können, zu beeindrucken: "2270 Höhenmeter in drei Tagen? Ist das viel?" Unterwegs sollte man auf sich auf keinen Fall davon irritieren lassen, wenn der Teenager einmal nicht auf die Sportuhr starrt und zum Beispiel große Augen beim Wasserfallweg zu den Loferer Almen bekommt und die Umgebung als "eine wirklich sehr, sehr schöne Landschaft" kommentiert. Wobei wir schon beim nächsten Punkt sind: der Wahl des Reviers und möglicher Routen.

2. Beim Wandern marschiert man einfach los!

Generationen von Wandersleuten aus Wien, Windischgarsten und Wörgl haben ihren Weg quer durch die Alpen ganz alleine gefunden. Warum sollte man auch ausgerechnet jemanden aus Salzburg fragen, wo in Salzburg das Wandern auf Fernwegen besonders lohnend ist? Im konkreten Fall auf der 110 Kilometer langen "Route der Klammen", die durch das Salzburger Saalachtal führt, verhält es sich allerdings so, dass nicht auf allen sechs Etappen fesche Felsschluchten auf einen warten. Der fast brettelebene Beginn der Route entlang eines alten Wallfahrerwegs im Tal ist zwar nicht unattraktiv. Aber wer nur drei reine Wandertage als Zeitbudget zur Verfügung hat, ist dankbar, von Profis aus dem Saalachtal die aufregendsten Etappen herausgepickt zu bekommen und dann vom Teenie zu vernehmen: "Sie ist wirklich sehr, sehr schön, die Innersbachklamm!" Wer dagegen ganz ohne Infos aus der Region immer bei der ersten Etappe eines Weitwanderwegs losmarschiert, verpasst vermutlich die Highlights.

Bergbauernhöfe in Sankt Martin bei Lofer
Bergbauernhöfe in Sankt Martin bei Lofer
Sascha Aumüller

3. Bergsteiger meiden die Zivilisation!

Am schönsten sind Fernwege, auf denen der einsame Wanderer tagelang keiner anderen Menschenseele begegnet – finden Misanthropen. Andere w iederum werden nach einem achtstündigen Marsch in weitgehender Stille erst so richtig neugierig und wollen die Wirtin auf einer Sonnenterrasse in Unken unbedingt ausfragen, was sie alles in ihre spektakulären Eisbecher haut. Da hilft es, wenn sich jemand bei der Vereinigung "Österreichs Wanderdörfer" auskennt und einem einige unter diesen insgesamt 42 Dörfer in allen Regionen besonders ans Herz legen kann – wegen besonderer Architektur, wegen der spektakulären Lage oder damit der Teenie eine Empfehlung später quittiert mit: "Voll gutes Eis!"

4. Ein kleiner Rucksack genügt!

Echte Bergfexe reisen mit kleinem Gepäck. Ein leichter Rucksack für die Jause, den Wetterfleck und das Notfallset reicht völlig! Die vom knietiefen Waten in der Eiblklamm durchnässten Wollsocken des Teenies werden einfach ausgewrungen, und tags darauf geht es in feuchten Socken fröhlich weiter. Soll angeblich das Immunsystem stärken. Menschen ohne Intoleranzen gegenüber frischer Wäsche oder einem trockenen Paar Socken können aber auch einen kleinen Trolley mit Wechselgewand befüllen und sich diesen zum Beginn der nächsten Etappe bringen lassen. Auch für derlei niedere Dienste ist sich die Vereinigung der Wanderdörfer nicht zu gut, wenn damit sogar ein 14-Jähriger überrascht werden kann: "Oh, schon wieder frische Unterwäsche!"

Die
Die "Route der Klammen" im Salzburger Saalachtal führt durch acht Wasserschluchten.
Sascha Aumüller

5. Nur Massenlager auf Hütten sind authentisch!

Für ernsthafte Bergsteiger gibt es nur drei angemessene Schlafplätze: den seilversicherten Felsvorsprung in einer Steilwand, die Biwakschachtel in über 5000 Meter Seehöhe oder das Massenlager in der Alpenvereinshütte. Was hatten wir doch für ein Glück, bloß als ordinäre Etappenwanderer unterwegs gewesen zu sein! Noch bevor man sich in die frisch gestärkte Bettwäsche eines von 50 charaktervollen, familiengeführten Hotels kuschelt, hat ein dienstbarer Geist das Gepäck aufs Zimmer gebracht. Die drei Häuser im Tal rund um Lofer im Pinzgau waren jeweils so gewählt, dass man von der Haustür einfach los- und direkt zum nächsten Hotel als Etappenziel wandern kann. Motorisierte Transfers sind in den meisten Fällen überflüssig! Kommentar Teenie: "So einen guten Sleep-Score hat meine Sportuhr lange nicht mehr angezeigt!"

