Landeshauptmann Thomas Stelzer (li.) und Wissenschaftsminister Martin Polaschek ringen um die Digital-Uni Linz – und mit ihr und den Umständen.

Linz/Wien – Das Bildungsministerium reagiert mit außergewöhnlich scharfen Worten auf die anhaltenden Störmanöver gegen die geplante Digital-Uni in Linz. Die – teilweise anonym geäußerten – Vorwürfe richten sich noch immer gegen die Wahl der Informatikerin Stefanie Lindstaedt von der TU Graz zur Gründungspräsidentin des neuen Institute of Digital Sciences Austria (IDSA). In der "Presse" etwa wurde unlängst ein ungenannter "Insider" aus dem Ministerium zitiert, der einen "beispiellosen Uni-Skandal" darin sah, dass der Wunschkandidat von Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) und der oberösterreichischen Industriellenvereinigung (IV) nicht zum Zug gekommen war.

"Halbwahrheiten und Verdrehungen der Fakten"

"Die Vorwürfe sind aus juristischer Sicht nicht nachvollziehbar und entziehen sich jeglicher Objektivität", heißt es dazu auf STANDARD-Anfrage aus dem Büro von Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP). Er hatte eine Aufsichtsbeschwerde gegen die vermeintlich irreguläre Wahl zurückgewiesen. Man habe das Verfahren "sorgfältig geprüft". Darum sei es "natürlich bedauerlich, dass im Zusammenhang eines standardisierten Vorgehens gezielt Halbwahrheiten und Verdrehungen der Fakten verbreitet werden, die jeder sachlichen Grundlage entbehren. Das Bundesministerium habe seine Rolle als Aufsichtsbehörde ordnungsgemäß wahrgenommen, betont man im Ministerbüro.

Der Linzer Beschwerdeführer Helmut Fallmann, Gründer des Software-Unternehmens Fabasoft und vom Land Oberösterreich in den IDSA-Gründungskonvent entsandt (den er nach der erfolglosen Aufsichtsbeschwerde verließ), gehört zur Gruppe rund um Stelzer und IV-Präsident Stefan Pierer, die den bisherigen Rektor der Uni Linz, Meinhard Lukas, an der Spitze der neuen Uni haben wollte. Dass nicht Lukas, sondern Lindstaedt gewählt wurde, sei – so war die Lesart der "Oberösterreichischen Nachrichten" ("OÖN") – einem "mutmaßlichen Skript aus Graz" geschuldet.

Landeshauptmann und ÖVP-Großspender

Stelzer hatte im Sommer 2020 von seinem Parteifreund, dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz, die Zusage für eine Technische Universität mit Schwerpunkt Digitalisierung erhalten. Pierer wiederum ist ÖVP-Großspender. Der Pierer-Mobility-Chef (früher KTM) überwies im August 2017 der türkisen Volkspartei unter Kurz 463.563 Euro.

Ins Treffen geführt werden nach wie vor – etwa von Pierer – angebliche "Befangenheiten" im Gründungskonvent. Lindstaedt, die Konventsvorsitzende Claudia von der Linden und Konventsmitglied Johanna Pirker kommen alle von der TU Graz. Zuletzt forderte der Industrielle nicht nur den Rücktritt von der Lindens, sondern wollte auch, dass die seiner Meinung nach "befangenen" Mitglieder des Konvents "ausgetauscht" werden.

In einem Privatgutachten, mit dem Fallmann den Verfassungsjuristen Heinz Mayer beauftragt hatte, qualifizierte dieser den Bestellprozess wegen Befangenheiten im Konvent als "rechtswidrig". Dem allerdings widerspricht Polaschek erneut nachdrücklich: "Mögliche Befangenheiten einzelner Mitglieder" seien "ausführlich geprüft" worden: "Fakt ist, dass die betreffenden Personen nicht nur an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt waren, sondern sich auch schon bei den relevanten Verfahrensschritten wie Hearing und Beratung davor jeglicher Mitwirkung enthalten haben."

Steiermark-Connection ins Ministerium?

Die Causa hat auch eine geografische Tangente, die ebenfalls nachhaltig bespielt wird. Dass nämlich mit Polaschek und dem zuständigen Sektionschef im Ministerium noch zwei weitere Persönlichkeiten mit Steiermark-Bezug involviert sind, hat zumindest im politmedialen Umfeld Oberösterreichs das Narrativ vom "Match" Steiermark gegen Oberösterreich entstehen lassen. Die "OÖN" beispielsweise sehen die Linzer Interessen durch eine Präsidentin aus dem "Grazer Geflecht" gefährdet und eine mächtige "Achse Graz–Wien" zum Nachteil der Player ob der Enns am Werk.

Angesprochen auf "Grazer Seilschaften", wird man im Ministerbüro allerdings recht deutlich. Bei Lindstaedt und von der Linden "handelt es sich um zwei herausragende Persönlichkeiten, die den Aufbau einer neuen Einrichtung leiten werden. Die Herkunft spielt hier in keiner Weise eine Rolle, sondern ausschließlich deren Qualifikation. Solche Verschwörungstheorien sind auf das Schärfste zurückzuweisen", heißt es dazu. Beide Wissenschafterinnen – Lindstaedt und von der Linden – haben das "uneingeschränkte Vertrauen" des Ministers, betont dieser.