Die Aschauerklamm bei Schneizlreuth liegt schon in Bayern.
Die Aschauerklamm bei Schneizlreuth liegt schon in Bayern.
Sascha Aumüller

6. Wanderer können nur Speck und Landjäger verdauen!

Brettljause auf der Alm und luftgetrocknete Würstel aus dem Rucksack sind die einzige in der Natur vorkommende Ernährungsform eines Berglers. Schlimm, wenn es auf immer mehr Hütten und in allen Wanderhotels trotzdem vegetarische Optionen gibt? Umgekehrt hat es einen von langen Etappen ausgezehrten 14-Jährigen ja auch nicht gestört, dass die gegrillten Schweinebäuche beim Barbecue des Gasthof Bad Hochmoos nie auszugehen scheinen. Vorsichtige Frage eines Teenagers im Wachstum: "Denkt ihr, es fällt auf, wenn ich noch ein drittes Mal zum Buffet gehe?"

7. Für die Berge braucht man ein Auto!

Wie kommen Menschen, die sich wandernd, mit dem Mountainbike oder mit Tourenski durch die Natur bewegen, eigentlich dorthin? Ja genau, meistens im eigenen Auto. Alternativen dazu gäbe es aber auch bei maßgeschneiderten Wandertagen im Saalachtal. Die Bahn steht bei den Wanderdörfern als bevorzugter Zubringer im Fokus, und wenn nötig, wird man vom Bahnhof abgeholt und mit Wanderbussen weiterchauffiert. Ebenso berechtigte wie kluge Frage eines 14-Jährigen: "Und warum sind wird dann nicht mit dem Zug gekommen?"

Nur selten führt der Weg über Forststraßen. Auf öden Streckenabschnitten können aber kurzweilige Spiele helfen.
Nur selten führt der Weg über Forststraßen. Auf öden Streckenabschnitten können aber kurzweilige Spiele helfen.
Sascha Aumüller

8. Wanderer sind Puristen!

Am Ende eines langen Hatschers setzen sich Naturburschen auf den frisch gefällten Stamm einer Fichte (Hand aufs Harz!) und bewundern wortkarg das Alpenglühen. Kann man machen, muss man aber nicht. In der freistehenden Sauna des Hotels Drei Brüder in Unken blickt man bequem liegend und beim Aufguss durchs Fenster auf ein weites Panorama, danach folgt ein Sprung in den zu allen Zeiten erfrischenden Naturbadeteich. Teen: "Ist aber jetzt schon kühl!"

9. Bloß keine Ablenkung von der Natur!

Wandersleute brauchen keine Bespaßung auf ihrem erquicklichen Dialog mit der Natur. Klar, nur leider gibt es wohl keinen einzigen Weitwanderweg im gesamten Alpenbogen, der nicht früher oder später über die Ödnis einer schnurgeraden Forststraße führt. Nun können alle zusammen noch eine Runde Wer bin ich? spielen und dann gleich noch eine – oder man ermöglicht dem Teenager die Entdeckung einer Fähigkeit, die er hoffentlich nie brauchen wird: Tarnung im Gelände. "Kann ich den tannengrünen Regenponcho haben?", fragte er irgendwann und war verschwunden. Oft konnten wir ihn tatsächlich nicht entdecken. So gut war er versteckt hinter einer dichten Fichte, in einer moosigen Mulde oder unter moderndem Laub. Er tarnte sich, was das Regenzeug hielt, die Kilometer schmolzen nur so dahin.

10. Teenager soll man nie zum Wandern zwingen!

Das erste Gebot einer weitwanderden Seilschaft mit Teenie muss immer lauten: Auf gar keinen Fall Zwang! Im Keller des Gasthofs Bad Hochmoss können es Eltern an der herrlich retrohaft anmutenden Kegelbahn aber mit Erpressung versuchen: "Spielen wir noch eine Runde? Gerne! Aber dann gehen wir morgen wieder eine Etappe …" (RONDO, Sascha Aumüller, 15.9.2023)

Die Reise wurde von Österreichs Wanderdörfern unterstützt.