Außerdem wird festgehalten, "dass Bundesbedienstete die Interessen der Republik Österreich vertreten und nicht die einzelner Personen".

Polaschek pocht auf Zusammenarbeit

Polaschek verweist jedoch auch darauf, "dass Bund und Land die neue Uni gemeinsam finanzieren, wenn auch in unterschiedlichen Anteilen". Man ziehe "an einem Strang" und versuche "selbstverständlich, mit allen möglichen Partnern die besten Voraussetzungen für diese Universität zu schaffen". Allerdings, das betont man im Ministerbüro mit Nachdruck: "Wir möchten, dass jetzt einfach am weiteren Aufbau des IDSA gearbeitet werden kann. Weitere Personaldiskussionen und verschiedene Verschwörungstheorien sind für einen guten Start jedenfalls nicht zuträglich."

Auch der Koalitionspartner in der Bundesregierung stellt sich hinter den IDSA-Konvent. Grünen-Wissenschaftssprecherin Eva Blimlinger, die zwar offen zugibt, "dass ich kein Fan der Linzer Digital-Uni war und bin", sagt angesichts des suboptimalen Starts: "Es ist aber so, dass der Gründungskonvent seit Monaten intensiv arbeitet, um den Zeitplan einzuhalten – und das ist entscheidend. Die Herren – ich muss es leider so sagen – tun sich immer noch schwer, wenn sie ihre Pläne nicht 1:1 umsetzen können, sondern Gremien demokratisch entscheiden." Sie sei "froh, dass eine demokratische Entscheidung durchgesetzt werden konnte".

Neos bringen parlamentarische Anfrage zum Zeitplan ein

Neos-Wissenschaftssprecherin Martina Künsberg Sarre hingegen sagt: "Die Optik ist verheerend und international unfassbar peinlich. So kann man ein 'Leuchtturmprojekt' nicht aufziehen." Die Pinken begegneten dem Projekt – "eine Uni, die eigentlich kein Mensch braucht" und die von Kurz und Stelzer quasi freihändig erfunden worden sei – von Anfang an sehr skeptisch und üben auch Kritik am kleinen Regierungspartner: "Die Grünen machen mit und winken das durch." Künsberg Sarre brachte am Mittwoch eine parlamentarische Anfrage an Polaschek ein, in der sie unter anderem Auskunft über den weiteren Zeitplan für das IDSA eruieren will.

Die Wissenschaftssprecherin der Neos sieht einen Kardinalfehler darin, dass man nicht wie beim anfangs auch umstrittenen, in der Zwischenzeit aber zum Topinstitut gewachsenen ISTA in Klosterneuburg eine internationale Persönlichkeit wie Haim Harari, den früheren Präsidenten des Weizman-Instituts in Israel, geholt habe, um auch das IDSA ungestört durch (interessen-)politische Interventionen aufbauen zu lassen: "Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, sich aber dann raushalten. Welche Leute sollen denn da nach Linz kommen wollen, wenn permanent die Landespolitik hineinregiert?"

Wachsender Unmut in der Belegschaft der Uni Linz

Ähnliche Bedenken haben übrigens auch viele in der Belegschaft der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU). Dort gibt es wachsenden Unmut über die "anhaltende mediale Inszenierung rund um die IDSA-Präsidentschaftswahl", wie es in einem Sondernewsletter des Betriebsrats des wissenschaftlichen Personals an rund 2.500 JKU-Mitarbeiterinnen und JKU-Mitarbeiter heißt. Befürchtet wird, dass "einschlägig bekannte Akteure", die "ihre persönlichen und politischen Interessen durchsetzen" wollten, nicht davor zurückschrecken würden, auch "beträchtliche Schäden für den Universitätsstandort Linz in Kauf zu nehmen".

Immerhin steht an der JKU im Herbst eine Rektorneubestellung an, bei der, so die Uni-interne Befürchtung, wieder politische Begehrlichkeiten von außen mitspielen könnten. Darum pocht der Betriebsrat für das wissenschaftliche Uni-Personal schon jetzt auf "selbstbestimmtes Handeln der Forscher*innen und Lehrenden" und hofft, dass nicht "fundamentale Unkenntnis dessen, was international orientierte Forschung und entsprechende Lehre ausmacht", die Personalentscheidung leiten wird.

"Unternehmen" Universität lebt von Forschung

All jenen, die der Scientific Community, egal auf welcher universitären Ebene, unterstellten, "einen 'unternehmerisch' denkenden Rektor zu verhindern", hält der Betriebsrat in dem internen Schreiben seine Definition dagegen: "Das 'Unternehmen' Universität lebt insbesondere von den Forschungsergebnissen." Da habe es zuletzt eine "systematische Aushöhlung der Möglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs" gegeben, und man habe große Hoffnung, "dass mit dem nächsten Rektorat diese zentrale 'unternehmerische' Rolle der Universität wieder verstärkt gefördert wird". (Lisa Nimmervoll, 28.4.2023)